Renate findet das witzig
Was bisher geschah, können Sie nachlesen, wenn Sie auf die leeren Stühle klicken:
…nachdem also Renate schwer beladen von der Weinbeerenlese zu ihrem Sitzplatz im Restaurant zurückkehrt ist, verkriecht sie sich wieder hinter der Zeitung. Es allerdings dauert nicht lange, da wird sie unruhig, Das größte Manko einer Tageszeitung ist es, dass man sie zweihändig lesen muss: Sie also vor dem Gesicht aufspannen. Was bisweilen ein Segen ist, sich eben hinter der Zeitung verstecken zu können, gerät hier zum Fluch. Da Dreihändigkeit noch nicht erfunden wurde, kann Renate das Obst und den Joghurt nicht in sich hineinstopfen während sie gleichzeitig liest. Das ist ein Problem.
Da liegen sie vor ihr, die leckeren Träubchen, die sie so mühsam aus dem Obstsalat herausoperiert hat. Anderen würde das Wasser im Mund zusammenlaufen, mir zum Beispiel. Renate allerdings kann sie so nicht essen, wie blöd. Zeitung oder Obst. Sie muss sich entscheiden.
Renate wäre aber nicht sie selbst, hätte sie nicht eine Patentlösung. Sie faltet die Zeitung wieder zusammen, entgegen der vorgegebenem Knicke, dann legt sie sie neben ihren Teller, schlingt hastig das geholte Essen hinein. Deweil überfliegt derweil mit den Augen die Schlagzeilen des Tages. Das Ganze geschieht in einem atemberaubenden Essenstempo, was der liebevollen Zubereitung der Speisen (sofern man das bei Obstsalat sagen kann) absolut entgegensteht.
Kaum ist die Schüssel leer, widmet sie sich wieder der Zeitung.
„Harald, hör mal…“ beginnt sie und erntet ein knurriges Brummen als Antwort, denn Harald hängt im Sportteil fest. Er will lesen und nicht zuhören
„Harald?“ Eine Tonlage schärfer versichert sie sich der jetzt ungeteilten Aufmerksamkeit des Gemahls. Der nämlich weiß, dass er die Berichterstattung zur Tour de France nun nicht in Ruhe weiterlesen kann und legt die Zeitung nieder.
„Hör mal…“ beginnt Renate erneut. „Das finde ich witzig.“ Daraufhin liest sie ihm eine kuriose aber nicht wirklich komische Meldung aus der Zeitung vor.
Harald lauscht angestrengt, was eigentlich gar nicht nötig wäre, denn Renates Leselautstärke reicht, um den Nachbartisch – und damit uns – mitzubeschallen.
Als sie geendet hat, die erwartete Pointe ausgeblieben ist, ringt sich Harald zu einem „Na ja, witzig war das jetzt nicht gerade…“ durch. Damit hat er zwar Recht, aber genau das ist es ja, was Renate ihm in vielen Jahren ihrer Ehe abgewöhnt hat. Er hat nicht Recht zu haben, er hat zuzustimmen. Wenn Renate es witzig findet, dann hat er das gefälligst auch zu tun.
„Also ich finde das zum Brüllen komisch“, erwidert sie schnippisch und wie zum Beweis, dass nicht er sondern sie Recht hat, liest sie die Meldung ein zweites Mal vor. Das macht es nicht besser, und schon gar nicht witziger. Denn das, was man mit viel gutem Willen als den Gag der Meldung bezeichnen könnte, ist ja jetzt schon bekannt. Harald belässt es bei einem angedeutetem Lachen, dann greift er nach seinem Brötchen. Wenn er jetzt schnell genug abbeißt, entgeht er einer Gesprächsverlängerung einfach dadurch, dass er den Mund voll hat.
Beleidigt verschanzt sich Renate wieder hinter der Zeitung.
Bevor sie aber eine weitere Kostprobe des Humors lokaler Berichterstattung zum Besten geben kann, tritt Harald die Flucht an. Er hat den Sportteil säuberlich zusammengelegt, sich unter den Arm geklemmt und ist aufgestanden.
„Ich geh dann schon mal nach oben, Du kannst ja in Ruhe deinen Tee austrinken“, meldet er sich ordnungsgemäß ab.
„Ja mach das“, antwortet Renate hinter der papierenen Front hervor. „Du brauchst ja sowieso immer so lange, bis Du fertig bist und wir gehen können. Ich verstehe gar nicht, warum das bei Dir immer halbe Ewigkeiten dauert. Ich schmier uns derweil noch ein paar Brötchen für den Tag.“
Einem „Ja, ist gut“ schließt Harald die Bitte an, ob sie ihm dieses Mal statt Leber- vielleicht besser die Zwiebelmettwurst aufstreichen könne, aber Renate antwortet gar nicht darauf. Also trottet er los.
Was Renate nicht versteht, warum das alles bei Harald so lange dauert, bis er abmarschbereit ist, erschließt sich uns, den nicht eingeweihten unfreiwilligen Zeugen des Geschehens, als Harald bereits auf dem Weg ist:
„Harald“, ruft ihm Renate nach und klappt die Zeitung herunter. Sie schaut überrascht, dass er es tatsächlich gewagt hat, einfach loszugehen.
Er dreht sich um als fürchte er, wenn er das nicht macht, dass der nächste ungleich lautere Ruf gleich hinterher kommt und der die Aufmerksamkeit der letzten Gäste im Restaurant auf sich ziehen könnte.
Völlig ungerührt als sei sie mit Harald allein auf der Welt, fordert Renate ihren Mann auf: „Wenn Du fertig bist, lass das Licht an. Dann läuft die Lüftung weiter und es stinkt nicht so sehr. Und mach die Tür zu, wenn Du aus dem Bad kommst.“
A ha… wenigstens wissen wir, warum Harald schon mal vorgeht, was er gleich macht und wo er mit Sicherheit den Sportteil in Ruhe zu Ende lesen wird. Das Wissen hätte es zwar nicht gebraucht, aber nun ist zumindest diese Frage geklärt, warum er immer halbe Ewigkeiten braucht. Er liest auf dem Klo. Und in so einer Lokalzeitung steht ja auch verdammt viel drin…
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