Bilder aus Georgien (12) – Im Kaukasus, das Highlight der Reise
Georgien ohne den Kaukasus zu bereisen ist irgendwie wie München ohne den Marienplatz zu besuchen, Hamburg ohne Hafenrundfahrt oder Wien ohne einen Praterbummel.
Kann man machen, sollte man aber nicht. Es wäre schlicht unvollständig. Und man verpasst etwas äußerst Beeindruckendes. Denn die Tour in den Kaukasus bildete meiner Meinung nach den Höhepunkt, das Intensivste, Spannendste, Interessanteste und sicherlich Lehrreichste der ganzen Reise.
Für Georgien ohne Khinkali gilt übrigens das Gleiche, zusammen mit Khachapuri sind die Khinkali genannten Teigtaschen quasi die Nationalgerichte, wie Pizza und Pasta in Italien, die Cevape in Bosnien oder der Schweinsbraten in Oberbayern. Muss man essen. Keine Widerrede.
Und weil der Kaukasus der Höhepunkt war, kommt er hier in der Blogreihe als Abschluss, denn das Beste kommt (immer!!!) zum Schluss, lassen Sie sich da ja nichts anderes erzählen. Dann stimmen zwar die Chronologie des Erlebten und des Erzählten nicht überein, aber das war ja von Anfang an so.
Es ist unmöglich, alles zu erzählen, was wir an diesem Tag erlebt haben. Über drei Stunden dauerte allein die Fahrt von Tbilissi nach Stepantsminda ganz im Norden des Landes kurz vor der russischen Grenze. Das war zum Einen dem chaotischen Verkehr in der Hauptstadt geschuldet, zum anderen der Tatsache, dass der größte Teil der Strecke eine alte Heeresstraße durch und über den Kaukasus darstellt, also Serpentinen rauf und runter über Pässe und diese Straße heute die einzige offene Grenzverbindung nach und von Russland aus darstellt. Ergo muss sämtlicher LKW-Verkehr hier rauf und rüber, der russische, georgische, türkische, armenische, aserbeidschanische… und wer sonst noch die Achse Nord-Süd auf der Landbrücke zwischen Schwarzem und Kaspischen Meer benutzt.
Die Straßenverhältnisse sind eher bescheiden: Schlaglöcher, enge Kurven, niedrige Lawinengalerien… und manchmal auch Kühe auf der Straße. Entsprechend langsam geht es voran.
Und warum muss man in den Kaukasus?
Weil es ohne nicht geht. Weil es atemberaubend schön ist und weil dort unterhalb de Kazbegi, einem Fünftausender, der die Alpen alt aussehen lässt, die Dreifaltigkeitsskirche von Gergeti liegt: Ein ikonisches Gebäude, tausende Male fotografiert und im Netz gezeigt. Das ist Georgien als Postkartenmotiv, der Kristallisationspunkt. Das ist ein Ort, der diese ganz besonderen Gefühle auslöst, etwas mit eigenen Augen zu sehen, was man vorher auf so vielen Bildern gesehen hat. Ja, das gibt es wirklich. Live und in Farbe, und ich stehe davor, um es zu bestaunen… und dann das Bild (was heißt „das Bild“? Es sind hunderte) zu machen, das alle machen.
Für die Tour haben wir tief in die Tasche gegriffen, es hat sich unbedingt gelohnt. Wir haben uns einen Wagen mit Fahrer gegönnt, was eine kluge Entscheidung war. Andernfalls hätten wir weitaus weniger gesehen. Als Beifahrer blickt und fotografiert es sich viel entspannter aus dem Fenster. Und vermutlich hätten wir spätestens am Pass hinauf nach Gudauri die Faxen dicke gehabt und wären umgekehrt.
Zu dem Fahrer kam ein georgischer Wander- und Reiseführer. Giorgi der, welch großes Glück, hervorragend deutsch sprach. Er führte uns von Stepantzminda hinauf zur Klosterkirche und wieder herunter. Das Beste aber war, dass wir ihn den ganzen Tag mit tausenden von Fragen über Georgien löchern durften. Kaum ein Thema, das dabei nicht zur Sprache kam. Zusammen mit der Backstreet-Tour in Tbilissi haben wir so enorm viel über das Land erfahren, vieles vor allem, was man weder in Reiseführern noch -blogs lesen kann.
Georgi marschierte mit uns quer durch den Wald auf schmalen Pfaden zur Dreifaltigkeitskirche, ein Jugendlicher zu Pferd überholte uns, kam uns aber nach 20 Minuten wieder entgegen, weil er sein Handy bei dem Ritt verloren hatte. Er fand es später wieder. Wieder ein Gesprächsthema: Pferde im Kaukasus – in Georgien überhaupt.
Etwas desillusionierend war wieder einmal, dass es mittlerweile auch eine gut ausgebaute Straße hinauf gibt. Vor der Kirche wurde ein Parkplatz angelegt, mehrere Dutzend Kleinbusse karren Tourist:innen hin und zurück. Die gefühlte Einsamkeit ist keine, auch das Erwandern, um einen solchen Ort sehen zu können wird so etwas entwertet, aber damit muss man klar kommen…
Immerhin gibt es bis auf ein paar Reiter und Schafherden dort oben noch nichts anderes. Ich denke allerdings, in nicht allzu langer Zeit werden dort die ersten Getränke- und Souvenirbuden errichtet werden. So ist das nun mal, wenn der Tourismus kommt und jede/r daran mitverdienen will, was andererseits auch vollkommen legitim ist.
Mitgebucht war auch ein Mittagessen zu Gast bei einer georgischen Familie. Das Essen fand in einem separaten Gebäude hinter dem Wohnhaus statt, so richtig „in Familie“ war das nun nicht. Die Frau des Hauses tischte üppig auf, blieb aber im Hintergrund. Natürlich gab es auch Khinkali, die wir selbst mit zubereiten konnten. Meine Frau wollte, ich eher nicht. Fazit beim Zuschauen und aus verbindlicher Quelle gehört: Es sieht so leicht aus, ist aber nicht.
Was noch erwähnt werden könnte: Die beiden Stopps auf dem Rückweg nach Tiblissi.
1. Zwischenstopp am Panorama Gudauri
Ein etwas bizarrer Aussichtspunkt befindet sich in der Nähe von Gudauri, ein Monument aus den 80ern, als Georgien noch Teil der UdSSR war. Es rühmt und preist die russisch-georgische Völkerfreundschaft, für die Giorgi allerdings nur Hohn übrig hatte. Und so hörte er auch konsequent weg, als ihn ein paar junge Russen baten, ein Foto von ihnen zu machen. Erst, als diese die Frage auf englisch wiederholten, machte er das gewünschte Bild.
In der Nähe des Aussichtspunkts stehen viele Zelte, es sieht sehr urtümlich und folkloristisch aus – das ist es aber nicht, wie uns Giorgi erklärt. Es sind Georgier, die dort den LKW-Fahrern günstig Essen verkaufen, vor allem denen aus der Türkei. Denn vieles wird dort Halal zubereitet, worauf entsprechende selbst gemalte Schilder am Straßenrand auch hinweisen.
Beeindruckend ist der Ausblick von der Plattform – beeindruckend zum Einen, weil die Landschaft, das Vulkangebirge Kaukasus fantastisch aussieht, beeindruckend zum Anderen, weil man weit hinein sieht nach Südossetien, jener abtrünnigen Provinz, die sich mit russischer Unterstützung 1990 von Georgien losgelöst hat und von Russland als eigener Staat anerkannt und unterstützt wird. Entsprechend kam es in und um die Region zu einem ersten Krieg und einem zweiten 2008 mitsamt Vertreibungen und ethnischen „Säuberungen.“
Zwischenstopp in Ananuri
Am Rand der Stadt Ananuri liegt oberhalb des Zhinvali Reservoirs die ღვთისმშობლის მიძინების ეკლესია (ich kann es nicht lassen, ein letztes Mal diese wunderbare Schrift hier zu zeigen), die Kirche Mariä Himmelfahrt.
Sie ist Bestandteil einer mittelalterlichen Festung aus dem 12. Jahrhundert, einst heftig umkämpft mit allem, was dazu gehört: Also Schlachten, Intrigen, Mord und Totschlag. Uns präsentieren sich Festung und Kirche im sanften, strahlenden Abendlicht. Höchst idyllisch, höchst sehenswert und vollkommen menschenleer präsentierte sie sich uns oberhalb der großen Talsperre, deren aufgestautes Wasser die Trinkwasserversorgung von Tiflis sicherstellt. Gleichzeitig wird hier über Wasserkraft sehr viel Elektrizität gewonnen. Würden nicht Instandsetzungsarbeiten in der Festung stattfinden, es wäre ein Ort der Stille, der Ruhe, was sich im Abendlicht besonders schön anfühlen könnte. Ein kaum wahrnehmbarer, gut getarnter Straßenhund wartet am Haupttor auf etwas Fressbares (Tiersuchbild in der Galerie), ein anderer hat es sich auf dem Söller der Festungsmauer bequem gemacht. Aber Stille und Ruhe haben wir nicht, der Fahrer will heim, er drängelt nach einem langen Tag. Auch irgendwie verständlich.
„Wer weiß, wie lange wir das Land noch besuchen können,“ antwortete ich mehr als einmal in Unterhaltungen über unsere Reise nach Georgien. Das zielte zum Einen auf die eigene körperliche Fitness und auch Bequemlichkeit ab, mit den Jahren weniger Anstrengungen im Urlaub auf uns zu nehmen. Aber es war durchaus auch die politische Entwicklung vor den damals anstehenden Wahlen im Blick, was passieren könnte, wenn die russlandorientierte Partei Georgischer Traum die Wahl gewinnen würde. Was sich abzeichnete.
Genau das ist passiert und die Frage, wie lange Georgien noch ein attraktives wie sicheres und unkompliziertes Reiseziel bleiben wird, hat an Relevanz gewonnen. Gut, dass wir die Reise bereits gemacht haben.
Mit diesem Beitrag voller Bilder und einiger geschilderter Eindrücke geht die Reihe über Georgien zu Ende. Eine Übersicht über alle Beiträge finden Sie in der Ankündigung der Serie hier. Klicken Sie sich gern einfach mal durch.
Vielen Dank fürs Lesen. Wenn Ihnen dieser Artikel gefallen hat, dann freue ich mich, wenn Sie ihn Ihren Freunden weiterempfehlen – z.B. über Facebook, Twitter, in Internetforen, Facebookgruppen o.ä. Haben Sie Fragen oder Anmerkungen zu diesem Beitrag? Dann nutzen Sie bitte das Kommentarfeld. Gern dürfen Sie meine Artikel auch verlinken.
Wenn Ihnen dieser Beitrag gut gefallen hat und Sie mir spontan einen Kaffee spendieren wollen, dann klicken Sie bitte auf den Kaffeebecher. Mehr dazu hier.
In meinem Webshop finden Sie ganz neu und exklusiv das Fotobuch Schmetterlinge und Wasserfälle – Bilder und Notizen einer Reise durch Bosnien und Herzegowina. Weiterhin sind im Webshop u.a. auch erhältlich: Mein Fotobuch Im Süden – Bilder eines guten Jahres und die fünf Fotobücher von Ursula Zeidler: Freie Schnauze – Weideschweine, Paare, Münchner Freiheiten – Zwei Jahre Theresienwiese April 2019 – April 2021, Augenblicke, und einfach Kinder.
Entdecke mehr von Mal Zwetschgenmann - Mal Wassermann
Subscribe to get the latest posts sent to your email.