Betr.: Street Photography – Ein paar „Wenn“ und ein paar „Aber“
Dieser Beitrag ist Teil einer kleinen Serie über Nachhaltigkeit und Verantwortlichkeit beim Bloggen.
Street Photography?
Ich?
Naturfotografie – ok. Landschaften, Pflanzen, Tiere bisweilen auch. Sogar ganz selten Stillleben, Arrangements. Dazu jede Menge Schnappschüsse.
Wenn ich mich frage, welches Sujet mir am meisten liegt, in welche Schublade ich mein amateurhaftes Treiben mit der Kamera am ehesten einordnen würde, dann ganz sicher nicht Street Photography. Eine kleine FB-Diskussion aber löst ein Nachdenken aus, wie ich grundsätzlich dazu stehe, wenn ich denn doch Bilder im öffentlichen Raum mache und zufällig oder absichtlich Menschen mit im Bild sind. Hier war das Absicht – es gibt auch das Bild vom Nashorn ohne Zoobesucher. Es ist nicht halb so gut.
Es geht also um Menschen. Und zwar um irgendwelche, die aber in ganz bestimmten Situationen. Sie sind nicht nur (oft leider nicht vermeidbare) Personen auf Fotos auf öffentlichen Plätzen. Schaue ich durch meine Festplatten oder das Medienarchiv dieses Blogs und ziehe alle fürs Bloggen übers Schwimmen gemachten Fotos (besonders die Selfies) ab – dann sind es extrem wenig Bilder mit Menschen. Personenfotografie liegt mir nicht, daher kommt es eher selten vor. Gelegentlich aber passiert es eben doch. Dann entsteht das Foto der abgebildeten Menschen willen.
Hier zum Beispiel war es auch so:
Das hat mehrere Gründe: Bei den meisten Fotos, die ich mache (und nicht nur dort), empfinde ich Mensch eher als störend. Dass die drei jungen Männer trotzdem auf dem Bild sind, ist natürlich Absicht, ohne sie wäre das Foto nicht entstanden.
„Das Festhalten eines besonderen Moments ist die hohe Kunst der Straßenfotografie, aber einen ebenso hohen Stellenwerte hat das Umsetzen der besonderen Atmosphäre eines jeden Ortes“, formulierten es Meike Fischer, Rudolf Krahm im Fotokurs Straßenfotografie (Affiliate Link zu Amazon). Ich maße mir nicht an, zu beurteilen, ob das bei meinen Bildern jemals gelungen ist oder nicht, vielleicht ist es das aber in Bruchstücken. Aber dazu gehören nun mal (meistens) Menschen, die entweder absichtlich oder sogar bildbestimmend auf dem Foto zu sehen sind, bisweilen hingegen eher zufällig. Dann ist ihre Anwesenheit beliebig. In andern Fällen aber dominieren sie das Foto. Aber es geht nie um diesen einen Menschen als Individuum. Das wäre dann ein Portrait.
Aber genau das macht es schwierig. Das Fotografieren von Menschen ist im öffentlichen Raum heikel. Da nämlich kollidiert das Recht der Freiheit der Kunst mit dem Persönlichkeitsrecht des Fotografierten, noch dazu mit dessen durch die Datenschutzgrundverordnung zugesicherten Rechten in puncto der digitalen Datenerhebung und -verarbeitung. Und ganz abgesehen von der profanen rechtlichen Problematik ergeben sich für mich moralische und eine ganz praktische Frage: Wie fotografiert man Leute, ohne dass sie es merken? Von hinten, ok. Manchmal passt das, aber eben nicht immer.
Gefragt habe ich nicht. Hätte ich sollen? Müssen?
An sich schon. Aber würde man die Menschen fragen, vorausgesetzt man traut sich überhaupt, sie anzusprechen, riskiert man höchstwahrscheinlich ein „Nein“. Wie würden Sie reagieren, wenn ein wildfremder Mensch Sie in der Öffentlichkeit fragen würde, ob er sie fotografieren und das Bild hinterher veröffentlichen darf – und dann noch: „Bleiben Sie so, bewegen Sie sich nicht, genauso hätte ich Sie gerne im Bild…“
Na sehen Sie.
Damit riskiert man , dass man eines vielleicht schönen Motives beraubt wird. Auf diese vier Italienerinnen am Strand hätte ich zum Beispiel ungern verzichtet. Hätte ich gefragt – ich bin sicher, das Bild wäre so nicht entstanden.
Bei dem sehr unwahrscheinlichen Fall einer Zustimmung allerdings riskiert man, das Natürliche, Authentische im Bild zu verlieren. Denn viele benehmen sich, wissend, dass sie gleich fotografiert werden, eher posenhaft verbiegen sich und schauen grimassierend in die Weltgeschichte. Mach ich auch nicht anders, wenn ich weiß, dass sich eine Kamera auf mich richtet.
Die dritte Möglichkeit ist, zuerst zu fotografieren und dann zu fragen. Dabei allerdings riskiert man neben einem „Nein“ auch noch einigen Ärger, zumindest Diskussionen, wie man sich erdreisten konnte: „Sie haben mir ins Gesicht gefilmt – das dürfen Sie nicht! Frontalaufnahme“ – wer kennt ihn nicht, den deutschen Hutbürger?
Das geht es zwar nicht um Street Photography, aber es kommt letztlich aufs Gleiche raus.
Da ist man im eigenen Interesse lieber still, fotografiert heimlich, schert sich wenig um die Persönlichkeitsrechte und die Datenschutzgrundverordnung und beruft sich hinterher auf die Freiheit der Kunst samt der Schöpfungshöhe seines Werkes. Selbst bei Urlaubsfotos. Wenn man überhaupt darüber sinniert.
Aber ist das dann schon Street Photography oder ist es einfach nur „müdes, langweiliges, sich wiederholendes, visionsfreies digitales Rauschen“ wie Michael Ernest Sweet 2015 es in seinen Gedanken über die Straßenfotografie formuliert hat?
Sein Text Warum Straßenfotografie in einer Krise steckt zeichnet ein hartes, düsteres Bild: „Leute gehen auf die Straße und fotografieren planlos Fremde (oft mit langen Objektiven, die jeglichen Hintergrund verwischen) und posten sie dann in ihre Social-Media-Kanäle wie Flickr, Facebook, 500px etc. Ihre Freunde „liken“ sie und andere – vielleicht diejenigen, die auf die Aufmerksamkeit, die sie bekommen, eifersüchtig sind – verreißen sie zumindest ein bisschen. Oft ergeben sich daraus regelrechte Kommentarkriege. Keine Rolle spielt dabei, ob das Bild in ästhetischer Hinsicht gut ist. Meistens ist es das nicht.“
Bei Street Photography werden die fotografierten Menschen ja nicht als Individuum gezeigt, sie werden als anonyme beliebige Personen in einer allgemeinen menschlichen Situation dargestellt. So ähnlich formuliert es Wikipedia zum Thema.
Hingegen ist es nicht zwingend so, dass Straßenfotografie auf Straßen gemacht werden muss. Es zählt der öffentliche Raum und der Mensch, der sich darin bewegt. Und noch weniger muss das Bild zwingend schwarzweiß sein.
Trotz aller tatsächlichen oder künstlerischen Anonymisierung der abgebildeten Menschen bleibt es schwierig.
Manchmal möchte ich eben auch Menschen in typischen Situationen im öffentlichen Raum fotografieren.
Bei all diesen Menschen-Bildern, bei denen die Menschen motivbestimmend sind und die etwas mehr sein sollen als bloße Illustration eines Blogtextes, möchte ich vor allem eines transportieren: Eine Sympathie für die abgebildeten Menschen. Ich möchte sie nicht bloß stellen, nicht der Lächerlichkeit preis geben, nicht über sie spotten (das mache ich nur bei „Renate“).
Das gilt auch für das oben gezeigt Foto der vier Italienerinnen, das mehrfach kritisiert wurde, es wäre so gehässig wie hinterrücks aufgenommen worden. So dürfe man Leute nicht fotografieren, nicht zeigen. Aber von Bloßstellen kann meines Erachtens gar keine Rede sein. Street Photography lässt viel Spielraum zu, vor allem, was die Intention des Fotografen angeht, warum er dieses Bild überhaupt angefertigt hat. Damit aber lässt sich der Ball vortrefflich zurückspielen: „Denn das, liebe Leute, ist Eure Interpretation. Nicht meine Intention!“
Vielen Dank fürs Lesen.
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Alles kein Problem. Es gibt da klare Vorschriften. Daran sollte man sich halten. Wenn Foto, dann mit Erlaubnis der Abgebildeten, Unkenntlichmachung, oder auf das Foto verzichten.
So ganz klar ist die Gesetzeslage nicht, aber es geht mir auch weniger um diese Komponente als um eine ethische.
Fragen geht, wie dargestellt, nicht immer. Eher sogar selten.
Also ich fotografiere Menschen auch sehr ungern bzw. gar nicht ! Auch mich stören sie im Foto ! Streetfotografie ist ein heikles Thema und manche machen regelrecht Jagd auf Menschen. Mein Ding ist das nicht weil ich mich persönlich auch nicht gerne fotografieren lasse und von Fremden gleich zweimal nicht !
Es kommt darauf an ob man bewusst Menschen in Sitiuationen sucht oder sie zwangsläufig auf dem Foto erscheinen. Bei einem Foto z. B. im Urlaub oder in einer Strasse muss jeder damit rechnen auf einem Foto sichtbar zu sein. Ich kann ja für ein Motiv nicht die Strasse sperren lassen und ein Einverständnis einzuholen ist von allen ja unmöglich !
Gleichzeit muss ich aber sagen, dass ich noch nie gehört habe dass jemand wegen sowas Ärger bekommen hat. Die Wahrscheinlichkeit sich auf einem Blog wiederzufinden bei der Masse ist wie ein Lottogewinn ! Trotzallem bin ich da schon ein bisschen vorsichtig und suche die Menschen nicht !
Ich halte mich bei der Streetfotografie auch zurück, ggf. wird das Bild nicht veröffentlicht.
P.S.: Du hast hoffentlich das Nashorn um Erlaubnis gefraght :-D
LG Bernhard
Na ja, manchmal ergeben sich auch wirklich nette Kontakte aus der Situation. Bei einem Besuch im Museum bemerkte ich plötzlich, dass ich offenbar einem Fotografen ins Bild gelaufen war. Ich trug einen weiten schwarzen Mantel (es war Winter), schwarzen Hut und roten Schal. Ich zog den Hut, entschuldigte mich und trat zwei Schritte zurück, worauf der Fotograf sichtlich verlegen bat, ich solle bitte den Hut wieder aufsetzen und mich wieder vor das Gemälde begeben … ich sei ja sein Motiv … Da mir meine Leica um den Hals baumelte konnte ich mich seiner Bitte kaum verschließen ;-) Ein anderes Mal bat ich einen einsamen Posaunisten vor der Wiese im alten Ausstellungspark im Münchner Westend ob ich ihn fotografieren dürfe. Ich erhielt ein halbstündiges Solo-Konzert nur für mich und ein ausgiebiges Gespräch über klassische Musik. Ohne Fotoapparat wäre ich kaum ins Gespräch gekommen. Ganz schwierig ist es in islamischen Ländern. Da bekommt man eine Zustimmung zu Fotos eigentlich nur gegen Bakschisch. Das funktioniert sehr gut für Portraits aber natürlich gar nicht für klassische Street Photography. Street Photography erfordert eigentlich immer Regelverletzung. Andererseits gibt es aber auch viele Risiken der Panoramafreiheit ganz ohne Menschen. Wer macht sich schon darüber Gedanken, dass man noch nicht einmal bestimmte Gebäude wie zum Beispiel die Pyramide am Pariser Louvre fotografieren und online stellen darf? Da gilt zum Beispiel keine Panoramafreiheit, sondern das Urheberrecht des Architekten. Da sind auch schon Amateurfotografen abgemahnt worden. Fotorecht ist ein weites Feld und eine gute Einkommensquelle für Anwälte. Aber das darf uns doch den Spaß nicht verderben. Ich fotografiere auch in islamischen Ländern. Und in schwierigen Großstadtvierteln. Immer mit Respekt und solange die Beine schnell genug sind …
Wunderbare Fotos!
Gruß Heinrich