Ein Lost Place umgeben vom Grün
Fast schon unverschämt ist das Grün, die saftige große Wiese im Frühling leuchtet in der Mittagssonne und hebt sich umso mehr vom dunklen Grün der Fichten des kleinen Wäldchens ab. Es ist ein idyllischer, parkähnlicher Ort, ein kleiner zum Teich aufgestauter Wasserlauf, an dessen Seiten Sauerklee, wilde Veilchen, Taubnesseln und noch das letzte Scharbockskraut blühen. Schon recken die ersten Schwertlilien ihr Grün aus dem sumpfigen Teil des Teiches. Überall sumselt es, viele Bienen sind unterwegs, die Bienenkästen stehen nicht weit entfernt auf einem Anhänger, auf der anderen Seite des Weges blühen die Bäume auf einer Streuobstwiese.
Es könnte perfekt sein, ein Fleckchen Erde, das sicher so mancher gern sein eigen nennen würde, dort leben möchte. Wäre da nicht der verfallene Hof, ein Lost Place, der darauf schließen lässt, dass das Gelände natürlich im Besitz von irgendwem ist, vielleicht ist die Eigentumsfrage schwierig, vielleicht haben die Bauersleute, die den Hof bewirtschaftet haben, ihn nicht an eine nachfolgende Generation übergeben können. Oder diese wollte nicht.
Wie auch immer.
Entdeckt habe ich den Hof schon vor geraumer Zeit und immer gedacht, wenn ich mal Zeit habe, fahre ich dorthin und schaue mich um. Einfach so.
Bei dem Vorsatz ist es allzu lange geblieben obwohl ich oft daran vorbei komme. Aber jetzt mache ich Nägel mit Köpfen, parke mein Auto etwas abseits (damit es nicht auf den Bildern stört und auch nicht irgendwo im Matsch landet) und stapfe zu dem Hof.
Ein wenig unbehaglich ist mir in solchen Augenblicken. Ich weiß, dass es Privatgelände ist, ich weiß dass ich dort nichts zu suchen habe. Fast rechne ich damit, dass ganz plötzlich irgendwer von irgendwo auf mich zukommt, mich fragt, wer ich sei, was ich hier mache, warum ich hier fotografiere, ich wisse doch, Privatgelände, hier hätte ich nicht herumzuschnüffeln… das Übliche.
Vielleicht ein Nachbar, denn der nächste Hof ist nicht weit weg; vielleicht der Imker, dessen Bienenstöcke hier aufgestellt sind, vielleicht ein was-weiß-denn-ich…
Aber niemand kommt, niemand nimmt Notiz und so umrunde ich ungestört und unbemerkt das Gebäude, richte die Kamera mal hierhin, mal dahin.
Noch sind die Brennnesseln, die das Gebäude umwuchern so niedrig, dass man gut durch sie hindurchgehen kann.
Wie so oft ist das Wohngebäude verschlossen, es gibt keinen Zugang ins Innere, aber
durch die Fenster ist wenigstens ein Blick ins Haus möglich. Im Küchenfenster fehlt eine Scheibe, hier könnte ich, würde ich das wirklich wollen, einsteigen. Aber das mache ich natürlich nicht, es fühlt sich nicht nur falsch an, es ist definitiv nicht in Ordnung. Es wäre, sollte doch irgendwer das mitbekommen, nun mal ein Einbruch. Lost Place hin oder her.
Der Blick fällt auf die Spüle, den Herd, den Ofen, da liegen sogar noch die Zündhölzer.
Dem Haus angeschlossen ist das Wirtschaftsgebäude in einem absolut erbärmlichen Zustand.
Ein Teil des Daches ist bereits eingestürzt, mein Blick fällt auf das Heu, das noch immer oben im Dach lagert.
Zwar sind auf der Rückseite des Gebäudes die Türen alle verschlossen, aber
auf der anderen Seite gelingt es mir doch, ein paar Schritte hinein zu machen und mich umzuschauen. Längst lebt niemand mehr hier, zurückgeblieben ist ein Verhau, ein Sammelsurium an Vergessenem, Aufgegebenen, nicht mehr Gebrauchten.
Weit wage ich mich nicht hinein, es ist eben ein Ort, an dem ich nichts verloren, nichts zu suchen habe (außer Fotomotiven) und auch, wenn es höchst unwahrscheinlich ist, dass just in diesem Moment ein weiterer Teil des Daches einkrachen würde: Nein danke, ich will nicht, dass mir hier irgendetwas auf den Kopf fällt und wenn es nur ein Ballen Stroh ist.
Aber es gibt auch vom Eingang aus einiges zu sehen:
Zwei weitere Gebäude gehören zum Anwesen. Ein Kuhstall, der an sich noch gar nicht so alt ausschaut und ein Holzschuppen, bei dem man den Eindruck hat, dass der nächste Sturm den auch niederlegen wird. Während ich einen Blick in den Kuhstall werfe, verzichte ich, den Holzschuppen zu betreten, auch der ist mir ganz und gar nicht geheuer.
Außer einem Reifenabdruck auf der Wiese und ein paar umgeknickten Brennnesseln dürfte nichts davon künden, dass ich diesen Lost Place besucht habe. So soll es auch sein. Unbemerkt verlasse ich das Gelände. Niemand war da. Und auch von dem Hund, vor dem gewarnt wird, ist nichts zu sehen oder zu hören.
Alles andere hätte mich auch gewundert.
Vielen Dank fürs Lesen.
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Ein wirklich spannender Ort und ich kann mir das geteilte Gefühl zwischen „Neugier“ und „Privateigentum“ sehr gut verstehen. Deine Zwischenlösung, nicht hineinzugehen ist ein guter Kompromiss. Zumindest für mich, die die Bilder sehr gerne angeschaut hat. Ein toller Hof und schade, dass er langsam verfällt.