Im Herbstlaub schwimmen

Nein – auch wenn der Spätsommer ein fulminantes Gastspiel im Oktober geliefert hat: Es ist Herbst. Man sieht es ganz deutlich. Kaum, dass ich das Laub im Hof zusammengekehrt und zum Wertstoffhof gebracht habe, genügt ein Windstoß: Und wieder ist alles voller Herbstlaub. Die Blätter fallen nun mal – es ist Saison für Laubbläser und -sauger. Und die Feger fegen.

Frisch gefallenes Herbstlaub, nasses allzumal, hat einen unverwechselbaren, sehr charakteristischen Duft, der schwer zu beschreiben ist: Würzig, waldig, erdig, aber nicht modrig – noch nicht. Ein Duft, der einem (mir zumindest) in der Nase hängen bleibt und sofort Kindheitserinnerungen weckt.

Damals im Kirchenwald. Der Wind trieb das Laub vor sich her, es sammelte sich in einer Ecke, vielleicht hat auch jemand nachgeholfen – ein wahrer Berg an Buchenblättern. Hoch genug und weich genug, dass wir uns haben hineinfallen lassen können. Ein paar Stöckchen dazwischen mögen den einen oder anderen kleinen Kratzer provoziert haben – aber das locker geschichtete Laub fing und auf, ohne dass wir auf den harten Boden darunter auftrafen. Wieder und wieder – mit immer mehr Anlauf. Baden im Laub. Schwimmen, Tauchen.
Ein anderes Mal haben wir mit wuchtigen Tritten das zusammengerechte Laub auf dem Weg durch den Wald wieder auseinantergetreten. Das Laub wirbelte auf, flog im hohen Bogen davon – der arme Mensch, der die Wege gereinigt hatte, muss uns dafür verflucht haben. In Laubhaufen trete ich heute noch mit großer Leidenschaft und Unbekümmertheit. Ja – ich weiß: Es gab und gibt immer Idioten, die große Steine in solche Haufen platzieren. Oder Hundekot. Trotzdem.

Und ich erinnere mich, dass wir bei einem Spaziergang mit unseren Eltern und einer befreundeten Familie endlos viel Laub zwischen den Bäumen herausgeholt und den schmalen Weg vor einer Kurve damit überhäuft haben. Laub, Äste, Steine. Der Weg war darunter begraben. Einem ortsunkundigen Spaziergänger mag es so vor gekommen sein, als ende der Weg dort – im Wald, im Nichts.
Und so war es auch. Wir Kinder legten uns auf die Lauer und freuten uns diebisch, als die ersten Spaziergänger kamen, irritiert schauten und umkehrten. Sie dachten wohl, es ginge nicht weiter…

In diesem Jahr aber freue ich mich über das würzige, duftende, frische Laub an ganz anderer Stelle. Im Weiher. Mitte Oktober ist es noch immer so warm (vor allem das Wasser), dass ich noch im Freiwasser schwimmen kann. Der Neoprenanzug hält gut warm, und gelegentlich mache ich Pause an der flachen, schlammigen Stelle in der Nähe des benachbarten Kieswerks – dort ist das Wasser vier bis fünf Grad wärmer.

Sonne über dem Weiher

Vor allem am Ostufer sammelt sich Laub auf dem Wasser, dort stehen Sträucher und hohe Bäume, dorthin treiben auch Wind und Wellen das abgeworfene Herbstlaub. Und genau durch dieses schwimme ich hindurch. Ich muss das einfach tun – wie damals, als wir durchs Laub gerannt sind.

Herbstlaub im Wasser

An sich bin ich kein Fan davon, durch Blätter zu schwimmen, vor allem durch See- und Teichrosen nicht. Aber das hier ist etwas anderes. Bei meiner letzten Runde mache ich hier einen Stopp. Da ist er wieder: Der Duft des Laubes. Unverwechselbar.

Ich will fotografieren. Zunächst beschränke ich mich darauf, ein paar Blätter, die direkt vor mir im Wasser sind, vor die Linse zu nehmen.

Dann komme ich auf die Idee, sie von unten zu fotografieren. Mit meiner Unterwasserkamera ist das kein Problem. Ich halte sie etwa zwanzig Zentimeter unter die Blätter, löse ein paar Mal aus, das eine oder andere Bild wird schon was geworden sein.

Überhaupt – warum nicht öfter Blätter erst von oben und dann von von unten fotografieren? Die Perspektive ist ungewöhnlich, reizvoll und vor allem zukunftsorientiert. Denn es kommt die Zeit, da werde ich nichts anderes mehr machen, als Blätter von unten anzustarren…

Da kann ich mich ja schon mal an den Anblick gewöhnen. Schade nur, dass ich dann nicht gleichzeitig auch die Sonne sehen werde…

Bis es allerdings soweit ist, vergnüge ich mich am flüchtigen Eindruck, den das um mich treibende, duftende Herbstlaub im Weiher hinterlässt.

Vor kurzem schrieb Anna Krämer, mit der ich im Februar im Saarland schwimmen war, einen sehr klugen Satz auf Facebook in ihr Profil: „Meine zukünftige Form des Schwimmens heute definiert: Zeit, Geschwindigkeit, Entfernung, Temperatur … völlig egal! Freude, Erlebnis und gutes Gefühl … Unabdingbar!“
So ist es. Mir ist es an solchen Tagen völlig egal, ob ich zwei oder drei Kilometer im Weiher geschwommen bin, ob ich dafür 40 oder 60 Minuten gebraucht habe, ob ich einmal oder fünfmal angehalten und Pause gemacht habe, ob ich einen oder ein Dutzend Fotostopps eingeschoben habe. Die Freude zählt, das Erlebnis, das gute Gefühl. Und davon möchte ich in Wort und Bild zu erzählen und dafür zu werben: Freude, Erlebnis und gutes Gefühl. Schwimmen ist eben so viel mehr als Bahnen kloppen und Kacheln zählen.

„Schwimmen in und durch den Herbst … ich liebe es. Den Wald in seiner ganzen Stille und die Blätter, wie sie sich sanft verabschieden … und trotz der Wärme spürt, riecht und fühlt man überall den Umbruch … so unfassbar schön …“ möchte ich noch einmal Anna zitieren, die gestern das gleiche Thema aufgegriffen und es beschrieben hat.

Wie recht sie hat…


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