Come to the South, Tom Frost…
Kaum hat man sein Examen in der Tasche sind auch schon 20 Jahre vergangen. Studienfreunde haben sich aus den Augen verloren, der Kontakt ist abgerissen aber Facebook flickt alles. Die Schatten der Vergangenheit tauchen wieder auf: Alte Tanzschulfreundinnen, Schulfreunde, Kumpel aus der Siedlung und eben Kommilitonen von der Bochumer Ruhr Universität.
Bei dem einen oder anderen denke ich mir, es hatte seinen Grund, dass wir keinen Kontakt mehr haben und ignoriere dessen Kontaktsuche geflissentlich. Aber bei manch einem ist es doch ganz witzig, an längst vergangene Zeiten anzuknüpfen… so lange man sich nicht fortgesetzt mit Geschichten konfrontiert sieht, die man längst vergessen haben wollte… auch das aus gutem Grund. Und sind die Fäden ins Früher zu dünn, entsteht eben eine neue Bekanntschaft… oder auch nicht.
Eines Tages taucht Tom Frost auf, kontaktiert mich über Facebook und ich frage mich: Tom wer?
Kenn ich nicht.
Seit ich aber weiß, welcher Studienfreund sich hinter dem Künstlernamen verbirgt, glüht hin und wieder der Messenger und man kommentiert sich gegenseitig die FB-Statusmeldungen. Man hat sich ja viel zu erzählen um die zwanzig Jahre, die man nicht miteinander in Kontakt war aufzuholen: Was machst Du so? Hast Du Familie? Kinder? Wo lebst Du jetzt? Und überhaupt: Mein Haus, mein Auto, mein Boot… nein: Meine Musik, mein Buch. Was nichts anderes heißt als: Seine Musik. Denn Tom, so erinnere ich mich, spielt Gitarre. Er macht neben seinem Beruf Country-Musik, ich mache neben meinem Beruf Blog- und Buchtexte. Das schafft Themen.
Nachdem ich ihm meine Adresse gegeben habe, flatterte diese Woche seine Demo CD ins Haus: Tom Frost & Doc Shuffle. Hot Country.
Auf dem Weg zur Arbeit werde ich sie das erste Mal hören. So ist der Plan. Nach dem unvermeidlichen Verkehrshinweis drücke ich im Auto auf Play. Vier Tracks erwarten mich. Dreimal Country und eine Version des Cajun-Songs Jambalaya on the Bayou.
Perfekt, um gute Laune zu bekommen. Der Himmel ist blau bis auf ein paar Wolken, ich fahre auf der Landstraße Richtung Autobahn, blicke über weite Felder, in der Ferne stechen die blauen Berge hervor – die Alpen. Die Musik hebt die Stimmung enorm und wieder einmal weiß ich: Bayern ist wie Texas, zumindest wie die Südstaaten, denn Jambalaya on the Bayou gehört ja weniger in die Westernwelt. Egal. In die Alpen auch nicht. Es ist trotzdem ein verdammter Ohrwurm.
Während ich München Richtung Süden umrunde, denke ich über Bayern und Texas nach. Der Vergleich ist nicht neu, nicht umsonst hieß eine legendäre Veranstaltungshalle in München Alabama, und unvergessen ist auch die Parallele zwischen Bayern und den Südstaaten, die Sir Quickly in den 80ern in der legendären TV-Serie Irgendwie und sowieso zog.
Bei uns heißt der Neger eben noch Neger – zumindest auf’m Dorf im Hinterland, und das selbst, wenn’s ein Inder ist. Wenn die Drückerkolonnen im Anmarsch gibt, informieren sich besorgte Eltern per Telefonkette, man solle die Wäsche abhängen und die Kinder ins Haus holen, die Zigeuner kommen (kein Witz… selbst erlebt). Das muss man nicht gut heißen… aber die Menschen auf dem Land sind nun mal so.
Wer aber einmal erlebt hat, wenn die Eicher-Freunde ihre taubenblauen Traktoren auf irgendeiner Weide hinter einem Festzelt aufgereiht haben, weil die Schützen oder Burschen in irgendeinem Dorf östlich von München Jubiläum feiern, der weiß, was das heißt: Auf dem Land zu wohnen… in den Südstaaten.
Aber mal ehrlich: Ist es nicht so, dass der Rest der USA, insbesondere die Bevölkerung der großen Städte an den Küsten auf den Süden milde herablächelt? Zwar ist das herablassend-mildtätige Grinsen über die angeblich sturen und stumpfen Bayern seit der Wiedervereinigung etwas aus der Mode gekommen und man schaut mehr auf die Ossis herab, aber im Prinzip ist das noch so immer so, dass im Süden die Hinterwäldler hausen. In Blockhütten… die einen in der Prärie, die anderen in den Alpen.
Und tragen nicht die Menschen wie selbstverständlich in Texas merkwürdige Kopfbedeckungen, die man nie im Leben in der Hauptstadt aufsetzen würde, es sei denn, es ist ein Folklore-Fest oder man will sich lächerlich machen? Mit den Lederhosen, die mitnichten nur auf dem Oktoberfest angezogen werden, ist es nicht viel anders.
Und hüben wie drüben reagiert der Süden umso stolzer und trotziger, wenn man sich über ihn lustig macht. „Fuck you, Hoover Boys!“ oder eben analog „Mia wuarscht, Sau-Preis!“
Nicht, dass sich die Südstaatler einen Scheiß dafür interessieren, was in Washington für Gesetze gemacht werden, nicht dass die Bayern das anders sehen. Soll doch die Merkel reden was sie will: Mia san mia.. und mia machen unsere eigenen Regeln. Der Seehofer sorgt schon dafür. Dafür haben wir ihn schließlich gewählt (also nicht wir, eher die anderen hier)…
Die Demo- CD läuft auf der Autobahn in Endlosschleife, vier Tracks sind eben schnell gehört. Gern auch zum zweiten oder dritten Mal, das Ganze on my ride to my job in Greenwood / Bavaria dabei singend:
…Jambalaya and a crawfish pie and fillet gumbo
Cause tonight I’m gonna see my ma cher amio
Pick guitar fill fruit jar and be gay-o
Son of a gun we’ll have big fun on the bayou…
So nen Bayou haben wir hier zwar nicht, aber das sind vernachlässigbare Details. Aber andere Gewässer gibt’s reichlich. Zur Not tut’s die Kiesgrube doch auch, oder?
So come to the South, my good ol‘ friend Tom Frost… und warte nicht wieder 20 Jahre.