19.03.2025: Fastenkalender (15) – Das Grab

Es ist merkwürdig. Ich wollte dieses Grab unbedingt sehen. Seit ich gelesen hatte, fass Ketewan Geladses sterbliche Überreste hier im Pantheon auf dem Berg Mtazminda im georgischen Tiblissi begraben liegt, wollte ich es sehen. Und ich weiß nicht mal, warum. War es Neugier, ein Anflug von Dark Tourism?
Die Neugier war da – ohne Frage. Sie war so groß, dass ich Google bemühte, mir ein Bild zeigen ließ, damit ich das Grab, desssen Inschrift ich ganz sicher nicht würde lesen können, egal ob georgisch oder kyrillisch, sicher identifizieren könne.
Ketewan Geladse war eine einfache Frau, Wikipedia weiß, dass sie als Putzfrau, Hausmädchen, Wäscherin und Näherin arbeitete. Sie war die Mutter eines der größten Verbrecher des 20. Jahrhunderts.
Unnötig, ein Ranking anzustellen, wer denn nun der Größte war, die Frage stellt sich nicht – ebenso unnötig, darüber zu sinnieren, wem Platz zwei, drei, vier… gebührt. Ganz sicher aber ist Josef Stalin ganz weit vorne mit dabei.
Harsche Worte musste sich Stalin von seiner Mutter immer anhören, auch später, als er längst Diktator war, hielt sie mit ihrer Meinung nicht zurück – vielleicht ein Grund, warum Stalin nur sehr wenig Kontakt mit seiner Mutter unterhielt. Er war nicht mal auf ihrer Beerdigung, verfügte jedoch, dass sie auf dem georgischen Ehrenfriedhof beerdigt werden solle.
Das Grab ist gepflegt, eine kleine Ikone steht zu Füßen des marmornen Sockels, der sich vor einem mächtigen schwarzen Quader erhebt.
Was denkt man an einem solchen Ort? Darf man einer Mutter sagen, wie viel Elend und Leid der Welt erspart geblieben wäre, hätte es ihren Sohn nie gegeben?  Darf man sich wünschen, sie hätte dieses Kind nie zur Welt gebracht?
Wünschen kann man sich man vieles, vor allem, wenn es nur ein „Hätte, wäre wenn…“ ist.
Aber kann man der Mutter einen Vorwurf machen, dass sie einen Sohn geboren hat, der für Massenermordungen, Straflager, Zwangsumsiedlungen, Verelendung, Hungersnöte und Terror verantwortlich ist?
Aber war es nicht auch so, dass sie mit ihrem Sohn den alkoholsühtigen und gewalttätigen Mann verließ, sich durchschlug, um ihm eine Schulausbildung zukommen zu lassen und ihn ermutigte, aufs Theologische Seminar nach Tiblissi zu gehen?
Ich finde keine Antwort darauf. Muss ich auch nicht.Grab von Ketewan Geladse Die Informationen im Netz über Ketewan Geladse sind spärlich, es wäre interessant, mehr über diese Frau zu erfahren, deren Gebeine in einem Grab zu meinen Füßen auf einem Friedhof in Georgien liegen. Gäbe es eine Biographie über diese Frau, die noch dazu vom Verdacht frei ist, ideologisch eingefärbt „linientreu“ zu sein, ich würde sie mit großem Interesse lesen. Selbst, wenn es eine fiktionale Erzählung, ein Roman wäre. Weiß da wer was?

 

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