Spaziergänge (#28): Am Speichersee – da, wo Wasser und Strom fließen
„Schwerbewaffnet“ rücken drei Männer und eine Frau von Landsham aus zum Speichersee vor. Stative, Kamera, Teleobjektive, Ferngläser. Eine vierte hat sich bereits auf dem Damm zwischen mittlerem Isarkanal und dem künstlichen See in Positur gebracht. Ihr Ziel, eine kleine Insel, darauf allerlei Wasservögel, vornehmlich Blässhühner, Graugänse aber auch jede Menge Kolbenenten, die an ihrem fuchsroten Kopfgefieder und dem knallroten Schnabel gut zu bestimmen sind.
Am Nordufer das gleiche Bild – nur, dass die dort von Neufinsing aus vorrückenden Männer Angeln statt Kameras mit sich führen und sich die besten Stellen für den Fischfang suchen.
Ein Hauch von Vorfrühling ist an diesem Tag an dem großen, künstlichen See östlich von München zu spüren, der den Mittleren Isar Kanal und die an ihm aufgereihten Kraftwerke mit Wasser versorgt, damit zunächst im Kanal das Wasser und anschließend aus der Steckdose der Strom fließt. So schafft das Wasserkraftwerk in Neufinsing rund 8 MW, es ist eines der kleinsten am Kanal.
Den Ostteil des Speichersees zu umrunden ist mein Tagesausflug, beginnend in Landsham, wo mich ein knurriges, uraltes Ehepaar wild gestikulierend anranzt und blockwart-beweissichernd fotografiert, noch bevor ich aus dem Auto ausgestiegen bin. Offenpar passt es ihnen nicht, dass ich vor ihrer Nase das Auto zum Parken wende – so, als würde ich ihnen über die Füße fahren wollen oder genau dort das Auto abstellen, wo der selbsternannte Parkwächter gerade ein Fotomotiv erspäht hat. Gottseidank ist die Musik im Auto so laut wie gutlaunig, dass ich von dem Gekeife draußen kein einziges Wort verstehe.
Da fühlt man sich vor Beginn des Spaziergangs gleich in die richtige Stimmung versetzt. Vielleicht sollte ich im Gegenzug auch die Kamera zücken und die Beiden ins Gesicht fotografieren – aber ich entscheide mich, darüber zu stehen und es einfach ärztemäßig zu ignorieren: Bleib höflich und sag nichts. Das ärgert sie am meisten.
Nach dem Parken und Aussteigen kommt der Alte mit gezückter Kamera auf mich zugewackelt, aber sein Tempo reicht nicht, mich noch mit einer weiteren Tirade zu versorgen, bevor ich auf den Spazierweg abgebogen bin. Es besteht also kein Grund, meinerseits das Tele auszufahren, um ihm zu zeigen, wer von uns beiden den längeren hat.
Von dem kleinen Parkplatz aus führt der Weg zwischen an den Feldern und einer eher wenig charmanten Landschaft entlang parallel zum Richtung Neufinsing.
…dort durch den Ort, am Uniperkraftwerk vorbei und über den Damm am Nordufer zurück zum Mitteldamm, der den See in zwei Teile trennt.
Empfohlen hat diese Runde Ulrich Strelzing in seinem Blog Auf den Berg, dem ich schon so manche Idee für Spaziergänge und Wanderungen entnommen habe. Schließlich leben wir in der gleichen Region und nicht immer muss man wirklich hinauf auf den Berg (ich sowieso nicht).
Ulrichs Text verspricht ein gewisses Nordsee-Feeling, wenn man über den Damm wandert und einem der Wind um die Nase pfeift. Nun ja, der Wind pfeift nicht an diesem Tag, ähnliche Wege kenne ich von vielen Talsperren und zwangsbegradigten Flüssen. Das Feeling will sich nicht so wirklich einstellen. Macht aber nichts. Es ist trotzdem eine schöne Runde.
Auch in einem anderen Punkt stimmt Ulrichs 2012 verfasster Beitrag nicht, denn er erwähnt, es wäre dort kaum etwas los. Ganz im Gegenteil: Der Damm am Nordufer ist gut gefüllt mit Radfahrern, Hundeführern, Joggern, Mittagspauslern, Spaziergängern – auch wenn das obige Foto etwas anderes zeigt. Dazu die bereits erwähnten Angler am Mitteldamm und die Fotografen am Isarkanal – und natürlich die um Ordnung so bemühte doitsche Parkplatzaufsicht.
Verstehen kann ich es ja – alle wollen raus, mich selbst nehme ich davon nicht aus. Der fortgesetzte allgemein verordnete Stubenarrest geht aufs Gemüt, das Wetter auch. Da ist eine Runde Frischluft tanken ein absolut triftiger Grund, die eigenen vier Wände zu verlassen. Und immerhin hat man ja auch die Chance auf ein paar so höchst charmante wie unfreiwillige Sozialkontakte, das ist ja heutzutage viel wert. Davon kann man eine ganze Woche zehren und eine Blogerwähnung springt sogar auch noch dabei heraus. Hätte ich ihn doch fotografiert, dann könnte ich ihn jetzt hier zei…
Nein!
Dass ich den Speichersee nicht früher schon besucht habe, hat einen guten Grund – es gibt dort einfach nichts, für das sich das Herkommen lohnt, außer Spazieren zu gehen und zu fotografieren. Schwimmen ist nicht erlaubt, es gibt keinen Biergarten, der See dient wirklich nur der Wasserregulierung und Energiegewinnung – und seit Jahren als wertvolles Biotop für Wasservögel und Fische. Die Ufer sind steil und betoniert, da kann man noch nicht mal (außer an wenigen Plätzen) im Sommer die Füße ins Wasser und das Gemüt in den Himmel baumeln lassen oder eine Decke ausbreiten und ein Picknick machen.
Vom Mitteldamm aus richtet sich noch einmal der Blick nach Osten, ganz in der Ferne ist Neufinsing zu sehen.
Der schönste Abschnitt an diesem milden Tag, an dem sogar hin und wieder die Sonne durchkommt, ist das Nordufer, im Sommer ist das vermutlich, da schattenlos, anders.
Auch wenn es hier nur Blässhühner zu sehen gibt: Ich könnte ihnen lange zuschauen, wie sie in aller Ruhe langsam ihre Bahnen durchs Wasser ziehen. Alle schön von Ost nach West schwimmend, parallel und in bester Ordnung.
So auf Linie gebracht… ob der alte Spinner hier wohl auch sein Händchen im Spiel hatte?
Eine Liste aller Beiträge der Serie Spazieren statt schwimmen gehen samt Verlinkung finden Sie auf der Unterseite Die Serien dieser Seite im Überblick.
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Spazieren statt schwimmen – ohhhh, wie lange müssen wir das noch machen? Ich meine, nix gegen Spazierengehen. Deine Fotos sind auch richtig schön. Aber, wähhh! Langsam wird mir die Zeit doch lang. Na, aber der Sommer kommt ganz bestimmt, auch wenn wir hier in Berlin unter dem Schnee fast verloren gehen…
Ja, da bin ich ganz Deiner Meinung. Ich fürchte jedoch, dass wir auch noch über den März hinaus vor verschlossenen Hallenbädern stehen werden, realistisch sehe ich uns zur Freibadsaison dort oder im Freiwasser. Bei -12 °C, die wir heute morgen hatten, derzeit aber für mich
keine Alternative.