Dieser eine Moment…
92.360 Zeichen sind es geworden. 154 Seiten, 45.545 Wörter. Der letzte Durchgang ist gemacht. Das Manuskript ist fertig, Version 4. Soweit man davon sprechen kann, dass ein Manuskript jemals fertig wird…
Und dann kommt er, dieser eine Moment und ich kann nicht sagen, dass er mich gleichgültig oder gar kalt lässt. Im Gegenteil. Er ist erwartet, erhofft und doch von einer gewissen Nervosität begleitet.
Ich muss das Manuskript dem Verleger senden, oft haben wir vorher telefoniert, oft habe ich ihm erzählt, wie es um den Fortgang des neuen Buches bestellt ist. Wir haben geredet, ich bekam wertvollen Input, aber gelesen hat der gute Mann noch nichts. Kein Kapitel, kein Abschnitt, geschweige denn eine Rohfassung. Wobei das, was ich ihm jetzt schicke, ja nicht viel anderes ist: Eine Rohfassung. Sein Feedback ist wichtig, dann das einiger Vertrauter, die das Skript vor Veröffentlichung lesen sollen, denn ich halte nach wie vor sehr viel von Hausfrauentests, trotz dieses mittlerweile nur dämlichen Begriffs.
Gleichzeitig sollen/müssen/dürfen zwei Leute sich mit den Zitaten beschäftigen, die ich ihnen telefonisch und per E-Mail abgerungen habe. Sprich: Bitte autorisieren Sie Ihre getätigten Aussagen. Wenn möglich: Bald.
Und wenn das alles gemacht ist, darf die Lektorin nach orthographischen, lexikalischen und grammtikalischen Fehlern suchen, alberne Wörter und Formulierungen anstreichen, logische Brüche und Widersprüche suchen. Wenn ich jetzt auf senden klicke, setze ich genau diesen Prozess in Gang.
Ich zögere. Es ist dieser eine Moment des Innehaltens, der Erinnerung: Version 1 ist längst Geschichte, das nackte Runterschreiben des Textes. Version 2 ist auch durch, das war das erste eigene Gegenlesen, Neu- und Umformulieren, ergänzen und kürzen… eben all das, was einem auffällt, wenn der Text mal ein paar Wochen geruht hat. In der Version 3 flog ein immenser Haufen Füllwörter aus dem Text (keine Angst, es sind immer noch mehr als genug drin). Und dann die glatt gezogene Version 4. Erstaunlich, was man da alles noch ändert.
Soll ich senden? Oder Version 5 anfangen?
Aber das ist es nicht die einige Frage.
Es sind die bohrenden Zweifel. Ist das Skript witzig genug, unterhaltsam genug, informativ genug? Oder ist es zäh, belehrend, langweilig, trocken? Vielleicht belanglos?
Gibt es überhaupt jemanden, den das alles interessiert, was ich zusammengeschrieben habe? Wer will das alles lesen? Wer will das alles wissen?
Was, wenn der Verleger nicht überzeugt ist?
Immerhin hat er mir einen großen Vertrauensvorschuss entgegen gebracht, ist bereit, in das Projekt Geld zu investieren und das möchte er am Ende auch wieder haben – und noch verdienen. Und das will ich auch.
Da kann er schließlich ordentliche Arbeit erwarten. Er ist der erste, dem das Skript gefallen muss, Texte, von denen ich meine: So kann ich es zur Diskussion stellen. Klar: Besser geht immer, Verbesserungsvorschläge werden sicher kommen und umgesetzt. Aber alles, was ich jetzt ohne Feedback noch am Text machen würde, wäre nur noch Herumfuhrwerken, unnützes Aufblasen, endloses Umformulieren… letztlich vielleicht ein Verschlimmbessern. Ich weiß es nicht.
Ich zögere trotzdem. Ich kann nicht loslassen. Noch nicht – einen kurzen Moment noch. Mut sammeln und dann Courage zeigen.
- Wie damals, als ich die ausgefüllten Prüfungsfragebögen zuklappte und dem Fahrlehrer in die Hand drücken sollte
- Wie damals, als ich das ganze Geschriebene zusammenlegte und zum Tisch des aufsichtsführenden Lehrers bringen sollte: „Hier meine Abi-Arbeit“.
- Wie damals, als ich vor dem Terminal saß und dem Redaktionsleiter sagen sollte, wenn mein erster Zeitungsartikel fertig war, damit er ihn lesen konnte.
- Wie damals, als ich den zweiten, dritten, vierten… Artikel schrieb.
- Wie damals, als ich vor der Tür des Rektorats stand, die Diplomarbeit in der Hand, um sie abzugeben.
- Wie damals, als ich wichtige Präsentationskonzepte auf dem Bildschirm hatte und nur noch auf Drucken klicken musste, um die Mappen zu binden und einzupacken.
- Wie damals, als die erste Folie meines Vortrags auf der Leinwand hinter mir erschien und ich anfangen sollte zu sprechen.
- Wie damals, als ich dieses und später andere Blogs einrichtete und auf Leser wartete.
- Wie damals, als Ralf und Bert den ersten Song gespielt hatten, es ruhig im Zuhörerraum wurde und alle warteten, dass ich anfange, etwas vorzulesen.
- Wie damals, als ich meinem Verleger den ersten Entwurf von Manchmal sind es Mistviecher – warum man Schildkröten einfach lieben muss schickte.
Es ist immer dieser eine Moment: Gleich ist sie aus dem Lauf, die Kugel. Sie muss ihren Weg alleine finden, ohne, dass ich diesen noch beeinflussen könnte.
Es steckt zu viel Zeit, zu viel Arbeit, zu viel Persönliches, zu viel Liebe drin. Es ist in Stück von mir selbst, ich will es halten, beschützen – und doch muss es raus in die Welt, sich der Kritik stellen und später den Lesern. Hilft ja nichts. Dazu habe ich es schließlich geschrieben. Also los.
Ich klicke auf senden.
Jetzt.
Es ist vollbracht.
Ich kann nichts mehr tun. Hoffentlich findet sie ihr Ziel.
Die Mail ist raus. Jetzt beginnt das Warten auf Feedback.
Alles wird gut… hoffentlich.
Vielen Dank fürs Lesen.
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