10.04.2025: Fastenkalender (37) – Wir wollen leben
Zugegeben – das Video von Wir wollen leben ist unfassbar doof. Aber das Lied hat’s in sich. Und das seit 1982. So alt nämlich der Song der Hagener (Kraut)rockband Grobschnitt, veröffentlicht wurde er auf dem Album Razzia – und damit gehen Grüße raus in die westfälische Heimat. Das Video im schamlosen Halbplayback zeigt Grobschnitt beim Auftritt in der Sendung Musikladen, ausgestrahlt am 21. August 1982.
Entsprechend brav und artig sitzt das Publikum um die Bühne herum, klatscht anständig, schaut aber ansonsten eher „neutral“ in die Gegend – der Tod für jede Rockband, aber Plattenfirmen und Managament schoben Band nach Band durch diese und andere TV-Formate, denn das versprach damals Plattenverkäufe, das wiederum reichlich Abspiel der Songs im Radio, das wiederum Plattenverkäufe, Konzertticketverkäufe und Merch.
Ein wenig mitleidig mit den Bands, die so wenig die Chance hatten, das Studiopublikum wirklich mitzureißen, schaue ich diese alten TV-Auftritte und ein wenig schmerzt es auch aus anderen Gründen. Wir wollen leben war einer der Songs meiner Abi-Zeit, Grobschnitt war nicht nur aus lokaler Verbundenheit einer meiner Lieblingsbands. Reichlich Konzerte in und um Hagen herum habe ich abgeklappert. Das ist verdammt lang her – woran man spürt, wie alt man mittlerweile geworden ist. Zwischen den Songs meiner Jugend und denen der heutigen liegen mehrere Generationen Musik und mehrere Generationen Jugend. Nostalgie nimmt mich gefangen, Erinnerungen an ein Konzert, auf dem ich dank Presseakkreditierung sogar seitlich vom Bühnenrand aus fotografieren durfte, werden wach. Erinnerungen an andere Grobschnitt-Auftritte und dann ist das Tor zu den Erinnerungen sperrangelweit auf.
Aber es ist nicht nur Nostalgie. Es ist auch Frustration. Denn das, was der Song besingt, gilt heute noch wie vor 43 Jahren, vielleicht sogar mehr denn je. Was andersherum heißt, dass sich kaum etwas geändert hat, geschweige denn gebessert.
Die Bilder der Demonstrationen gegen Wackersdorf, Gorleben, die Startbahn West aus den 80ern ähneln frappierend denen gegen das Plattmachen von Lützerath oder der Abholzung des Hambacher Forsts oder den Protesten gegen die Errichtung der Gigafactory Grünheide von Tesla: 5.000 Bäume die heut sterben soll’n, kein Blatt Papier erklärt warum, 10.000 Menschen die das nicht mehr woll’n, wir bleiben nicht mehr länger stumm.
Frustrierend ist, dass all das in den seltensten Fällen irgendetwas genützt hätte…
Der Tag erwacht und leise stirbt die Nacht
Der erste Atem schmeckt noch kalt
Wir stehen hier und drüben steht die Macht
Die Morgenluft riecht noch nach Wald
Wir wollen leben
Wir wollen leben
5.000 Bäume die heut‘ sterben soll’n
Ein Blatt Papier erklärt warum
10.000 Menschen die das nicht mehr woll’n
Wir bleiben nicht mehr länger stumm
Wir wollen leben
Wir wollen leben
Wir wollen leben
Wir wollen leben
Die Sonne reißt den Morgennebel auf
Die Macht marschiert in Reih‘ und Glied
Sie hat Pistolen, Peitschen, Panzerglas
Wir haben unser kleines Lied
Wir wollen leben
Wir wollen leben
10.000 haben heute keine Angst
Vor diesem unverschämten Spiel
10.000 und es werden immer mehr
Für uns gibt’s nur das eine Ziel
Wir wollen leben
Wir wollen leben
Wir wollen leben
Wir wollen leben
5.000 Bäume die heut sterben soll’n
(Wir wollen leben)
Kein Blatt Papier erklärt warum
(Wir wollen leben)
10.000 Menschen die das nicht mehr woll’n
(Wir wollen leben)
Wir bleiben nicht mehr länger stumm
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Mein erster Gedanke war: Was ist denn das für ein Milchbubi?
Waren wir (Jungs) das nicht alle?