Bilder, wie ich sie nie wieder machen möchte – Erinnerungen an die Berliner Mauer

In den Tiefen meines „Archivs“ suche ich Bilder von der Berliner Mauer und finde Fotos, wie ich sie nie wieder machen möchte. Exemplarisch habe ich einige herausgesucht und möchte sie heute aus gegebenem Anlass hier veröffentlichen. 30 Jahre Mauerfall.
Es sind „kackbraune“ grässlich verfärbte Papierabzüge, die nicht mehr zu retten waren, es sei denn durch ihre Konversion ins Schwarzweiß.

Entstanden sind die Bilder im Winter 1984/85 in Berlin – also ein paar Jahre älter als „nur“ oder „schon“ dreißig Jahre.

Berliner Mauer im Winter 1984. Trostlos

Es sind Motive, die ich nicht mehr fotografieren möchte. Nicht, weil ich mich dem Bild nicht mehr stellen oder es verweigern will. Beim Fotografieren habe ich wenig Hemmungen.
Es sind die Umstände, von denen ich hoffe, dass sie nie wieder eintreten werden, dass ich Berlin so nicht mehr zu Gesicht bekommen werde. Dabei generieren die Bilder ihre „Trostlosigkeit“ nicht nur durch die Mauer, den „antifaschistischen Schutzwall“, der so vielen Menschen unüberwindlich blieb, so vielen Menschen das Herz zerriss, so vielen Menschen auch das Leben kostete. Warum habe ich die Quadriga von diesem Foto abgeschnitten? Ich weiß es nicht.

Mauer - Brandenburger Tor im Winter.

Es war auch der kalte Winter, der Schnee, der Smog, der sich über die Stadt legte und Menschen nötigte, in ihren Wohnungen zu bleiben. Grau in grau? Mitnichten. Dicke graubaune Schwaden waberten über der Stadt – ein unverkennbarer Geruch vom Gestank der Zweitakter und dem Heizen mit Braunkohle durchzog die nahezu menschenleeren Straßen. Kaum 600 Meter trennen den Dom und den Funkturm. Doch scheint dieser sich im Smog kaum abzuheben, kaum erkennbar. Es roch nicht nur, es stank. Jedes Schnäuzen beförderte den braunen Feinstaub aus der Luft zurück aus der Nase. Für smogverwöhnte Menschen aus dem Ruhrgebiet trotzdem eine vollkommen neue Farbschattierung. Merkwürdig, an was man sich so erinnert.

Berliner Dom und Funkturm - jenseits der Mauer. Wintersmog

Und an die Leere. Im Westen lockte zumindest der Konsum Berliner und Touristen auf die Straße, zu den Geschäften (und uns zu mancher Sehenswürdigkeit). Aber hinter der Mauer im Osten?
Leere. Bedrückende Leere. Trist. Farblos. Grau und grausam.

Leere auch vor dem Palast der Republik.

Wir lachten über Plastikautos am Straßenrand, die wir albern fanden. Weil wir es nicht verstanden. Wie auch?
Wir wussten natürlich um die Trabis, ihre Herstellung, die jahrelangen Wartezeiten, die Zweitaktmotoren (wir nannten sie Nähmaschinenantrieb), höhnten und spotteten, wenn uns ein solcher Wagen auf dem Transit nach Berlin überholte, weil wir uns an die Geschwindigkeitsbegrenzungen hielten. Derweil hockten sie zu viert im Trabi, traten das Gaspedal bis zum Anschlag durch und legten noch mal 15 km/h Trotz und Zorn oben drauf und knatterten an uns vorbei. Wir winkten und feixten uns eins. Wie dumm.

Hinter der Mauer. Trabi in Ost-Berlin am Straßenrand.

Das Foto habe ich farbig gelassen. Es trifft erschreckend die Tonalität des damaligen Berlins, Hauptstadt der DDR. Eine triste, frustrierende Farbwelt.

Das sowjetische Ehrenmal im Tiergarten verstörte uns. Erstens, weil es auf Westgebiet lag und zweitens weil wir überzeugte Pazifisten waren.
Überzeugt? Nein, Pazifisten waren eher aus Trotz. Aus Trotz gegen Helmut Kohl, gegen Ronald Reagan, gegen das Wettrüsten, gegen die Generation unserer Eltern, gegen alle, die immer gesagt haben: Der Feind ist rot und er steht im Osten!
Diese martialische Denkmalkunst waren wir nicht gewohnt.

Sowjetisches Ehrenmal im Berliner Tiergarten

Und ich erinnere mich an den Stechschritt.
Streng verboten zu fotografieren – wie fast alles: Bahngleise, Grenzanlagen, Soldaten, die sowjetische Botschaft, Polizisten… Verbote, über die man sich als Wessi besser nicht hinwegsetzen wollte. Sowas hätte extrem unangenehm, zumindest aber sehr teuer werden können.

Soldaten der NVA im Stechschritt in Ost-Berlin

Wurde es aber nicht. Zum Ärger wegen des Nichthaltens eines Fotografierverbots gehören nämlich immer mindestens zwei: Der, der das Foto macht, und der, der es bemerkt. Mit einer Spiegelreflex war schon damals viel möglich. Obwohl ich mich kaum erinnern kann, ob das Herz vor Aufregung über das verbotene Tun lauter klopfte oder der Spiegel im Kameragehäuse lauter rauf und runter klappte. Aber wir waren jung, hatten unsere West-Pässe bei uns und wagten viel. Und auf der Westseite der Mauer sowieso.
Damals. In Berlin 1984/85.

Im Sommer 2019 waren wir (mal wieder in Berlin). Unter anderem an der Eastside-Gallery. An der Mauer.
Solche Fotos möchte ich machen, ich liebe Streetart. Denn nur so (wenn überhaupt) ergibt eine Mauer Sinn.

Sacharow Portrait in der Eastside Gallery - Die Mauer heute

Die Mauer - heute ein Kunstwerk

The Teacher - The Wall - Pink Floyd. Auf der Mauer der Eastside Gallery

Street Art in Berlin. Eastide Gallery

und die Rückseite der Mauer. Heute


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2 Antworten

  1. Seien die Fotos uns für immer eine Mahnung.

  2. werner sagt:

    Es sind überwiegend schreckliche Erinnerungen, die mich an diesen “ Anzifaschistischen Schutzwall oder einfach nur Berliner Mauer erinnern. Das was mir in guter Erinnerung geblieben ist , sind die zum Teil tollen Graffitis, die an dieser Mauer zusehen waren . Du hast hier einige in deinem Beitrag gezeigt . Danke dafür.

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