Mediatipps (Teil 44): „Sind Antisemitisten anwesend? – Satiren, Geschichten und Cartoons gegen Judenhass“ herausgegeben von Lea Streisand, Michael Bittner und Heiko Werning

…und dann sehe ich mal wieder einen Post von Heiko Werning bei Facebook, der mich auf ein Projekt aufmerksam macht, an dem er direkt beteiligt ist. Heikos eigene Bücher und seine Anthologie Von Okapi, Scharnierschildkröte und Schnilch schätze ich, jetzt ist er wieder an einer Anthologie beteiligt Etwas ganz Anderes ist sein Thema: Zusammen mit Lea Streisand und Michael Bittner entstand das Buch Sind Antisemitisten anwesend? – Satiren, Geschichten und Cartoons gegen Judenhass.
Normalerweise liegt mir Copy & Paste nicht so, an dieser Stelle aber soll Heiko Werning selbst zu Wort kommen mit dem, was er zuvor bei Facebook gepostet hat und womit er mich keine 10 Minuten später zum Kauf überzeugt hat:
„Nach dem Terrorangriff der Hamas vom 7. Oktober flammten weltweit nicht etwa machtvolle Proteste gegen die irren Islamfaschisten auf, sondern eher gegen die Opfer. Auch die Kulturszene befremdete häufig mit Schweigen sowie mehr oder weniger antisemitisch grundierten Free-Palestine-Parolen und pseudo-postkolonialistischem Geplapper. Umso erfreuter war ich, dass zumindest auf unseren kleinen Lesebühnen noch einige Stimmen der Vernunft zu hören waren, lustige und elegant formulierte noch dazu. Das brachte mich auf die Idee, diese Texte in einem Buch zu versammeln und weitere stabile Charaktere zu bitten, Material beizusteuern. Freund und Kollege Volker Surmann – Autor mit seinem Satyr Verlag – war gleich dabei, mit Michael Bittner fand ich einen Compañero, der das intellektuelle Rückgrat einbrachte, und so beschlossen wir, gemeinsam das Abenteuer Anti-Antisemitismus-Anthologie zu wagen. Lea Streisand war mir schon zuvor mit schönen Texten aus ihrer eigenen jüdischen Perspektive aufgefallen, umso erfreuter war ich, dass sie auf unser Angebot einstieg, als Herausgeberin mitzumachen.
Dann fragten wir von uns geschätzte Autorinnen und Autoren und waren ganz gerührt und begeistert von der Resonanz. Schließlich liegt jetzt also dieser Wackerstein gegen den grassierenden Judenhass vor, im doppelten Umfang dessen, was wir zunächst geplant hatten: lustig und angriffslustig, nachdenklich und polemisch, vielstimmig und doch ein großes Bild ergebend, nach rechts ebenso austeilend wie nach links und in die Mitte, gegen Biodeutsche wie Migranten, kurz: gegen all die furchtbaren Voll-, Halb- und Irgendwie-so-ein-bisschen-Judenhasser überall, die natürlich alle eines garantiert nie sind: Antisemiten. Oder sind etwa Antisemitisten anwesend?“

Selten habe ich ein Buch so schnell bestellt und selten so schnell aufgesaugt, die Inhalte habe ich geradezu inhaliert. Das liegt zum einen natürlich an der Form – viele kurze Texte, teils Prosa, teils Gedichte, Reportagen, Erinnerungen oder Essays. Die wenigsten länger als 3-4 Seiten. Dann fängt etwas Neues an – etwas anderes, eine neue Perspektive auf das Thema Antisemitismus und Judenhass.
Zum anderen liegt das am Thema und dessen Aufbereitung. Es ist ein Mix aus bitterbösen Texten, aus tieftraurigen, sehr verstörenden und sehr berührenden. Nicht alle sind ganz nach meinem Geschmack, das müssen sie auch nicht sein. Die Zugänge zum Thema sind eben so unterschiedlich wie die Autor:innen, die Streisand, Bittner und Werning zusammengetrommelt haben.
Die Gedanken galoppieren: Viele Beiträge treffen genau dort, wo sie es sollen – ins Mark. Das schmerzt und verunsichert. Bin ich nicht einer von denen, der immer klar und deutlich seine Stimme gegen Antisemitismus erhoben hat? Aber war/bin ich auch laut und konsequent genug darin?
Oder steht der Philosemitismus, den viele Menschen pflegen, nicht sogar unter der permanenten Gefahr einer gewissen Selbstgefällig- oder gerechtigkeit, einem Paternalismus gleichkommend? Wie weitermachen, wie umgehen mit jüdischen Menschen, wenn das Wort „Jude“ an sich schon schwer genug aus der Tastatur fließt oder über die Lippen geht?

Schon während der Lektüre verstehe ich mehr und mehr, welch tiefes Trauma der Terrorangriff der Hamas im vergangenen Jahr bei jüdischen Menschen ausgelöst hat, und zwar weltweit. Gewusst hatte ich das, aber auch verstanden? Eher nicht gut genug.
Jetzt schon weitaus mehr, denn die Autor:innen erzählen davon, mal aus der eigenen Perspektive, mal aus der des Beobachters, zum Beispiel Jan Feddersens Beitrag Israel? Twelve Points!  über Israel beim ESC und den Auftritt Eden Golans. 2024 oder Dimitrij Kapitelmans Text Keine Antisemiten, nirgends der sich als Journalist in der Berliner Sonnenallee umgesehen hat, dort wo nach dem Massaker spontan ein Freudenfest veranstaltet und Süßigkeiten verteilt wurden.
Manches macht fassungs- anderes sprachlos. Manchmal bleibt ein Lachen im Hals stecken, manchmal gefriert das Grinsen über eine Pointe noch beim Lesen im Gesicht. Das ist gut, das ist wichtig – nein: Das ist notwendig.
Manche Texte sind anstrengend, mancher Humor ist nicht so ganz der meine, bei einer Anthologie mit so vielen Autor:innen bleibt das nicht aus. Andere wiederum sind dermaßen gut, dass ich fast enttäuscht bin, dass sie nur so kurz sind, bei vielen Schilderungen persönlicher Erlebnisse würde ich gern noch stundenlang weiterlesen. Aber es ist die Kunst der kleinen Form, sich auf das Besondere zu konzentrieren, nicht auszufasern, die sie so gut machen.

Interessant sind die Wünsche, die ein solches Buch hinterlässt. Da ist dieser große Wunsch, solche Bücher würde es nicht geben – nicht, weil an ihnen irgendetwas auszusetzen wäre, sondern weil eine gesellschaftliche Wirklichkeit sie nicht weiter notwendig machte. Ein so frommer wie naiver Wunsch – ich weiß.
Aber weil das so nicht ist, nie so war und wohl auch so nie sein wird, wäre es gut, solche Texte würden eine riesige Leser:innenschaft erreichen. Und nicht nur das: Auch etwas bewirken. In diesem Fall stehen die Chancen nicht per se auf aussichtslos. Denn der Judenhass, der in weiten Strecken Sind Antisemitisten anwesend? thematisiert wird, kommt von links. Er kommt von Menschen, bei denen noch nicht Hopfen und Malz verloren sind, von Menschen, die es beim Nach- und Mitdenken besser wissen könnten. Sollte man zumindest meinen.


Erhältlich direkt beim Verlag: Link hier.

Streisand, Lea; Bittner, Michael und Werning, Heiko (Hg.): Sind Antisemitisten anwesend? – Satiren, Geschichten und Cartoons gegen Judenhass

Hardcover / 383 Seiten / 20 farbige Cartoons / Satyr Verlag / 2. September 2024 / Sprache: Deutsch ISBN-13: 978-3-919775-18-3

Preis: 26,00 € Auch als Kindle-eBook erhältlich


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2 Antworten

  1. Erinnye sagt:

    Einmal pro Woche Lea Streisand im Radio hören… ist bei mir Pflichtprogramm. Da ke für den Tipp!