Am Starnberger See – wenn der Mann da richtig sauer wird

Ob der Starnberger See und ich jemals Freunde werden?
Die Chancen jedenfalls standen nicht schlecht. Ich war 2017 das erste und bisher letzte Mal dort zum Schwimmen. Schön war’s, schwimmend und verbotenerweise das Gedenkkreuz für den dort zu Tode gekommenen Kini zu besuchen.

Die Lust und die Neugier auf den See wuchs. Und so lange unsere Firma noch südlich von München daheim ist, will ich die Gelegenheit nutzen, hin und wieder früh Feierabend zu machen und die Seen im Süden (wieder) aufzusuchen. Immerhin ist dann schon die Hälfte der Fahrtstrecke absolviert.
Das klingt nach einem Plan – ebenso, wie das Erholungsgebiet Ambach am südöstlichen Ufer anzusteuern. 2000 Parkplätze gibt es dort – überall zu lesen im Netz. Wenn das kein Argument ist! Ich bin begeistert, da muss ich einfach hin.

Gesagt, getan, hingefahren.
Doch als ich auf dem Parkplatz ankomme und mich unter geschätzt 1950 freien Plätzen kaum entscheiden kann, welchen ich denn nun nehmen soll, höre ich ein erstes dumpfes Grollen.
A Weda kimmt! Na klasse.

Der Wind frischt merklich auf, drückt das Wasser ans Ostufer, an der Weststeite des Sees sind die gelben Dauerblinklichter der Sturmwarnung von Seeshaupt und Bernried zu sehen. Schwimmen gehen ist jetzt eine denkbar blöde Idee. Mal abwarten. Gewitter verziehen sich ja oft recht schnell. So lange es nicht regnet, spaziere ich ein wenig am Ufer durch das Erholungsgebiet. Die meisten Leute, die noch da sind, machen sich auf den Weg, als die ersten paar Regentropfen niederfallen. Und so bleiben nur rund 50 Nilgänse und ich am Ufer zurück.

Als es schließlich doch fünf Minuten lang leicht regnet, suche ich einen Unterstand, südlich des Sees in den Alpen hingegen kracht und scheppert es gewaltig. In Ambach ist nach einer knappen halben Stunde das Gewitter vorbei, es klart auf, die gelben Blinkleuchten erlischen.
Es wird Zeit, die Schwimmsachen aus dem Auto zu holen. Mittlerweile schaut doch alles schon wieder recht chic aus.

Da ich nicht weiß, wie warm der See ist und es viele kalte Bereiche geben soll, die Würm fließt längs durch den See, entscheide ich mich für den Neo. Nötig wäre das nicht gewesen, wie schnell herausfinde; aber wenn ich nun schon mal drin stecke, dann schwimme ich halt etwas länger, ist ja noch recht lange hell.
Während ich mich umziehe, lässt sich eine schwäbische Familie mit zwei kleinen Jungen in meiner Nähe nieder. Die Mutter läuft zum nahen Campingplatz zurück, um Schaufeln und Eimer zu holen, die Großeltern beaufsichtigen die Enkel, die ihrerseits wiederum mich beaufsichtigen, wie ich in den Neo schlüpfe, dazu weiße Stoffhandschuhe anziehe, um Cuts zu vermeiden, dann die Boje umschnalle und so weiter.
Die Oma erklärt den fortwährend fragenden Kindern, „was der Mann da macht!“.

„Schau mal, der Mann zieht sogar Schuhe an! Da, jetzt zieht er die Handschuhe aus…“ und so weiter. Ich mag es nicht, wenn von anwesenden Personen in der dritten Person gesprochen wird, am allerwenigsten, wenn ich mit der Mann da gemeint bin und das Ganze in einer Lautstärke passiert, dass man es bis hinauf nach Leoni hören kann. Der Mann da hört jedes Wort mit.
Kann die Frau nicht einfach den Mund halten und mit den Enkeln ein Kiesloch ausheben?
Natürlich nicht, denn die Kinder warten ja noch auf die Schaufeln und beobachten interessiert den Mann da.
Da ich nicht weiß, ob nicht doch noch ein paar Tropfen fallen, verstaue ich meine Jeans, Schuhe und das Polo-Shirt in der großen Plastiktüte, in der ich normalerweise den nassen Neo heimtransportiere. Ich hasse es, aus dem Wasser zu kommen und klamme oder nasse Handtücher und Anziehsachen am Ufer zu finden.
Die Tüte lehne ich unter einen Baum, das eingerollte Handtuch und die Handschuhe für den Neo oben auf. All das, was der Mann da macht, bleibt nicht unkommentiert.

Gewitterwolken und Donnergrollen ziehen erneut auf – dieses Mal aber auf meiner Stirn. Ein böser Blick von dem Mann da trifft die Oma.
Die aber gibt sich unbeeindruckt, kommentiert weiter, was „der Mann jetzt wieder macht“, nämlich Kappe aufsetzen und Brille drüber und ins Wasser gehen.
Rund 60 Meter geradeaus muss ich laufen, bevor ich schwimmen kann. Das Wasser ist sehr flach, zu warm für den Neo und der Mann da ist ein wenig genervt. Sowas steht natürlich nicht auf den Webseiten – 2000 Parkplätze, das schon. Damit kann man werben. Aber von distanzlosen Touris ist da nichts zu lesen.

Ich schwimme nach Süden. Als Extrastrecke wegen des Neos entscheide ich mich, bis weit hinter die an Bojen vertäuten Segelboote zu schwimmen, quer durch die Kähne durch und erst hinter dem letzten umzudrehen. Als ich zwischen den Booten bin, warte ich förmlich darauf, dass ein Starnberg-Skipper mir zuruft, ich solle mich trollen. Zwischen den Booten sei Schwimmverbot. Und Fotografierverbot sowieso. Aber die meisten Boote liegen unter der Persenning und dümpeln vor sich hin, niemand ist zu sehen.

Im weiten Bogen schwimme ich schließlich parallel zum Ufer Richtung Norden zurück. Als ich auf die Höhe des Erholungsgebiets komme, ist die Abendsonne wieder da und wärmt. Einige Leute baden, ältere Leute schwimmen hinaus auf den See. Ich komme mir mächtig blöd und falsch angezogen in Gummipelle und Boje vor. Aber war soll’s?
Das lässt sich nun nicht mehr ändern.

Den Steg der Wasserwacht am Nordende des Geländers wähle ich als Umkehrpunkt. Die Sonne steht tief, es wird langsam frisch – und auf mich warten auch noch knapp 100 Kilometer Heimfahrt.

Als ich das Wasser verlasse, sind die Kinder verschwunden, Oma und Opa hocken auf der Liege und erzählen sich sonstwas.

Und dann bemerke ich das, was ich in all den Jahren an Seen und Weihern noch nie erlebt habe. Ich wurde beklaut:
Mein Handtuch ist weg. Einfach weg. Es ist das zweite Mal, dass ich mich beim/nach dem Schwimmen richtig ärgere: Das erste Mal war es bei der Begegnung mit den Hundehaltern am benachbarten Wörthsee. Und jetzt wieder. Und wieder im Fünfseenland und wieder an einem See bei den feinen und geldigen Pinkeln. Hätte ich mir ja denken können. Wo sonst sollte das passieren?
Wenn man wo Handtücher klaut, dann hier. Nur so kommt man schließlich zu was…
Klatschnass stehe ich da und kann zusehen, wie ich trocken werde.
Die Tüte mit all den Anziehsachen steht unberührt da. Bestimmt hat der Handtuchdieb gedacht, dass da wer seinen Müll abgestellt hat. Aber das Handtuch, das kann man ja noch benutzen.

„Arschloch“ brülle ich. Auch wenn heute nicht Dienstag ist. „Der Blitz soll Dich beim Scheißen treffen!“
Der Mann da ist jetzt richtig sauer. Die alten Leute schauen vollkommen irritiert von ihren Klappstühlen herüber.
So gut es geht, schnattere ich mich trocken. Dann, als es doch zu frisch wird, schlupfe ich in meine Klamotten, die sofort klamm werden und trete den Heimweg an.

Am Starnberger See traue ich jedenfalls niemandem mehr über den Weg. Wer so was Schnöseliges macht, der lässt auch Könige ermorden. Freunde werden wir zwei nicht mehr, der See und ich. Die kini-kitschig idyllische Abendstimmung unter weiß-blauem Himmel reißt es jetzt auch nicht mehr raus.
Sowas gibt’s im Chiemgau auch – aber Handtuchräuber nicht. Jedenfalls habe ich noch keine gesehen.


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2 Antworten

  1. Da wäre meine typische Äußerung fällig gewesen: “ meine Halsschlagader hat den Umfang meines Unterarmes angenommen“.

  2. Karl sagt:

    herrlich, ich meine geschrieben :-)
    lg
    karl