Enjoy the silence
Es ist die Stille, die mich fasziniert, das Abhandensein von Stimmen, Gerede und Gesprächsfetzen, nur wenige Geräusche sind zu hören.
Enjoy the silence – auch wenn der Song von Depeche Mode ein anderes Thema hat, ist es hier hinter den dicken Mauern gut zu spüren, was es heißt, zur Ruhe zu kommen und diese zu genießen.
Zumindest einen Moment lang, denn ich bin auf der „Durchreise“ meiner Seentour und erst am zweiten Stopp: Dem Klostersee bei Seeon. Dort liegt auf einer Halbinsel ein altes Kloster, eine ehemalige Benediktinerabtei, die neben der sehenswerten St. Lambertkirche vor allem eines besitzt, was mich immer wieder magisch anzieht: Einen Kreuzgang.
Und weil ich unter der Woche morgens und noch vor dem Ansturm der Urlauber:innen meine Seenrunde absolviere, bin ich (zumindest die meiste Zeit) sowohl in der Kirche und auch im Kreuzgang ganz allein.
Einmal huscht ein Mann im grünen Gewand aus einer Seitentür, unverkennbar ein Gärtner, der die Kirche betritt, dann aber sofort wieder durch eine andere Tür verschwunden ist. Der Weg durch die Kirche ist für ihn wohl nur eine Abkürzung, was sollte er sonst hier wollen:
Kühl und still ist es im Kirchenschiff – und erstaunlich hell für einen solch gedrungenen Bau. Das rührt von den weißen Wänden, vor allem aber von den bilderlosen Fenstern, die viel Licht durchlassen.
Ausgiebig schaue ich mich um – auf der Suche nach Fotomotiven aber auch nach Sehenswertem wie Bekanntem, denn ich finde es immer interessant, in einem Sakralbau in Bildern, Statuen, Schnitzereien etc. Dinge zu entdecken, die ich erkenne und verstehe. Vermessen lese ich auf den Epitaphen oft auch die lateinischen Inschriften, so, als würde ich nur annähernd erfassen, was da geschrieben steht – aber mit den letzten Brocken meines Schulwissens identifiziere ich doch zumindest die Namen.
Es kommt eine Frau durch die Eingangstür; just in dem Moment, als ich die Kamera vom Platz vor dem Altarraum Richtung Eingang und Orgelempore richte. Sie schlägt ein Kreuzzeichen, geht ein paar Schritte durch den Mittelgang und lässt sich dann in einer Bank nieder. Das ist natürlich genau das, was ich nicht will. Ich möchte sie nicht mit auf dem Foto haben, ich möchte aber auch nicht warten, bis die Frau mit dem, was auch immer sie dort tut, fertig ist und sich erhebt. Ist es ein schnelles Gebet oder ein inbrünstiges? Ist es vielleicht gar keines und sie checkt ihr Mobiltelefon (schlechte Idee, wenig Netz) oder blättert sie im Reiseführer? All das ist möglich, all das machen Menschen außerhalb der Gottesdienste in den Kirchenbänken.
Dass sie sich dabei wahllos einfach „irgendwohin“ setzt, wo doch jeder Platz seine namentlichen Besitzer hat(te), ist eine erste Beobachtung, die sie, genauso wie mich, als fremd ausweist. Noch dazu sitzt sie auf der falschen Seite, denn die Weiberleut sitzen, glaubt man den Schildchen in den Bänken, alle links, die Mannderl hingegen allesamt rechts.
Die Frau nimmt mich wahr, wie ich geduldig im Gang stehe mit der Kamera in der Hand. Sie nickt mir kurz zu und rutscht dann soweit in die Bank, dass sie hinter einer Säule verschwindet. Das macht sie mir sofort sympathisch – sie weiß um die Not derer, die Fotos machen wollen und handelt angemessen. Das Ganze funktioniert wortlos.
Words are very unnecessary – enjoy the silence.
Ich revanchiere mich ein paar Minuten später, denn dann schleicht auch sie durch die Kirche und richtet ihre Kamera mal hier hin, mal dort hin und achte darauf, nicht ihr im Bild zu stehen. Denn nun hat auch sie mit fotografieren begonnen. Nun bin ich es, der ihr ein freies und personenloses Blickfeld für die Kamera verschafft
Vor einem der Sarkophage im Seitenschiff treffen wir aufeinander, richten beide unsere Kamera auf die Gebeine von S. Justinus M, von dem wir nicht wissen, ob das die sterblichen Überreste irgendeines Heiligen sind (halte ich angesichts des gesamten Skeletts für unwahrscheinlich) oder ob vielleicht ein Abt des ehemaligen Klosters hier eine wenig ruhige Grabstätte, weil hinter Glas anschaubar, gefunden hat. Da ist es wohl nichts mit Silence, silentium oder Totenruhe geworden.
In der Liste der Äbte des Klosters (Dank geht mal wieder raus an Wikipedia) finde ich keinen Justinus, also liegt da kein Abt hinter Glas. Ist das überhaupt eine Reliquie? Sind die Gebeine echt? Näher herantreten unterbinden ein Schild und eine Alarmanlage. Nun gut, so wichtig zu wissen ist das aber auch nicht.
Erwartbar herrscht im Kreuzgang direkt neben der Kirche und im Innenhof des alten Klosters eine wunderbare Stille. Diese Kreuzgänge sind meist ganz wunderbare Orte der Ruhe und der Kontemplation.
Das meine ich ganz ohne Anflug von irgendeiner Spiritualität. Allein die Architektur hält den Geräuschpegel der Umgebung draußen, immer wieder auch zu bemerken bei Klöstern inmitten großer Städte, zumindest dann, wenn nicht Heerscharen von Touris dort durchgeschleust werden.
Zur äußeren Ruhe tritt manchmal eine innere Ruhe – das Bedürfnis, jetzt Platz zu nehmen, einfach nur dazusitzen. Nichts tun, nichts tun müssen. Nur da sein, die Sonne im Garten oder die Kühle im Gang genießen. Das funktioniert natürlich am Besten dort, wo man wirklich allein ist. Das ist Enjoy the silence in Perfektion.
Obwohl hier niemand ist und die Frühlingssonne scheint, will sich heute für mich keine wirkliche Ruhe einfinden. Irgendwie bin ich ein Getriebener von mir selbst bzw. meines Tagespensums, das ich mir selbst auferlegt habe. Eine Ungeduld drängt mich, weiterzukommen, nicht zu verweilen. Denn ich habe ein strammes Programm: Noch drei weitere Seen wollen gesehen, fotografiert und an ihnen spaziert werden. Und ich weiß weder, wie lange ich dahin brauchen werde, noch, wie ausgiebig meine Spaziergänge ausfallen werden.
Und da ist da noch die falsche Anastasia, über die ich für einen anderen Blog schreiben will und ein paar Bilder von ihrem Urnengrab brauche.
Ohne innere Ruhe wird das alles hier nichts. Also weiter. ..
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Interessante Gedanken.
Auch ich kann bestätigen, dass ganz ohne religöse Überzeugung oder Gedanken ein Kirche oder ein Kloster oft eine wundersame Aura der Ruhe auf mich ausstrahlt. Zu schade, dass du dir einen Marathon auferlegt hast und keinen Bummelgang.