Die Squaw möge schweigen
Nein… das ist nicht ein Szenenfoto aus der Krombacher Werbung. Aber Renate findet, es sieht ganz genauso aus.
„Das ist bestimmt hier gedreht“, meint sie zu dem neben ihr gehenden Harald. „Jetzt schau halt mal. Findest Du nicht?“
Harald schweigt. Er genießt die Landschaft, die der Krombachtalsperre in der Tat nicht unähnlich sieht. „Mach doch mal ein Foto,“ fordert sie ihren Mann auf. „Dann können wir das hinterher vergleichen.“
Harald zückt seine Kamera, ich auch.
„Aber halt die Kamera dieses Mal gerade. Sonst ist wieder auf alle Bildern der Horizont schief. Du weißt, wie doof das hinterher aussieht, wenn ich die Bilder ins Album klebe.“ Sanft fallen die bewaldeten Wälder zum See hin ab, das Wasser kräuselt sich leicht, die Ähnlichkeit zur Krombacher Werbung ist unverkennbar. Während ich mit Harald um die Wette Fotos mache, fängt Renate an, ungeduldig zu werden. Denn sie hatte anderes erwartet als Landschaften, die nach Bierwerbung ausschauen. Und sie wird nicht enttäuscht als es weitergeht. Auf Holzpfaden stapft sie direkt vor uns durch den Nacionalni park Plitvička jezera, den Nationalpark der Plittwicer Seen, einer atemberaubend schönen Landschaft und ich hoffe insgeheim, dass es Renate auch gleich den Atem nimmt. Zumindest die Luft zum Sabbeln. Statt dessen redet sie unaufhörlich im Staccato auf Harald ein. Sie zeigt ihm Libellen, die er längst vorher gesehen hat, weist ihn auf ein ohrenbetörendes Froschkonzert hin, das wirklich jeder hört… auch Harald. Und immer wieder fordert sie ihn auf, ein Foto zu machen.
Rückt er sich in Positur und wartet geduldig, bis der nächste Schwung touristischer Ausflügler vorbei marschiert ist, damit diese nicht sein Bild zerbomen, herrscht sie ihn an, was er denn so trödle und wo er denn bleibe.
Dann, eine Kurve weiter, ist es endlich so weit: „Das ist bestimmt hier gedreht worden“ , spekuliert sie von Neuem, diesmal geht es um den Schatz im Silbersee.
Die Außenaufnahmen der Karl-May-Filme entstanden damals in Jugoslawien, einige davon in diesem Nationalpark im heutigen Kroatien. „Jetzt fotografier das doch mal!“ Sie scharrt förmlich mit den Turnschuhen, und ich frage mich, warum er Trekkingsandalen trägt, sie aber nicht. Irgendwas läuft heute falsch bei der Frau. Harald tut, wie ihm geheißen, ich tue es ihm nach. Dann schließt er zu Renate auf, die ein Stück weiter gegangen ist und sich inmitten einer Gruppe kroatischer Touristen befindet. Die sind alle Mitte zwanzig, toben sich im Selfiewahn aus, bleiben unvermittelt stehen, haben ihren Spaß, gehen dann wieder nebeneinander und plaudern lautstark. Für Renate ein Gräuel. Erstens stört dieser Radau ihre Winnetou-Erinnerungen, die längst in ihrem Kopf wieder lebendig sind. Und nicht nur bei ihr. Überall karlmayt es aus allen Ecken und Enden. Alle deutschen Touristen überlegen, welcher Wasserfall nun derjenige welcher war, vor welchem Felsen Winnetou und sein Blutsbruder Old Shatterhand im Kanu vorbeigepaddelt sind. War es dieser? Schlimmer aber noch für Renate ist, dass sie an diesem Trödeltrupp nicht vorbei kommt. Die Kroaten lassen sie einfach nicht. Das ist nicht nett, aber eben auch nicht von ihnen beabsichtigt. Sie sind einfach zu sehr mit sich selbst beschäftigt, als dass sie sich um andere kümmern müssten. Als dann Renate noch eine Gruppe Asiaten entgegenkommt, die auch alle stehenbleiben, um den nächsten Wasserfall zu fotografieren, ist es mit Renates Geduld vorbei.
Sie rempelt sich durch die Masse, rammt mir, der ich ebenfalls gerade ein Foto mache, den Ellenbogen in die Seite, grummelt ein schwer verständliches „Entschuldigung“ (natürlich in deutsch, was ja hier wirklich jeder spricht… meint sie) und ist endlich am Passagehindernis vorbei. Harald allerdings nicht, den sie nun kasernentonartig herbeiruft.
„Harald, jetzt komm bitte!“ Immerhin sagt sie Bitte, wenn sie das auch so nicht meint.
„Quetsch Dich halt da durch. Das geht schon!“
Folgsam, wie Harald ist, schiebt auch er sich an den Menschenmassen vorbei, weniger rabiat und weitaus höflicher.
„Was für ein wunderschöner Wasserfall. Warte, ich mach noch ein Foto“, sagt er zu seiner Frau keine zweihundert Meter weiter. Das hätte er besser nicht gemacht.
„Warum das denn?“ fragt diese zurück. „Du hast doch schon hunderte von Bildern gemacht. Und am Ende sieht doch ein Wasserfall aus wie der andere.“ Was Harald versagt bleibt, gelingt mir: Und noch eines. Und der schaut wirklich total anders aus als der Vorangegangene. Ich fotografiere hemmungslos. Harald darf nicht, dabei sind wir jetzt endlich am Silbersee, seine Squaw hat es ihm verboten. Sie will weiter, also nimmt sie ihn an der Hand und zerrt ihn fort.
Außer Sicht- und außer Hörweite.
Ab jetzt ist Ruhe.
Nur die Frösche, die quaken.
Und die abertausend anderen Ausflügler im Park.
Und die Kroaten.
Und die Asiaten.
Und die vielen Deutschen.
Von Winnetour keine Spur.
Außer in meiner Phantasie.
Aber das war ja klar.
Macht nichts.
Hauptsache, die fremde weiße Squaw schweigt.