Julia und die Spuren
Da steht sie – die Julia im Herzen Münchens. Sie wird beglotzt und begrabscht, tausendmal fotografiert, mal allein, mal mit Touris, nicht selten, dass ihr da einer lachend und feixend die Hand auf die Brust legt.
Julia ist der Abguss der gleichen Julia, die in Verona steht, dort geht es dem Original mitnichten besser. Da Verona und München eine Städtepartnerschaft unterhält, wurde der Stadt an der Isar von der Stadt am Arno eine Julia geschenkt, die an der Flanke des alten Rathauses steht, dort, wo der Weg vom Marienplatz ins Tal hinabführt.
Bei Weißbier und -wurst im Weißen Bräuhaus weist mich Alex darauf hin, dass hinter der Julia ein äußerst bemerkenswertes Transparent errichtet wurde. Gesehen hat er es auf dem Weg von der U-Bahn zum Wirtshaus. Ich solle mir das unbedingt anschauen.
Es ist eines der besten Transparente überhaupt. Im Kontext mit der Skulptur ist es so plakativ wie intelligent, es trifft die Sache auf den Punkt und ich finde wirklich alles gut daran:
Aufgestellt hat es die Frauenrechtsorganisation Terre des Femmes.
Und recht haben sie. Wir sinnieren, wie viele Menschen nicht an Julia vorbeilaufen können, ohne ihr an die Brust zu fassen. Sind es überwiegend Männer? Finden sie das witzig? Scheint so, so wie sie sich beim fotografiert werden bisweilen benehmen.
Nämliches machen Fußgänger:innen auch an den bronzenen Löwen an er Residenz und dem Wildschwein vor dem Jagd- und Fischereimuseum in der Fußgängerzone. Das bringt Glück, denken sie; oder verheißt wie im Fall Julia die ganz große Liebe.
Nur: Wer einer weiblichen Bronzefigur an die nackte Brust tatschen muss, um die ganz große Liebe zu finden, hat vielleicht das Eine oder Andere verstanden – aber sicher nichts von Liebe.
Die Frage steht im Raum, ob eine nackte männliche Bronzefigur die Passant:innen auch auf der Suche nach Glück oder ewiger Liebe animieren würde, dem Kerl die Geschlechtsteile zu streicheln und blank zu wetzen. Ich vermute und behaupte, dass das mitnichten der Fall wäre, aber das kann ich nicht wissen. Allerdings kenne ich auch keine einzige Skulptur eines nackten Mannes, bei der Passant:innen wie selbstverständlich die Geschlechtsorgane begrabschen, sich dabei fotografieren lassen und das auch noch gut finden. Falls Sie ein Beispiel wissen, schreiben Sie mir das gerne in den Kommentar.
Kann man sich gegenüber eines Kunstwerks übergriffig, sexistisch verhalten? Ich denke schon. Daher sind Alex und ich auch der Meinung, dass ein höherer Sockel, der die Brüste in unerreichbare Höhen hieven würde, vielleicht am Symptom des Grabschens etwas ändert, aber nicht an der Denke derer, die die Finger nicht bei sich halten können. Alex verweist auf die Minirock-Thematik. Nicht die Frau, die einen solchen trägt, ist schuld, wenn sie sexuell belästigt wird, nach der Devise: Hätte sie sich halt anders gekleidet. Der, der sie belästigt, ist es. Sonst niemand! Nicht der zu niedrige Sockel ist die Ursache, dass die Bronzefigur befingert wird, sondern diejenigen, die ihre Pfoten nicht bei sich behalten können. Es wäre interessant, eine Weile dort am alten Rathaus stehen zu bleiben und zu beobachten, wie sich die Menschen verhalten, so lange das Banner dort steht. Langen sie trotzdem die Brust an oder scheuen sie sich?
Auch wenn ich den allermeisten, die Julia anfassen, unterstellen möchte, dass sie das bei einer lebendigen Frau niemals machen würden, zeigt das Verhalten für mich bedtens die Mischung aus Gedanken- und Respektlosigkeit. Es ist eine Frage der Grundeinstellung, zu meinen, sich solche Übergriffigkeiten herausnehmen zu dürfen. Nicht nur gegenüber Frauen.
Auch gegenüber der Kunst: Denn man(n) muss Kunst nicht angrabschen. Grundsätzlich nicht.
Und andere Menschen schon gleich zweimal nicht!
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Mein Feministinnenherz frohlockt beim Lesen dieses Textes- danke dafür, lieber Lutz! 💚
Danke, liebe Carola.
Oma, man(n) muss andere Menschen nicht angrapschen, manche Kunst muss man aber begreifen dürfen – wenn man zum Beispiel nichts sieht. Aber eigentlich wollte ich zum Menschen betüddeln und übern Kopf streicheln etwas sagen. Wie oft werden meine kleinwüchsigen Junioren ungefragt gestreichelt, weil ‚sie ja so arm dran sind!‘ Ist auch eine Art Diskriminierung, nennt sich Ableismus.
Liebe Grüße, piri
Ja, da stimme ich Dir vollkommen zu.
und auf der Bodenplatte vom Stier in Mailand in der Mall neben dem Dom drehen sich alle auf dem Geschlechtsteil. Vermutlich ist er inzwischen Ochse :-). Also auch dort wird kein Halt gemacht, weil es ja was bringen soll.