Mediatipps (Teil 14): „Tour de France für alte Knacker“ von Helmut Achatz
Helmut Achatz, Autor und Iron Blogger aus dem Münchner Umland, hat es tatsächlich durchgezogen: Rund 3.6000 Kilometer ist er von Col de la Faucille in den französischen Alpen bis nach Bordaux und im Folgejahr von Bordeaux bis nach Strassbourg geradelt. Natürlich nicht auf dem direkten Weg quer durch das Land sondern quasi als Umrundung Frankreichs. In 52 Etappen hat er seine persönliche Tour de France absolviert, der Weg führte ihn über Cannes, Carcassone, Nantes, Rennes, St. Malo, Reims und Verdun. Aus diesem Projekt, über das er bereits in seinem Blog vom Vorunruhestand geschrieben hat, ist mittlerweile ein Buch entstanden.
Seinen Wechsel in den Ruhestand wollte Achatz mit einem Tapetenwechsel beginnen – einem möglichst langem Urlaub, um Abstand zu seinem alten Leben und Gewohnheiten zu gewinnen. Und so wuchs in ihm die Idee, seiner alten Leidenschaft, dem Rennradfahren wieder neuen Geist einzuhauchen: Eine ganz persönliche Tour der France zu fahren.
Eine absurde Idee für jemanden, der die 60 bereits überschritten hat?
Mitnichten. Man muss es eben nur richtig angehen und sich genügend Zeit einplanen. Dass er die Tour, die vom 21. Mai bis zum 16 Juni 2017 und vom 24. Juni bis zum 19. Juli 2018 dauerte, auf zwei Jahre verteilt hat, lag dabei allerdings nicht in seiner Hand, ein Krankheitsfall in der Familie ließ ihn die Tour in Bordeaux abbrechen. Und dort ist er konsequenterweise 2018 auch wieder eingestiegen. Und eine knappe Woche durfte ich ihn dabei begleiten.
Nein – natürlich nicht wirklich.
Eine Woche lang habe ich sein Buch gelesen, meistens ein paar Kapitel, das Ganze sehr entspannt auf einer Liege im Schwimmbad, nachdem ich selbst meinem Sport geföhnt habe. Und ich habe mit ihm bei jeder Steigung gelitten, die er sich mühsam, genervt und manchmal dem Aufgeben nahe hochgekämpft hat: „Ich hechle nach oben, der Schweiß vernebelt meinen Blick – und ich bin schon bei der kleinsten Übersetzung angekommen. Irgendwann steige ich dann ab und schiebe mein Rennrad – welche Schmach!“
Solche Momente, in denen man frustriert vom Rad steigt und schiebt, kennt wohl jeder, übrigens nicht nur Radfahrer, denn das kleine „Aufgeben müssen“ gehört wohl immer dazu.
Ich bin im Geiste mit ihm ins Tal gerollt, war am Meer und in den Städten, habe mit ihm die Provence und die Bretagne durchquert… und das, obwohl ich gar kein Radfahrer bin und auch nie Ambitionen hatte, einer zu werden.
Trotzdem habe ich das Buch mit großem Genuss gelesen. Achtatz‘ Schilderung seiner Tour de France, bei der er sich ganz grob an den Tourenverlauf von 1955 orientiert, ist viel mehr als ein purer Sportbericht. Der Autor erzählt, was er auf seiner Reise erlebt hat, nimmt einen mit in französische Restaurants, in die Touristenstädte, die kleinen Hotels, auf die holprigen Radwege, die im Nichts enden, und erzählt beiläufig viel über Land und Leute; und auch über sich selbst: Krisen, Motivationsverlust, Unpässlichkeiten inklusive.
Wäre es lediglich ein purer Bericht übers Radfahren, es wäre vermutlich schnell langweilig, vor allem für jemanden wie mich, der höchstens mal in die Pedale seines alten Mountainbikes tritt. Wäre es ein purer Reisebericht, es wäre zu dünn, selbst wenn man mit besonderem Vergnügen von Städten liest, die man selbst besucht hat und seine Eindrücke mit den eigenen Erinnerungen vergleicht.
So aber erzählt er im wunderbaren Plauderton er von beidem – und vor allem, welche Köstlichkeiten er sich auf seiner Tour servieren lässt. Profisportlern mögen die Haare zu Berge stehen, aber bei seinen Schilderungen von Meeresfrüchten, Salaten, Austern, Sandwiches, Pizza und Parfaits läuft einem schon beim Lesen das Wasser im Munde zusammen. Und wenn er das Ganze dann auch noch im Foto zeigt, kann man direkt neidisch werden.
Wer so eine Tour nachmachen will, bekommt en passant einige sehr praktische Tipps geliefert: Navi nicht vertrauen, Trinkflaschen regelmäßig mit Spülmittel ausspülen, montags hat alles geschlossen, Hotels per Booking-com erst am Vortag buchen usw., Erfahrungen, von denen man durchaus profitieren kann.
Und ganz nebenbei hat Achatz mit meiner naiven Vorstellung aufgeräumt, dass die heutigen Profifahrer dieses weltbekannten Rennens die gesamte Strecke auf ihrer Rennmaschine zurücklegen. Längst werden sie, so erfahre ich, zwischen den einzelnen Streckenabschnitten geflogen. Wie desillusionierend. Da ist Helmuts Tour ehrlicher, authentischer, gemütlicher – aber er hat ja auch viel mehr Zeit eingeplant.
Ich schätze solche Bücher, in dem Menschen davon erzählen, wie sie etwas machen, von dem sie sich vorher nie haben vorstellen können, das einmal auszuprobieren, wie aus einer verrückten Idee ein Plan und aus einem Plan eine Wirklichkeit wird.
Man kann es gerne Challenge nennen. Offensichtlich müssen sich viele Männer wohl immer große Aufgaben stellen, immer etwas beweisen, merkt meine Frau an, der ich von dem Buch erzähle. Mag sein. Vielleicht sind Männer so.
Wer sich durchbeißen muss, zu scheitern droht, muss sich immer wieder selbst motivieren können. Eine Herausforderung ist keine, wenn man von Anfang an weiß, dass man das Ganze sozusagen aus dem Handgelenk heraus erledigt.
Aber es geht nicht nur ums Durchhalten: Es geht auch darum, das Alles trotzdem zu genießen, mit allen Sinnen zu erfahren, es emotional und intellektuell zu verarbeiten, dabei entstehen dann solche Berichte – veröffentlicht in Büchern und/oder Blogs.
Es ist vollkommen egal, ob dieses Projekt den Menschen nachhaltig verändert oder nicht, ob er am Ende ein anderer ist, fulminante Erkenntnisse gewonnen hat oder nicht. Dem einen mag so eine Challenge simpel vorkommen, vielleicht banal, dem anderen skurril oder absurd, vielleicht wahnwitzig oder lächerlich – ein persönliches Abenteuer für den Beteiligten ist es immer.
So wie Helmut Achatz‘ Frankreichumrundung auch ein großartiges Abenteuer ist.
Nichts davon, was ich bisher gelesen (und zumeist hier als Lesetipp vorgestellt habe) möchte ich nachmachen. Ich will nicht selbst ein Jahr im Zelt übernachten, den Rhein herunterschwimmen, jeden Monat einen Tag und eine Nacht im Wald verbringen, mit einem Esel quer durch Deutschland marschieren oder alle Fußballstadien abklappern, um einen Lieblingsverein zu finden. Und ich möchte und werde ganz sicher Frankreich nicht auf dem Rad durchqueren. Aber ich genieße diese Berichte von den großen und kleinen Fluchten aus dem Alltagstrott. Schon das ist eine kleine Flucht.
Fast schade, wenn man die letzte Seite gelesen hat, diese Tour vorbei ist und man sich quasi voneinander verabschiedet.
Aber wer weiß? Vielleicht ist ja in Helmut Achatz‘ Hinterkopf schon wieder eine neue Idee gereift, von deren Umsetzung wir dann später ausführlich lesen können…
Bildnachweis: Die Fotos stammen aus Helmut Achatz‘ Buch „Tour de France für alte Knacker“ und wurden mir vom Autor für diesen Beitrag zur Verfügung gestellt. Vielen Dank.
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Helmut Achatz: Tour de France für alte Knacker
Taschenbuch / 332 Seiten / Verlag: Book on Demand / Erschienen am 12.12.2018 / Sprache: Deutsch
ISBN-10: 3752829389 / ISBN-13: 978-3752829389
Preis: 15,99 € / Kindle: 9,99 €
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