Gastbeitrag: Als Rollstuhlfahrerin im Schwimmbad

Von Dagmar Reger

„Großer Geist, bewahre mich davor, über einen Menschen zu urteilen,
ehe ich nicht eine Meile in seinen Mokassins gegangen bin.“

Dieses alte indianische Sprichwort haben wir sicher alle schon einmal gehört und viele bestimmt auch genutzt, aber es ist manchmal gar nicht so einfach, sich auf „die andere Seite“ zu begeben.
Seit einem Unfall 1993 bin ich gehbehindert, bisher bewegte ich mich aber mit Unterarmgehstützen (oder eben „Krücken“). Niemand schaut einen anderen komisch an, weil er diese Gehhilfen benutzt, denn meist ist das ja nur Folge eines Missgeschicks, jeder hatte das schon mal, alles bestens für den Normalbürger. Mittlerweile bin ich auf den Rollstuhl angewiesen und meine Welt hat sich extrem verändert!
Ich könnte nun lange darüber schreiben, wie es ist, wenn Menschen plötzlich nicht mehr mit mir, sondern nur noch über mich reden, wie es sich anfühlt, wenn man im Geschäft vom hilfreichen (und sehr laut und langsam sprechenden) Verkäufer nicht mehr selbst nach der gewünschten Kleider- oder Schuhgröße gefragt wird, sondern der hinter dem Rolli stehende Ehemann, aber heute will ich mich nur einem Thema widmen – dem Besuch im Schwimmbad.


Mein Stamm-Schwimmbad ist sehr rollstuhlfreundlich eingerichtet; breite, elektrische Schiebetüren, ein extra niedriger Tresen, sehr großzügige Gänge, es sind sogar zwei extra Rollstühle vorhanden, die für Leute zur Verfügung stehen, die auf rutschigem Boden nicht gut laufen können, oder auch für Selbstfahrer, die ihren eigenen Rolli nicht nass machen möchten. Das Becken hat zwei Lifter, einen zur Selbstbedienung, einen mit Gurten für Leute, die Hilfe brauchen, selbst Schwimmhilfen für alle Leistungsklassen sind vorhanden. Kurz: Besser geht es eigentlich fast nicht, doppelt wenn man bedenkt, dass ich in Südfrankreich lebe, wo ich in vielen Schwimmbädern hören muss: „Entschuldigung, aber der Zugang zum Becken ist für Gehbehinderte nicht möglich.“
Da ich regelmäßig und auch noch leistungsorientiert schwimme, sind andere Schwimmer, die oft da sind, fast wie Familie und in „mein“ Schwimmbad zu gehen, ist ein bisschen wie heimkommen. Aber es gibt eben nicht nur die Stammgäste, sondern auch Leute, die einmalig kommen und wieder gehen. Mit der Zeit werden Menschen aufmerksam, meine Umgebung reagiert sensibel und geht vollkommen selbstverständlich richtig mit Leuten um, die spezielle Bedürfnisse haben – die „Eintagsfliegen“ sind da oft ganz anders. Kleines Beispiel gefällig?
Nach einem anstrengenden Training, das wird jeder Sportler kennen, ist nichts schöner als eine warme Dusche. Vor kurzem rollte ich nach dem Schwimmen in die Dusche, stellte meine Seife in die deutlich gekennzeichnete Behindertenkabine, hängte mein Handtuch an den Haken und rollte weiter in die Umkleide, um mein Sitzkissen noch ein wenig zum Trocknen hinzustellen (eine nasse Jeans ist sehr unangenehm).

Gerade setze ich zur Rückkehr an, da sehe ich eine Dame, die in die Dusche schlendert und mich erblickend einen Sprint beginnt, auf den Usain Bolt neidisch gewesen wäre. Bevor ich mich versah, lag mein Duschgel samt Handtuch vor der mir vor der Nase verriegelten Tür. Gut, ich hatte noch die Kaltwasserdusche, die auch mit einem Duschhocker versehen ist, leider sind da keine Griffe an der Wand, dort kann ich tatsächlich nur im Sitzen duschen – kalt und doof. Auch die umstehenden Mitduscher äußerten ihren Unmut über das Verhalten der „netten“ Besatzerin (aber so schön Unterstützung ist, sie ist auch peinlich und eine Reaktion erfolgte nicht).

Nach einer Kurzwaschung rollte ich also durchgefroren in die Umkleide – und fand was? Eine weitere verschlossene Behinderten-Kabine. Ich kann noch wenige Meter laufen, wich – langsam doch verärgert – auf eine kleine Kabine aus. Nachdem ich mich irgendwie in meine Klamotten gebastelt hatte, höre ich draußen jemanden schimpfen, humple aus dem Kabuff und sehe eine Frau aus der Behindertenumkleide kommen, die sich maßlos darüber aufregt, dass sie um meinen Rollstuhl herumlaufen muss. Dass andere Badegäste sehr ungehalten wurden und fast so ungläubig reagierten wie ich, hatte nur zur Folge, dass die Dame noch lauter wurde und sogar die Putzfrau zur Rede stellte, dass doch die Fluchtwege freigehalten werden müssten. Hier sei angemerkt, dass mein Rollstuhl ganze 56cm Breite hat, der Gang an dieser Stelle aber 2m.

Ich möchte gar nicht viel über Respektlosigkeit predigen oder darüber, was ich solchen Menschen gerne an den Kopf werfen würde (und mich dann ja doch nie traue), sondern einfach nur einmal sachlich erklären, wieso es nicht okay ist, die Einrichtungen für Behinderte zu benutzen, selbst dann, wenn weit und breit kein Rollstuhl in Sicht ist. Zum einen gibt es natürlich nicht nur Rollstuhlfahrer, auch mit Krücken war ich immer dankbar, wenn ich in die große Kabine konnte, weil mir mein Mann dort helfen kann – wer schon einmal unter einem kaputten Knie oder unter einem Bandscheibenvorfall leiden musste, weiß, dass das Anziehen eines Sockens zur sportlichen Höchstleistung ausarten kann. Niemand weiß, ob der Nächste, der aus der Dusche kommt, eine „unsichtbare“ Einschränkung hat, und auch ältere Menschen sind manchmal dankbar für einen Griff an der Wand und die Möglichkeit, eine helfende Hand mit in die Umkleide zu nehmen.
Rollstuhlfahrer brauchen Griffe zum Umsetzen und einen Sitz, um sich und den Rollstuhl abzutrocknen und zum Anziehen und nicht zuletzt brauchen sie (in JEDEM kleinen Raum) Türen, die sich nach außen öffnen. Die meisten Schwimmbäder haben Einzelkabinen, deren Türen sich nach innen öffnen; das ist ja auch sinnvoll, sonst würden Menschen, die im Zwischengang laufen, dauernd eine Tür vor den Kopf geknallt bekommen. Aber versuchen Sie sich vorzustellen, wie es ist, mit einem Rollstuhl in so eine Kabine zu fahren… Türe schließen? Unmöglich!, Umdrehen? Keine Chance!, Umsetzen? Kann man vergessen!…

Jetzt fragen Sie sich vielleicht, was Sie tun können, um Menschen mit Behinderung das Leben im Schwimmbad (und nicht nur dort) ein wenig zu erleichtern. Nun, das ist eigentlich gar nicht so schwer:

  1. Halten Sie den Behindertenparkplatz frei, auch wenn der restliche Parkplatz übervoll ist, ein Selbstfahrer hat keine Möglichkeit auszusteigen, wenn er die Türe seines Autos nicht ganz öffnen kann und der Rollstuhl nicht neben das Fahrzeug passt. Kein Parkplatz bedeutet in diesem Fall kein Schwimmbadbesuch.
  2. Wenn das altbekannte Rollstuhl-Symbol auf der Türe einer Umkleide, einer Dusche, eines Schrankes oder eines Zugangs zum Becken zu sehen ist, dann benutzen Sie diese Wege und Dinge bitte nicht und stellen Sie auch keine Taschen, Flossen, Schwimmbretter u.ä. dort ab.
  3. Helfen Sie nicht ungefragt. Nichts ist schlimmer, als von hinten angefasst, angeschoben, gelenkt oder gebremst zu werden, wenn man nicht darauf vorbereitet ist. Auch beim Ein- und Aussteigen aus dem Becken sehen wir vielleicht manchmal nicht so elegant aus, aber wenn wir Hilfe wollen, bitten wir darum. Wenn Sie den Eindruck haben, helfen zu müssen, fragen Sie doch einfach – mehr als ein „Nein, aber danke, das ist echt freundlich und aufmerksam von Ihnen.“, kann Ihnen nicht passieren.
  4. Wenn Sie sehen, dass andere Besucher des Schwimmbads gekennzeichnete Parkplätze, Duschen oder Umkleiden benutzen, dann fragen Sie bitte höflich nach, warum Sie das tun (wie erwähnt gibt es auch nicht auf den ersten Blick erkennbare Behinderungen). Erklären Sie denen, deren Argument ein „Stört doch keinen“ ist, warum das kein Larifari ist und mit welchen Problemen andere deswegen konfrontiert sind. Bleiben Sie dabei so höflich wie möglich, die meisten Menschen meinen es nicht böse, sondern können sich nicht vorstellen, wie schwierig es hin und wieder für uns ist, einigermaßen selbständig durch den Alltag zu kommen.
  5. Erklären Sie Ihren Kindern von klein auf richtiges Verhalten, lassen Sie den Nachwuchs mit Behinderten sprechen, setzen Sie die Kleinen mal in einen Rollstuhl, lassen Sie sie mit Krücken spielen, machen Sie ihnen erfahrbar, wie man sich fühlt, wenn man nichts sieht, nichts hört, sich nicht durch Worte verständlich machen kann usw. Aus verständnisvollen Kindern werden verständnisvolle Erwachsene – und die machen Regeln für Selbstverständliches überflüssig!

Und noch eine kleine (oder auch große) Sache – halten Sie IMMER und ÜBERALL Behindertentoiletten sauber.

Wir haben keine Wahl, wir müssen uns hinsetzen (und wir können kein Klopapier aus der Nachbarkabine holen, es wäre toll, wenn sie das übernehmen würden, wenn sie die Rolle leer gemacht haben)… Niemand hat etwas dagegen, wenn Sie im Fall der Fälle „unsere“ Toiletten benutzen, aber machen Sie sich bewusst, dass wir viel mehr der Einrichtung berühren müssen als Sie.

Vielen Dank allen, die uns das Leben ein bisschen weniger schwer machen!

Text und Bilder: Dagmar Reger. Vielen Dank dafür!


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