Blogparade ‚Leidenschaft‘: Die erste Sekunde, in der man nass wird
Dieser Beitrag ist Teil der Blogparade LEIDENSCHAFT der Münchner Iron Blogger. An 30 Tagen im April bloggen verschiedene Autoren ihre Ansichten zu diesem Thema und verknüpfen es mit dem, über das sie sonst auf ihren Internetseiten schreiben. Heute also ich.
Der gestrige Beitrag über Leidenschaft beim Taijiquan stammt von Angelika Fritz. Morgen geht es weiter auf dem Strickblog von Nicole Luck.
Und heute in einer Woche blogge ich zu diesem Thema noch einmal, dann aber etwas ganz Anderes auf www.zwetschgenmann.de. Eine Zusammenstellung aller Teilnehmer und der bisher veröffentlichten Beiträge finden Sie, wenn Sie auf der Seite der Iron-Blogger. Bitte auf das Logo klicken.
Also – Leidenschaft…
Wenn man ein Blog betreibt, in dem man fast ausschließlich übers Schwimmen schreibt und meistens über das eigene, dann könnte man die Frage, was denn meine Leidenschaft ist, schnell beantworten: Schwimmen und Bloggen. Hier übers Bloggen zu schreiben? Wie deplatziert. Also übers Schwimmen.
Schwimmen ist eine Leidenschaft. Fertig. Abgehakt.
Nächstes Blogpost.
Aber so einfach ist es nicht.
Denn ich bin weder ein enthusiastischer Schwimmer, noch „brenne“ ich dafür, ins Wasser zu kommen. Im Gegenteil, ich überwinde mich, selbst wenn es sich noch so verlockend vor mir ausbreitet:
Manchmal beneide ich Ausdauerläufer, die erzählen, dass ihr Körper mit sehr deutlichen Entzugssignalen reagiert,wenn sie nicht regelmäßig auf den Beinen sind und ihr Kilometerpensum herunterspulen. Sie brennen leidenschaftlich für ihren Sport. Sie können nicht anders.
Mein Körper tut das nicht. Aber ich laufe auch nicht.
Ich schwimme. Das ist was ganz Anderes. Das ist, so formulierte es vor einiger Zeit mal Dagmar Reger in der Facebook-Gruppe Bist Du heute schon geschwommen, ein existenzielles Grundbedürfnis. Dem stimme ich nur bedingt zu. Für mich ist es nämlich mitnichten ein Grundbedürfnis und schon gar kein existenzielles, es sei denn, mir steht das Wasser bis zum Hals oder ich habe mehr als ein Fußbreit Wasser unterm Kiel Fuß und kann nicht stehen. Dann ist das aber schnell weniger ein Grundbedürfnis als eine existenzsichernde Notwendigkeit: Eine Überlebensmaßnahme.
Wenn ich allerdings mal ein paar Tage nicht im Wasser war, dann sagt mein Körper mir nicht: „Beweg Dich gefälligst! Tu was!“
Er schweigt und genießt. Da ist er ganz wie ich. Kunststück… wir gehören ja auch untrennbar zusammen. Eine Passion geht irgendwie anders. Finden Sie nicht?
Es ist mitnichten so, dass ich es kaum erwarten kann, ins Wasser zu kommen. Hin und wieder ist es sogar ganz das Gegenteil.
Ich drücke im Hallenbad unter der Dusche noch mal auf den Knopf und lasse mir warmes Wasser über den Kopf rinnen… eine Verzögerungsstrategie. Noch nicht ins kalte Wasser. Zwei Minuten noch, bis der Strahl versiegt. Dann ab ins Wasser. Oder noch mal drücken? Nur einmal noch heißes Wasser auf mich niederprasseln lassen. Und danach gleich noch mal?
Diese Drückeberger-Mentalität habe ich schon als Grundschulkind erfolgreich in die Tat umgesetzt: Verzögern, verstecken, verschwinden – alles, um nicht ins kalte Becken zu müssen. Das hat nicht oft funktioniert, aber hin und wieder eben doch.
Irgendwann sagt der Verstand, dass es geradezu lächerlich ist, was ich unter der Schwimmbaddusche veranstalte. Er gibt mir den dringend notwendigen Tritt in den Hintern. „Es ist lächerlich, was Du hier veranstaltest. Raus mit Dir. Stell Dich nicht an wie ein kleines Kind!“
Hic Rhodos – Hic salta!
Also springe ich hinein ins Becken. Die erste Sekunde ist grauenhaft: Ganz ehrlich. Viele Schwimmer sagen, das wäre der schönste Moment beim Schwimmen. Dass ich nicht lache.
Ein Scheiß ist das, ein nasser und ein kalter noch dazu. Der Körper krampft sich zusammen – ein Wunder, dass nicht augenblicklich die Atmung aussetzt und das Herz stehen bleibt. Wenn ich Pech habe, rutscht mir auch noch die Schwimmbrille von den Augen, weil ich sie nicht stramm genug gezogen habe. Alles Scheiße, Deine Elli.
Draußen ist es oft nicht besser.Dort kommt es bisweilen knüppeldick.
„Wollen wir uns das wirklich antun?“ versuchte ich nicht nur einmal, Schwimmfreund Herbert davon abzubringen, dass wir zur Kiesgrube fahren. Ein schwacher, kläglicher Versuch, der von vorneherein zum Scheitern verurteilt ist. Der Gedanke, gleich ins kalte Wasser zu steigen, das in den Neoprenanzug dringt und mich quasi schockgefrieren lässt, ist eklig. Warum nicht lieber ins geheizte Freibad? Weil es schon zu hat und die Halle noch nicht wieder auf.
Minutenlang stehe ich bis zu den Knöcheln im Wasser – manchmal trotz Neopren – und zögere. Ich weiß, das ist falsch. Wer zögert, verliert. Hat schon verloren.
Also schmeiße ich mich nach vorne, weil es kein Zurück gibt, zumindest nicht ohne Reputationsverlust, denn irgendeiner ist immer da, der schaut. Meist Herbert, oft noch ein paar Sonnenanbeter oder Spaziergänger.
Also los.
Ich tauche ein und tauche unter. Dazu bin ich schließlich hier – verdammt noch mal.
Mir bleibt die Luft weg, ich werde sterben. Jetzt. Und ich bin selbst schuld. Spontaner Herzstillstand wird auf dem Totenschein stehen. Oder Tod durch Ertrinken. Die Arme und Beine werden bleischwer. Sie härten förmlich aus wie warmes, weiches Wachs, das man in kaltes Wasser legt bis sie fast bewegungsunfähig sind. Etwas Aufwärmen der Muskeln vorher wäre vielleicht nicht verkehrt gewesen, aber das „Gehampel“ am Ufer schaut ja auch ein wenig albern aus. Also hab ich das wieder mal ausgelassen. Ich sag’s doch: Selbst Schuld.
Bei jedem Schwimmzug habe ich das Gefühl, als befände sich jemand hinter mir, der mich an den Beinen festhält, damit ich nur ja nicht weiterkomme.
Aber irgendwie geht es dann doch – immer. Leidenschaft geht eben wohl nicht ohne Leiden.
Die Kräfte kehren zurück, das Herz schlägt weiter (natürlich) und pumpt das Blut in die Extremitäten. Ich werde nicht erfrieren. Natürlich nicht. Warum auch?
Die Atemluft reicht für weitere Züge. Und – oh Wunder! – ich kann wieder einatmen. Und ausatmen. Ohne zu schnappen. Und einatmen. Alle vier Züge – dann alle sechs. Ich komme in einen Rhythmus. Es läuft. 100 Meter, 200 Meter, 300 Meter und es werden mehr. Da ist er: Der Flow, Endorphine werden ausgeschüttet. Mann, ist das wieder geil heute.
Es ist schwer zu beschreiben, was dann passiert, das muss man selbst erleben.
Aber schwimmen ist alles andere als langweilig, es ist viel mehr als Kacheln zu zählen oder ins Trübe zu starren. Schwimmen ist sinnlich: Vom Wasser getragen zu werden, es zu spüren, zu schmecken, zu riechen, zu sehen; es zu durchpflügen, es beim Armzug vom Oberarm abperlen zu sehen, es wieder mit der Hand zu berühren, es zu fassen und dann nach hinten zu drücken. Das ist Leidenschaft.
Nichts ist schöner als direkt nach einem Regenguss in einen See zu steigen. Das Wasser ist samt, seidig, rein. Selbst, wenn ich mit meinem Schwimmen fertig bin, fällt es mir schwer, es zu verlassen. Oft greife ich mir die Unterwasserkamera und schwimme noch mal los. Ich paddel herum, lasse mich treiben und mache ein par Fotos.
Bilder zu machen, davon nicht wenige Selfies, und in den Blog zu stellen ist weniger ein Bedürfnis der Eitelkeit als der Wunsch, diesen Moment in Bildern zu konservieren, um sich beim späteren Betrachten daran zu erinnern, wie schön es wieder war. Und dass es sich gelohnt hat – allen Widrigkeiten des Anfangs und all der Anstellerei zum Trotz. Mein Blog ist zwar in erster Linie mein persönliches digitales Schwimmtagebuch, aber ich versuche auch, meinen Lesern zu erzählen, was man beim Schwimmen so erleben kann. Dazu gehören eben auch die unglaublichen Glücksmomente und diese Passion, die doch eine ist.
Ich werde erst mit Schwimmen aufhören, wenn ich nicht mehr kann. So etwas soll allerdings auch schon vorgekommen sein…
Vielen Dank fürs Lesen.
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Großartig! Auch wenn ich kein Schwimmer bin, ich kann dich so gut verstehen. Dieser Zweifel, ob es wirklich Leidenschaft ist, wenn sich nicht alles danach verzehrt und man sich oft sogar überwinden muss, um damit zu starten. Und dann dieser Zustand, wenn man sich überwunden hat und das Glück den Körper durchströhmt. Vielen Dank. Dein Artikel hat mich gerade sehr für meinen eigenen Leidenschafts-Artikel bestärkt.
Diese Frage, warum und ob wir das uns alles antun (müssen), treibt auch mich durchaus um. Nicht vor dem Sprung ins Wasser, sondern bevor es auf den Berg geht. Immer wieder. Und in noch einem Punkt erkenne ich mich voll und ganz wieder: Das Ganze nicht auf Anhieb “Leidenschaft” nennen zu wollen. Nur um dann zu erkennen: Doch, genau das ist es. Irgendwie. Danke für diesen schönen & amüsanten Artikel! Viele Grüße, Nadine
… :) ich habe zwischendruch Tränen gekichert, weil ich mich so sehr selbst erkannte, gerade heute wieder :) … einfach herrlich Deine Ausdruckskunst :) Danke :)