Blogparade: ‚Als ich zehn war‘: Große Klappe, nichts dahinter

Ehrensache, dass ich in meinen eigenen Blogs an meiner eigenen Blogparade teilnehme. Hier also zweite Beitrag, nachdem im Zwetschgenmannblog bereits einer erschienen ist. Übrigens: Sollte ich jemals auf die Idee kommen, aus diesem Blog ein Buch übers Schwimmen, also über mein Schwimmen, zu veröffentlichen, dann muss ich natürlich auch einen Blick zurück in graue Vorzeiten werfen… in die Zeit, in der ich nur ungern schwimmen gegangen bin. Damals, als ich zehn war.
Nicht, dass ich als Kind besonders wasserscheu gewesen wäre… Ich konnte halt nur nicht schwimmen. Lange nicht. Und außerdem war das Wasser im Hohenlimburger Hallenbad, von dem hier bereits die Rede war, viel zu kalt, da drückte ich mich lieber unter der Dusche oder auf der gewärmten Bank herum. Kommen wir aber zu der Episode, die es zu erzählen gilt und die dereinst vielleicht in einem Buch stehen wird:

…Einmal aber wollte ich es wissen. Da war ich vielleicht zehn Jahre alt oder so. Todesmutig wollte ich mich vom Einmeterbrett ins Becken stürzen. Andere meines Alters nahmen längst Anlauf und machten einen Köpper (wie wir den Kopfsprung nannten), und zwar richtig, mit Anlauf und Sprung, um das Brett zum Federn zu bringen. Ich konnte so etwas natürlich nicht, nicht mal einen gescheiten Kopfsprung vom Beckenrand. Wenn ich mal einen versuchte, streckte ich die Arme aus, krümmte mich nach vorne und ließ mich ins Wasser fallen. Aber meistens probierte ich nicht mal das.
Aber an diesem Tag sollte es soweit sein. Oft genug hatte mein Vater mich geködert, für einen Sprung vom Einer hatte er mir fünf Mark versprochen, für den Sprung vom Dreier das Gleiche. Den Sprung vom Fünfmeter-Turm hätte er mir mit 10 Mark belohnt, das Geld habe ich mir nie verdient, nicht zuletzt, weil ich unter ausgesprochener Höhenangst leide. Ich mag keine Abgründe unter mir. Fertig!

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Ort der Erinnerung

Die Angst vor dem Nicht-Schwimmen-Können war da das kleinere Problem, denn für die paar Züge zurück zur Leiter, um das Becken verlassen zu können, reichte es allemal.
„Schisser“, verhöhnten mich die anderen. „Feigling! Hosenscheißer!“ als ich ein einziges Mal auf den Dreier stieg, kurz nach unten schaute und dann den gleichen Weg zurück nahm, den ich gekommen war: Die Leiter.
Jetzt aber stand ich endlich an die Reihe gekommen mal wieder auf dem Einmeterbrett. Schlotternd und langsam tastete ich mich Schritt für Schritt nach vorne, den drohenden Abgrund erst vor, dann unter mir. Ich schielte nach meiner Mutter, die im Wasser in der Nähe des Brettes schwamm.
Oft genug hatte ich ihr gesagt: „Heute trau ich mich. Heute spring ich wieder.“
Da brauchte ich – wer kann es dem Kind verdenken? – natürlich nicht nur einen Zeugen, sondern auch jemanden, der hinterher das Füllhorn des Lobes ausschüttet. Noch vom Brett her rief ich nach ihr.
„Ich springe. Schau!“ vergewisserte mich zum x-ten Mal, dass ich wirklich ihre uneingeschränkte Aufmerksamkeit hatte.
„Kuck…“ rief ich wieder. „Gleich!“. Aber ich sprang nicht. Ich stand ganz vorne und mir fehlte der Mut.
Andere Badegäste hatten das Spektakel natürlich auch mitbekommen und warteten auf den erlösenden Sprung ins Wasser, damit endlich wieder Ruhe einkehrt.
Der aber blieb erst mal aus. Dann kniff ich mir die Augen und die Nase zu und sprang doch, paddelte zur nahegelegenen Leiter und lief zurück zum Sprungbrett. Geschafft.

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Das Jahr danach

War gar nicht so schwer. Ich wollte es noch einmal wagen.
Zwei oder drei Teenager posierten mittlerweile vorne auf dem Brett. Sie wippten, sprangen, ließen ihre Muskeln spielen, rangelten und taten genau das, was Teenager eben tun: Sie versuchten Eindruck zu schinden bei den Mädchen, die im Wasser am Beckenrand standen und sie anschwärmten. Posing pur.
Minutenlang ging das so. Ich kleiner, dürrer Hänfling musste zusehen, konnte aber meinen Sprung nicht wagen. Dabei hätte ich doch so gern.
Irgendwann wurde es mir dann aber zu bunt. Ich wollte nicht länger warten, ich hatte Angst, meine Mutter würde sich entfernen, vielleicht ein Stück schwimmen und dann im entscheidenden Moment nicht zuschauen. Den ersten Sprung hatte sie ja gesehen, vielleicht reichte ihre Geduld nicht.
All meinen Mut zusammennehmend tapste ich nach vorn. Mit piepsiger Stimme (so berichtete es meine Mutter noch jahrelang) habe ich dann zu dem einen Jugendlichen gesagt: „Jetzt spring endlich, sonst trete ich Dir in die Eier!”
Das muss ein großartiges Bild gewesen sein. So eine halbe Portion, die einem muskelbepackten Heranwachsenden einen Tritt in die Weichteile androht.
Meiner Mutter, die mich natürlich vom Wasser aus beobachtete, rutschte in dem Moment das Herz in den Badeanzug.
Jetzt bekommt er gleich dermaßen eine geknallt, dass er gar nicht mehr springen muss. Der fliegt auch so ins Wasser”, war ihr erster Gedanke.
Der Typ aber nahm es gelassen hin, lachte laut und sprang ins Wasser. Der andere tat es ihm nach.
Endlich konnte ich mich wieder ganz vorn hinstellen, wieder die Augen zukneifen, die Nase zuhalten und – hops, hinein in die Charybdis, den tosenden Schlund. Die Füße natürlich zuerst, den Körper versteift und durchgestreckt.
Ich hatte mein Ziel erreicht, mit der großen Klappe, und nur ganz wenig dahinter. Denn das Ganze hätte auch übel ausgehen können.
Selig tauchte ich auf, stolz wie Oskar und triumphierend. Meine Mutter versuchte mir klar zu machen, dass es eine blöde Idee sei, jemandem, der einen Kopf größer, doppelt so breit und um vieles kräftiger ist, anzudrohen, ihm in die Eier zu treten. In dem Moment war mir das egal, was kostet die Welt…

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1 Antwort

  1. 13. Oktober 2016

    […] Mit großer Klappe aufwarten – konnte ich schon immer. Auch als ich zehn war. Dahinter war freilich wenig… […]

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