Pinball Wizzard – Auf zum Daddeln im Flippermuseum Eschbach
He’s a pinball wizard
There has got to be a twist
A pinball wizard’s
Got such a supple wrist
Zack, da ist er der Ohrwurm: Pinball Wizard von The Who, geschrieben von Pete Townsend für die legendäre Rockoper Tommy, veröffentlicht 1969. Das liegt mehr als nahe, wenn man sich plötzlich umgeben von Flipperautomaten, also Pinballs, befindet, ein gewisses Alter und Grundkenntnisse der neueren Musikgeschichte der Sparten Rock und Pop hat. Dann hängt einem nahezu unweigerlich entweder das Original in den Ohren oder die Coverversion von Elton John aus der schrill-schrägen Ken-Russell-Verfilmung der Rockoper von 1975.
Überall wird gedaddelt und ich bemerke, dass ich dieses Wort viele Jahre, wenn nicht Jahrzehnten nicht mehr benutzt habe. Es steht im Duden, meint, am Spielautomaten zu spielen, ist umgangssprachlich, vor allem norddeutsch belegt und steht in der Gefahr, irgendwann auszusterben. Vielleicht sollte ich es in die Liste meiner Lieblingswörter aufnehmen? Wohl eher nicht, denn das Wort an sich hat zwar in meinen Ohren einen gewissen nostalgischen Anstrich, aber ich verwende es kaum. Das mag an der mangelnden Gelegenheit liegen, denn ich daddle (sprich: daddel) nicht und Daddelautomaten sind im öffentlichen Raum nahezu verschwunden außer in Spielotheken, in denen ich nicht verkehre. Und wann bitte hat jemand das letzte Mal einen Flipper in einer Kneipe gesehen?
Ganz anders in Eschbach, einer kleinen Gemeinde im Badischen, nahe Freiburg gelegen. Dort gibt es ein Flippermuseum, privat von einem rührigen Verein betrieben, deren Ziel es ist, diese wunderbaren Geräte vor dem Aussterben zu bewahren und damit einen Ort ungehemmten Daddelns zu schaffen – einen Schutzraum für Flipper und alle, die daran spielen wollen.
Die runden Geburtstage meines Bruders und seiner Freundin führen mich an diesen ungewöhnlichen Ort.
Rund 50 Geräte wurden dort gesammelt, liebevoll repariert und restauriert, die Spanne reicht von ganz alten, rein mechanischen zu neueren, computergestützten Modellen. Und so ganz nebenbei erzählen viele Flipper auch ein Stück Kultur: und Zeitgeschichte. Wir treffen auf Indiana Jones, den Crypt Keeper, Star Wars und Star Trek, den Herrn der Ringe und Spiderman, Lethal Weapon, X-Men und X-Files. Denn viele Flipper greifen, bei letztlich doch immer gleicher Grundidee des Spielablaufs die erfolgreichen Film-Franchises auf und wandeln sie in ein Daddel-Spiel um.
Auf manchem Flipper steht oben auf dem Gerät gern mal etwas dekorativ herum, ein kleiner Spiderman zum Beispiel. Es sind die kleinen Details, die es neben den großen Kisten zu entdecken gilt: So auch ein Modell des X-Wing-Fighters, Han Solos Falke, ein beleuchteter Totenkopf.
Es überrascht sicher nicht, dass im Flippermuseum ein kolossaler Lärm herrscht, wenn die Geburtstagsgesellschaft einen Samstagnachmittag vor Ort verbringt. Das Stakkato-Klackern der Paddel, die Bumper, das Gedudel der Kisten, weiteres Geklacker vom Airhockey-Tisch, der zwischen den Flippern steht, wenn die Plastikscheibe mit großer Wucht dem gegnerischen Tor entgegengetrieben wird. Dazu Smalltalk derer, die gerade nicht spielen und irgendwo läuft auch noch Musik. Dann wieder quasselt der Flipper oder dudelt seine Musik ab. Daddeln und Dudeln bis der Arzt kommt. So wie früher.
Alle Geräte sind auf „Freispiele“ gestellt, anders geht es wohl auch nicht, wer hat schon die erforderlichen alten D-Mark für den Münzeinwurf?
Die Gäste spielen sich kreuz und quer durch die beiden Etagen. Auch ich daddle mal hier mal dort, weit entfernt von irgendwelchen Chancen auf Boni und Extrabälle, weit entfernt von jeglicher Fingerspitzentechnik, gezielte Schüsse abzugeben, den Ball tänzeln zu lassen und vor Abschuss in die beste Position zu bringen. Einziges Ziel: Den Ball möglichst lange im Spiel lassen – was spätestens dann schwierig wird, wenn ein zweiter, dritter oder vierter dazu kommt.
Meist warte ich gar nicht erst ab, bis die Maschine alle Punkte alle auszählt, wenn der letzte Ball verschossen ist. Ich rücke einfach weiter und spiele am Nächsten, auch hier wieder ohne den Hauch einer Ahnung, was ich eigentlich tun müsste, um heftig zu punkten. Von den karibischen Piraten geht es zu Kiss, dann zu Xenon und so weiter. Oder zu Tales from the Crypt? Denn den Wächter der Gruft mochte ich schon als skurrile Gummipuppe in den einschlägigen Filmen.
Zwischendurch mache ich Dutzende von Fotos, denn gleichzeitig findet unter den Gästen ein kleines Turnier, das der Gastgeber organisiert hat, statt. Und einige mit unbedingtem Siegeswillen stehen mit Feuereifer vor den Geräten und ärgern sich richtig, wenn der Ball seitlich ins Aus geht. Da landet schon mal die Faust auf der Flipperkante, wird ein Fluch ausgestoßen oder bis zum Tilt an dem Pinball rumgeruckelt.
Kurz bevor es zum Finale staccato e furioso kommt, wird der Pinball, an dem der Sieger ausgespielt wird, noch mal ordentlich aufpoliert.
So vergeht der Nachmittag im Fluge – eine ganz besonderer Geburtstagsfeier nimmt einen großartigen Anfang.
Und jetzt alle:
I thought I was
The Bally table king But I just handed My pinball crown to himFür alle, die im Umkreis von Freiburg leben oder dort vorbeikommen, also eine dringende Empfehlung. Weil man selbst viel zu lange nicht mehr gedaddelt bzw. geflippert hat, weil man es unbedingt mal wieder machen möchte, weil man ein hemmungsloser Nostalgiker-Boomer ist, weil man in Erinnerungen schwelgen will, weil man selbst ein Pinball Wizard ist oder sich für einen hält, weil man es noch nie gemacht aber gern mal ausprobieren will… Es gibt genug Gründe.
Hier noch mal der Link zum Eschbacher Flippermuseum.
Vielen Dank fürs Lesen.
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