Es war doch nur ein Foto von einem alten Friedhof…
Was ein simples Foto von einem alten jüdischen Friedhof auslösen kann…
Urlaub in Bosnien – Tipps und Erfahrungen, So heißt die eine Facebook-Gruppe, Urlaub in Bosnien und Herzegowina die andere. Beide sind deutschsprachig, beide dienen ihrer Intention nach dazu, dass Menschen, die dieses Land bereisen, Erfahrungen austauschen, sich Tipps geben und Fragen loswerden können.
„Jeder ist willkommen. Egal ob du bereits in Bosnien warst oder Informationen für deine (vielleicht erste) Reise nach Bosnien und Herzegowina benötigst. Hier kann sich jeder über das wunderschöne Land am Balkan austauschen und seine Erfahrungen teilen. Herzlich willkommen!“ So heißt es in der Gruppenbeschreibung.
Nicht ganz uneigennützig trete ich beiden bei, poste in lockerer Folge Bilder aus Bosnien und Herzegowina, um irgendwann nach Erscheinen meines Reise-Buches Schmetterlinge und Wasserfälle mehr oder weniger subtil darauf aufmerksam machen zu können. Ja, das ist letztlich Werbung am Point of Interest, näher dran komme ich kaum.
Ich finde das vollkommen legitim, nicht zuletzt, weil in beiden Gruppen sehr viele Einheimische Urlauber:innen ihre Ferienwohnungen, Campingplätze, Raftingtouren etc. anbieten. Einer kommentiert unablässig und verlinkt immer zu seinem Wohnmobilreiseführer. Warum also sollte ich das nicht auch tun?
Also klopfe ich mal hier, mal dort ein Bild raus, kommentiere, like und so weiter, um mich in der Community ein wenig bekannt zu machen.
Unverfängliches zeige ich, schöne Landschaftsbilder. Gern gebe ich auch, als Rückfragen kommen, die Google-Maps Koordinaten. Da will wohl auch jemand an den Strand des Buško jezero:
Ich zeige ein Motiv aus Banja Luka…
und eines von Trebinje. Die einen freut das, weil sie dort auch schon mal waren (oder hin wollen), die anderen, weil es ihre Heimat zeigt.
Auch das Foto vom Jablaničko jezero ruft viele Reaktionen hervor: Lob in Form von Daumen hoch und Herzchen Likes. Alles eitel Sonnenschein und Urlaubsfeeling. So soll es sein.
Doch dann kommt es mit dem nächsten Foto zu einem kleinen Eklat in der Gruppe Urlaub in Bosnien – Tipps und Erfahrungen . Irgendwie hätte ich das wissen können. Es war erwartbar.
Eine Weile habe ich überlegt, welches Bild aus Sarajevo ich zeigen will, vielleicht etwas, das nicht schon dutzendmal gelaufen ist? Vielleicht ein Tipp für Reisende, vor Ort sich etwas anzuschauen, was nicht unbedingt ein Hot Spot an den Touri-Pfaden ist, aber höchst interessant und für fotografierwütige Menschen wie mich eine Fülle an Motiven bietet?
Ich entscheide mich für ein Foto des alten jüdischen Friedhofs und versehe es mit diesem Text:
Ein Tipp für alle, die in Sarajevo Zeit und Interesse daran haben: Es gibt dort einen beeindruckenden alten jüdischen Friedhof, einen der größten in ganz Europa übrigens. Und anders als auf dem in Prag, gibt es in Sarajevo keine vorgeschriebenen Wege, keine Menschenmassen und man kann ungestört und in aller Ruhe umsehen und fotografieren – und ist so ziemlich allein dabei.
Und schon heizt sich die Stimmung in der Gruppe auf (in der anderen übrigens nicht). Die erste, die sich äußert und sich damit gewaltig (und zu recht) Protest einfährt, ist Tanja G.: „So krank für bosnische Menschen die dort leben, die wissen so wenig über eigenes Land.“
Tanja G. trollt dort oft und gern, was die Gruppen-Admins allerdings noch nicht dazu bewogen hat, sie kurzerhand hinauszusetzen. Sie empfängt Widerspruch und Empörung vor allem von den bosnischen Mitgliedern, aber auch von mir. Als Themenstarter fühle ich mich verpflichtet, dem etwas entgegenzusetzen. Ich weiß nicht, ob ich diesen Kommentar einfach nur dumm und unqualifiziert finde oder zudem auch anmaßend. Vermutlich beides. Und das schreibe ich ihr auch.
Es dauert nur kurz, bis mir Sejfuddin D. empfiehlt, für einen Friedhofsspaziergang den serbischen Präsidenten Aleksandar Vučić als Reiseführer zu buchen: „Schließlich hat er einige Monate auf dem Friedhof in den 90ern verbracht, wo man wunderbar auf die Menschen in der Stadt schießen konnte.“
Dass der Friedhof Teil des serbischen Belagerungsrings um Sarajevo war, weiß ich. Wir haben dort die Spuren in Form von Einschüssen und explodierten Granaten an zahlreichen Grabsteinen gesehen. Aber darum geht es in der Gruppe ja wohl nicht, was ich entsprechend anmerke. Sejfuddin D. schweigt.
Statt dessen erklärt mir ein Friedbert B., dass „dies ist für die Menschen dort wesentlich wichtiger“ ist. Ja, das ist nachvollziehbar. Trotzdem muss sich Friedbert meine Verständnisfrage gefallen lassen, ob es „in dieser Gruppe nicht darum geht, Reisenden Tipps zu geben, zum Beispiel, was in Bosnien und Herzegowina sehenswert ist? Ist das nicht der Sinn des Ganzen hier? Dieser Friedhof ist sehenswert. Auf nichts mehr und nichts weniger habe ich hingewiesen.“ Was übrigens auf viele positive Reaktionen stößt. Einen Moment sinniere ich, ob er mir Sejfuddin D. das Gleiche unter ein Bild von der einstigen Olympia-Bobbahn auf dem Trebević geschrieben hätte? Vielleicht werde ich das ja noch herausfinden.
War’s das?
Nein. Amela H. setzt noch einen drauf und reicht mir einen Kommentar rüber, der komplett am Thema vorbei geht: „Zum Glück weiss ich nicht wo das ist!😤 Gerade begehen die Israelis schwerstes Verbrechen in der Geschichte und Sie posten hier so etwas??? Bitte bleiben Sie dort von wo Sie doch gekommen sind.“ Der Antisemitismus bleibt nicht widersprochen, nicht nur von mir. Also muss sich auch Amela die gleiche Frage nach dem Sinn dieser Gruppe gefallen lassen: „Geht es in dieser Gruppe nicht darum….
Was also hat Dein Kommentar jetzt damit zu tun?
Richtig: Gar nichts.“
Um den Spuk ein Ende zu bereiten, schließe ich als Verfasser des Beitrags die Kommentarfunktion. Es ist gut, dass FB Themenstartern diese Möglichkeit offenhält. So kann ich verhindern, dass sich womöglich in höchster Emotion Leute um Kopf und Kragen schreiben.
Was ein simples Foto eines jüdischen Friedhofs auslösen kann…
Ein wenig habe ich mich jetzt in der Gruppe bekannt gemacht, vielleicht nicht ganz auf die Weise, wie ich das beabsichtigt hatte. Die vielen Kommentare, Likes, Herzchen, Lach- und Wut-Smilies füttern den FB-Algorithmus jedenfalls gewaltig und pumpen mein Bild in der Timeline mächtig nach vorne. Der Rest ist eine Folge davon, noch mehr Likes für den Beitrag und einzelne Kommentare, noch mehr Traffic und als Sog werden die anderen Bilder gleich mit aufgerufen.
Sollte ich jetzt vielleicht ein Foto von dem Dach des Tahara-Hauses in Sarajevo nachlegen?
Aber ich will den Bogen nicht überspannen.
Vielleicht lieber wieder was Liebliches?
Bilder gäbe es genug.
Dieses zum Beispiel:
Eher ein Schnappschuss als ein ambitioniertes Foto. Trotzdem holt es, weil es über 100 mal geteilt wird, über 6.000 Likes und über 100 Kommentare, bis ich mich genötigt fühle, auch hier die Kommentarfunktion zu sperren. Denn es wird politisch aggressiv, was zeigt, wie fragil und angespannt noch immer oder schon wieder die Lage mit den unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen ist – Serben, Kroaten und Bosnier gehen aufeinander los. Und als irgendwann einer schreibt „Früher war es die schönste Stadt und jetzt eine Katastrophe voller Araber und Asiaten als wäre es Kabul und nicht Sarajevo“ ist der Moment gekommen, auch hier dicht zu machen. Nachvollziehbar, oder?
Übrigens: Heute Abend beginnt der Jom Kippur, das jüdische Versöhnungsfest.
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Man, was für ein Stress du dir da antust.
Offen gestanden empfinde ich es nicht als Stress, Bilder in FB Gruppen zu teilen, manche in anderem Kontext sind sogar ganz bewusst etwas provokant, ich bin niemand mit ausgeprägtem Harmoniebewusstsein, der immer nur allgemein gefällig die Mainstream-Schokoladenseiten zeigt.
Und ich empfinde es auch nicht als stressig sondern durchaus als „intellektuellen Kampfsport“, solche Angriffe und Diskussionen gegen meine Motivwahl in Blogbeiträgen zu thematisieren, das mache ich ja öfter mal. Und ich hoffe, mit meiner kleinen Reichweite damit auch Denkanstöße zu geben.
Wenn ein Foto eines alten jüdischen Friedhofs ausreicht, Leute zu motivieren, antisemitischen Hass zu posten, dann werde ich erst recht solche Bilder zeigen. Genauso wie regenbogenfarbige Bänke in München oder bettelnde Menschen.
Ich werde dagegen halten. Schon aus Anstand. :)
Ich lese deinen Artikel und muss an ein Foto eines aufgehängten Kuhkopfes denken,
welches in meiner Küche im Rahmen hing und von dem ich wiederum ein Foto knipste,
welches uch dann in einer Fotogruppe bei FB postete.
Die Kommentare waren von wie toll bis wie kann man sowas knipsen oder auch nur aufhängen.
Tja da uch das ursprüngliche Foto nicht knipste und auf skurrile Dinge stehe tat ich es un den Rahmen und hängte es auf.
Zudem der Tod einer Kuh ja nun nichts ungewöhnliches ist.
Das Foto sekber entstand irgendwo in den südlichen Ländern in einer Schlachterei oder einem Laden.
Mir wurde Pietätlososigkeit vorgeworfen.
Ich die so mitten auf dem Land groß wurde findet schlachten nicht schlimm und ich sehe es als überleben an.
Was Bilder so auslösen können ist unteressant.
Gruß Ann-Kris