Nach der Lesung – die Innenansichen eines (Vor)lesenden
Da hängt es also, das Herz. In der Hose. So tief ist es gerutscht. Da kannst Du noch so routiniert sein, noch so souverän tun: Wenn Du mit einem komplett neuen Programm eine Lesung bestreitest, Dein neues Buch präsentierst, dann bist Du gefälligst nervös. Aber sowas von…
Alles andere wäre unehrlich.
Am Sonntag Abend war es soweit. 2 Stunden wollte ich mit zwei Freunden, dem Gitarrenduo Null6Null8, die Besucher der kleinen Gemeindebücherei in Forstern unterhalten, amüsieren und ein wenig in aquatile Stimmung bringen, es ging schließlich ums Schwimmen und um mein Buch Bahn frei. Natürlich wusste ich: Es werden friends & family kommen, Nachbarn, Bekannte aber sicher auch ein Anteil wildfremder Menschen, getrommelt hatten wir ja für die Lesung mehr als heftig und laut.
Als ich in der Bücherei ankomme, sind alle Plätze leer – Kunststück, ich bin ja sehr früh da. Ein Blick auf die Stühle wirft für den Pessimisten die Frage auf: Werden die alle besetzt sein? Der Optimist denkt: Das reicht im Leben nicht, Ihr müsst noch mehr reinstellen.
Und so war es dann auch. Alles war perfekt und mit viel Liebe vorbereitet. Von überall her wurden Stühle und Hocker geholt, kein Platz blieb leer, immer noch kamen Leute. Was ein tolles Gefühl. Da sitzen sie nun, warten gespannt, lauschen der Eröffnung der beiden Musiker, die ihren selbstkomponierten Song „Fisherman“ zum Besten geben. Gleichzeitig die Anspannung: Werde ich den Erwartungen gerecht? Stimmt die Textauswahl? Passt alles mit der Musik?
Während des Intros drücke ich mich im Dunkel, im hintersten Teil des zweiten Raums herum. Ich sammle und sortiere mich (als wenn das jetzt noch was nützt) und setze mich mental auf eine Schiene. Ein letzter Anstoß, dann muss die Karre rollen. Es geht nicht anders. Der Point of No Return ist längst überschritten, aber ich habe es ja selbst so gewollt.
Also los.
Raus – sich begrüßen lassen. Es wird geklatscht. Ins Publikum schauen. Das ist wichtig. Überall wohlwollende Mimik. Beruhigt das?
Viele Gesichter kenne ich, ich freue mich, bin überrascht, wen wir haben anlocken können. Viele Gesichter aber bleiben im Dunkel, später werde ich von Leuten hören, die da waren, die ich weder gesehen habe noch begrüßen konnte. Luft holen, weiteratmen – loslegen. Wie bei einem Sprung ins Schwimmbecken.
Das ist jetzt der Moment der Wahrheit oder wie mein Vater es zu formulieren pflegte: Der Moment, in dem Jumbo das Wasser lässt. Nun, Wasser lasse ich nicht, ich werde mir vor Angst oder Nervosität ganz sicher nicht in die Hose machen. So viel Professionalität besitze ich dann doch. Also lese ich. Vom Blatt. Weil das viel angenehmer ist, als sich ein aufgeschlagenes Buch vor die Nase zu halten, dass sich sowieso dauernd verblättert.
Oft genug habe ich die Texte daheim gelesen, darauf geachtet, nicht zu schnell zu werden, gut zu betonen, an den richtigen Stellen Luft zu holen. Das alles aber sind Trockenübungen. Live ist alles ganz anders: Ich hetze durch die ersten Teile und lasse, wie ich hinterher höre, dem Publikum kaum Luft zu reagieren. Es geht zu schnell: Zu schnell, um zu lachen, zu schnell um zu klatschen.
Gut, dass Ralph und Bert immer wieder mit ihrer Musik Pausen für mich schaffen. Pausen um mich auszubremsen.
Ein flüchtiger Blick auf das, was ich anmoderieren will, dann geht es weiter.
Ich werde ruhiger, entspanne mich, kalauere ein wenig und merke: Die Leute hören zu, lachen an den richtigen Stellen, können nachvollziehen, was ich erzähle. Zumindest wirkt es auf mich so. Die Nervosität weicht, ich bin froh, ein paar sprachliche Klippen in den Texten sauber umschifft zu haben, es läuft. Es kommt rüber, was ich erzählen will, auch bei denen, die nicht zu den Schwimmfanatikern gehören. Ich spiele ein wenig mit Randbemerkungen und Einwürfen.
In der Pause registriere ich auch nicht, wer eigentlich wirklich alles da ist. Unkonzentriert versuche ich mich in SmallTalk, erzähle, beantworte mechanisch und geistesabwesend ein paar Fragen, nehme glücklich zur Kenntnis, dass auch die ausgestellten Bücher Interesse finden, ich werde nicht wieder alle unverkauft einpacken und mitnehmen müssen. Einige Besucher bunkern erste Weihnachtsgeschenke.
Es scheppert, irgendwer hat den Mikroständer umgeworfen. Die zweite Hälfte der Lesung bin ich also ohne Tonverstärker, was, wie ich später als Feedback bekomme, wesentlich besser rüberkommt. Ich habe mehr Bewegungsfreiheit, kann „rumhampeln“ und die Lesung gerät ein wenig mehr zu einer Performance aus Gesten und Mimik.
Als es zum Ende hin etwas winterlich und „besinnlich“ wird, ist es totenstill im Raum. Man meint, eine Stecknadel fallen hören zu können. Keiner schnarcht, ich nehme also an, alle lauschen sehr konzentriert (und hoffentlich ein wenig ergriffen und bewegt) den Schilderungen. Wenn ja, ist meine Rechnung aufgegangen. Ich kleiner Manipulator, der ich bin.
Ralph und Bert spielen als Finale eine Coverversion von „Demons“ von den Imagine Dragons.
Und schon ist der Abend vorbei. Reichlich überzogen haben wir, aber auch das gehört zum guten Ton.
Nach dem Schlussapplaus ist ein Teil der Zuhörer schnell verschwunden, Leute werfen mir im Vorbeigehen ein Dankeschön und ein Lob zu, dass es ihnen gefallen hat. Andere Besucher plaudern noch, kaufen Bücher, ich kassiere und signiere, kann kaum zwei und zwei zusammenrechnen und antworte auf Fragen der Zuhörer. Alles gleichzeitig, Chaos im Kopf. Zugleich bin ich so voller Endorphine und Motivation, dass ich gleich die nächste Lesung hinterherschieben könnte. Ein gefährliches Unterfangen, sowas geht meistens schief. Ich weiß das und beherrsche mich.
Kaum daheim trudeln per WhatsApp von Freunden Rückmeldungen ein, es hat ihnen gefallen. Das pusht noch einmal enorm. Ein kleiner Triumph, der richtig gut tut. Die Anstrengung vorher und während der Lesung hat sich gelohnt. Ich kann es nicht anders sagen. Übrigens: So ungefähr muss man sich auch vorkommen, wenn man als zehnjähriger Hänfling einem Sechszehnjährigen, der ein paar Köpfe größer und wesentlich muskulöser ist, androht, ihm in die Eier zu treten, wenn er nicht gleich vom Einmetterbrett springt und die Bahn frei macht. Bahn frei. Für mich (*)
(*) Kleiner Insider für Besucher der Veranstaltung und/oder Leser des Buches.
Alle Fotos: Eva Prauser.
Vielen Dank fürs Lesen.
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Genau so ist es.
Lampenfieber, besonders, wenn „privat wichtige“ Personen im Raum sind, Chaos im Kopf, selbst während des Lesens das Gefühl, sich selbst zu hören, sich zu ermahnen, das Tempo nicht zu erhöhen, Kontrollieren der Atmoshäre, Registrieren von Zustimmung oder Lachern an den hierfür vermuteten Stellen – und Staunen, wie schnell auf einmal alles vorbei ist.
Toll und sehr nachspürbar geschrieben! 🙂
Beste Grüße!
Lo
Hört sich nach einem sehr gelungenen Abend an und ich freue mich riesig für dich 🙂 .
Alles, alles gute weiterhin für dich und dein neues Buch.
Ich bin mir sicher, es ist genau so gelungen, wie die anderen Bücher, die mich immer wieder zum schmunzeln, lachen und nachdenken bringen konnten :)O. LG Iris
Das ist so anschaulich beschrieben, dass ich selbst das Lampenfieber spüren konnte. Spannend. Dank der Fotos konnte ich mir alles gut vorstellen. Es klingt nach einer wirklich gelungenen Vorlesung. Viel Erfolg beim Buchverkauf!