Einfach mal den Mund halten, Halblinge!

„Irgendwie sieht es hier aus wie im Herrn der Ringe.
Wenigstens einen guten Filmgeschmack hat der Halbwüchsige hinter mir. Ansonsten kam noch nicht viel Intelligentes aus dem Mund der Pubertiers aus der Frankfurter Gegend. Dafür mehr komplett Überflüssiges über Kräuterbutter und Kräuterbutterbaguettes, was er seinem Kumpel erzählt
„Ja“, bestätigt der andere. „Wie auf dem Weg nach Bruchtal“.
Es folgt die unvermeidliche Diskussion zwischen den beiden, welcher Teil der Trilogie der Beste ist, und dass die Hobbit-Filme nicht annähernd an die Qualität heranreichen. Alles bekannt, alles tausendmal gehört. Nur noch nicht von jedem. Aber mal ehrlich: Sieht nicht jede halbwegs unberührte Landschaft ein klein wenig wie ein Set aus Herr der Ringe aus? Schroffe Berghänge, ein ungestümer Bach, der sich ein tiefes Tal in den Fels geschnitten und dabei die Steine abgeschliffen hat, knorrige, alte Bäume, meterhohe Farnfelder, schmale Trampelpfade…
Dann beginnt der Eine, eine Melodie zu pfeifen. Das aber ist die Morgenstimmung aus Edvard Griegs Peer Gynt Suite. Es dauert einen Moment, dann erkennt er seinen Fehler, korrigiert sich und stimmt das Hauptthema aus der Filmmusik vom Herrn der Ringe an. Weit kommt er nicht. Er ist nicht melodiesicher. So traurig. Und das, obwohl er, wie er seinem Kumpel erzählt, in Frankfurt in der Alten Oper eine orchestrale Aufführung der Musik gehört hat. Und schon gerät er ins Schwärmen.
Es ist schon ein Kreuz mit Wandergruppen. Wie immer bei solchen Unternehmen stapfen ein paar Deppen mit – und selbstverständlich alle davon in meiner nächsten Nähe.
Hatte ich nicht gerade erst den Platz gewechselt, weil der Grieche, der hinter mir gegangen war, erst stundenlang telefoniert und danach seinen Kumpels ein Ohr abgekaut hat? Können Menschen nicht einfach schweigsam hintereinander den Berg hinunter gehen, die Schönheit der Landschaft genießen und dem Gemurmel des Baches lauschen?
Wir sind auf dem Weg vom Mount Ochi durch die Dimosaris-Schlucht, mit Schwimmen ist es ja wegen der Ohrenentzündung Essig – also ab in die Berge. Die Tour setzt allerdings eine gewisse Logistik voraus, die man als Individualreisender kaum bewältigen kann. Ein Reisebus hat die Gruppe in Karystos abgeholt, auf rund 1.000 Meter auf den Mount Ochi hinauf gekarrt und wird uns fünf Stunden später unten am Meer wieder einsammeln und nach Karystos zurückbringen. Das lässt sich allein kaum organisieren. Also buchen wir die geführte Tour. Einmal wird es schon gehen.
Als wenn das mein einziges Problem wäre. Selten war ich so schlecht ausgestattet bzw. so schlampig vorbereitet. Der Akku der Kamera gibt bereits nach fünf Fotos den Geist auf. Es ist ja nicht so, dass ich am Abend vorher nicht mal kurz daran gedacht hätte, ihn aufzuladen. Der Rest der Bilder entsteht mit dem Handy. Wie bei so einem Pauschaltouristen.
Es ist auch nicht so, dass ich nicht einen Gedanken daran verschwendet hätte, die Flip-Flops in den Rucksack zu tun. Schließlich wartet am Ende des Wegs ein Strand auf uns – und nach einem Bad im Meer muss ich nicht unbedingt wieder in die Wanderschuhe hinein. Warum ich sie nicht eingepackt habe, weiß der Henker.
Der Halbling hinter mir (also der Pfeifer), entdeckt plötzlich ein 1909, das auf der Rückseite meiner Kappe gestickt ist, und meint, abrupt das Thema wechselnd, dass außer Götze und Reuss niemand beim BVB cool sei. Reine Provokation. Schon klar.
„Doch Aubameyang“, antwortet der andere, worauf beide kurz über den wunderbarsten Verein der Welt diskutieren, bis ich unvermittelt sehen bleibe, was den Burschen hinter mir, mich fast umrennen lässt. Denn damit hat er nicht gerechnet. Ich drehe mich zackig um, strecke ihm drohend den ausgestreckten Zeigefinger entgegen, der fast in seinem Auge landet und zische: „Dünnes Eis, ganz dünnes Eis!“
Das wirkt. Wenn sie eines gelernt haben, dann ist es Trolle nicht zu füttern. Also debattieren sie jetzt die Bundeliga durch, aber keine einzige Bemerkung mehr zum BVB oder seinen Spielern. Einer outet sich als Bayern-Fan, was der andere bescheuert findet (Ich auch!).
„Wie kann man Fan von denen sein?“ wettert er geprägt vom hessischen Lokalstolz. Da müsse man doch wohl Eintracht-Fan sein. Es geht weiter mit Transfers und Transfersummen, es eht um die Champions League, Real, Barca, um Messi und Ronaldo, irgendwann, warum auch immer, um Ed Sheeran und dann endlich macht die Karawane der Wanderer Stopp. Und die Halblinge halten die Gosche. Endlich mal.
Schwimmen im Fluss ist jetzt im Angebot, als ob das, was die Wanderer jetzt veranstalten nur annähernd was mit Schwimmen zu tun hätte – und dass sich einige gleich die Sachen vom Leibe reißen, macht die Herr-der-Ringe-Anmutung der Landschaft mit einem Schlag zunichte. Mit elbischer Contenance hat das gar nichts zu tun…
Nach der Pause ist ein neues Arrangement, wer hinter bzw. vor wem läuft, möglich. Das verheißt Hoffnung auf das Schweigen im Walde.
Ich nutze die Gelegenheit, meine Schuhe notdürftig zu reparieren, die Tourführerin bietet mir dafür Tape an – es wird meine Rettung. Denn von den Wanderschuhen löst sich langsam die Sohle. Und wenn das erst mal losgeht, gibt es kein Halten mehr. Mit Gummibändern und Tape schaffe ich es immerhin, bis kurz vor Ende der Strecke, dass die Sohle am Schuh bleibt, aber rund zwei Kilometer vor dem Ziel ist es auch damit vorbei – noch unten am Strand schmeiße ich die Schuhe in den Müll und lasse mich barfuß zurückfahren. Tja: Wohl dem, der jetzt Flip-Flops dabei hat…
Und morgen gehe ich wieder schwimmen – Scheiß auf die Ohrenentzündung. Keine Gruppenveranstaltung, da sabbelt mir keiner die Ohren voll, da muss ich mir um meine Schuhsohlen keine Sorgen machen und die Flip-Flops stehen auch am Strand und warten auf mich. Und jetzt lad ich alle Akkus auf.
Ende Gelände – schön war’s trotzdem in der Herr-der-Ringe-Kulisse.


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1 Antwort

  1. 24. Juli 2017

    […] Heiliger Zorn überkam Herrn P. allerdings gerade erst im Urlaub. Weshalb er diesen Zorn in Form vieler Wörter abgearbeitet hat. Herr P. hat also wieder zugeschlagen. Nicht wörtlich natürlich. Denn Herr P. schätzt schlägern nicht. Und zuschlagen birgt immer die Gefahr der Ergänzung der vier Buchstaben r-ü-c-k. Dann wird aus zuschlagen ein zurückschlagen, was zu provozieren Herr P. vermeidet. Denn er findet es würdelos, sich mit anderen Menschen in der Öffentlichkeit zu prügeln. Ganz abgesehen davon wäre es wohl auch chancenlos für ihn, blaue Augen hat er auch so, die muss er sich nicht prügeln lassen. Seine Waffe sind der Intellekt und das Wort, das scharf genug geführt werden kann. Oder, um es kurz zu machen: Wenn Sie wissen wollen, wer Herrn P. mal wieder auf den Geist gegangen ist, warum, und wie er sich abreagiert hat, dann klicken Sie einfach auf das Foto und sie werden automatisch weitergleitet in den Beitrag Einfach mal den Mund halten, Halblinge! […]

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