Was von früher: Als Elvis starb
„Kiki, du glaubst nicht was passiert ist. Elvis ist tot.“ Das war im August 1977. Zwei Mädchen stehen im Rewe in der Hagener Monschauer Straße und starren ungläubig auf die Schlagzeile der ausliegenden Zeitung. Völlig aufgelöst die eine. So erzählt es mein Bruder, als ich ihn um Unterstützung bei den Erinnerungen an diesen Tag frage. Damals war er dort einkaufen und beobachtete, wie die eine der beiden die Fassung verlor. Sie war nicht die Einzige, die der frühe Tod des King of Rock ’n‘ Roll aus der Bahn warf. Neuigkeiten, auch das sei erwähnt, verbreiteten sich seinerzeit in einer ganz anderem Dynamik. Es war nicht gerade selten, dass der Blick auf die Schlagzeile auf dem Titel ausgelegter Zeitungen Einem etwas wirklich Neues vermeldete, von dem man noch nichts anderswo gehört hatte – und es trotzdem relevant war.
Am 16. August 1977 starb Elvis Presley. Das war ein Dienstag. Als ich dazu recherchiere, zerstört es meine Erinnerung an diesen Tag und fast die Geschichte, die ich damit verbinde. Denn ich war immer der Meinung gewesen, Elvis sei an einem Sonntag gestorben. Aber vielleicht legen sich in meiner Erinnerung auch zwei Dinge übereinander auf einen Tag, die gar nicht am selben Tag stattfanden. Das muss sogar so sein. Denn als Elvis‘ Leichnam gefunden wurde, war es Mittag (13.30 Uhr) zu seiner Zeit, als es hier bereits abends war. Bis die Meldung über den Ticker ging und hier in den Nachrichten auftauchte, muss es bereits Mittwoch gewesen sein.
Es gibt ja so bedeutsame Ereignisse, die einem unauslöschlich ins Gedächtnis gebrannt sind, die einen können minutiös erzählen, was sie an gerade gemacht haben, als die Nachrichten erst vom Unfall und dann vom Tod von Lady Di erzählten, andere erinnern sich höchst detailliert an den Todestag von Michael Jackson. Die Mondlandung, die gewonnene Fußballweltmeisterschaft, der Mauerfall oder der 11. September 2001 wären auch so Tage, die viele noch ganz genau in Erinnerung haben. (Zu meinen Erinnerungen an den 11. September gibt es hier einen Beitrag).
An Elvis‘ Todestag erinnere ich mich allerdings gar nicht mehr. Vielleicht war ich zu jung, vielleicht hatte mir der alberne, dicke, schwitzende Mann im weißen Anzug voller Glitter mit schwarzen, schmierigen Haaren und mehr als offensichtlich geschminkt auch einfach nichts bedeutet. Elvis-Fans mögen mir das verzeihen, aber so sah ich es damals. Auch heute gibt es nur wenig, was mich an Elvis begeistert, zur Versöhnung biete ich hier als YT-Videos die größten Schnulzen des Kings an, unter anderem You’ll never walk alone – das allein aus schwarzgelber Sentimentalität.
Vom jungen Elvis, dem King of Rock’n’Roll wusste ich nichts. Und vom Schauspieler noch viel weniger. Die Popmusik dieses Jahres und damit die Radio Play Charts in WDR waren fest dominiert von Abba, Smokie, Bony M. und dem spanischen Disco-Duo Baccara. Für die, die soetwas nicht mochten, gab es LPs von Sweet, den Stones, Uriah Heep, Pink Floyd. An der Schwelle zur Pubertät war ich noch fest in den Klauen von Günther Krenz‘ sonntäglichen Popreport auf WDR2 und Ilja Richters Disco im ZDF. Mir fehlte es weitgehend an populärmusikalischer Grundbildung. Elvis und seine Musik waren überwiegend Thema für die Generation über mir. So auch für meinen Vater. Der vergötterte Elvis und dessen Rock’n’Roll.
Im August 1977 lag er wegen irgendeiner Rückengeschichte im Krankenhaus.
Das war in einer Zeit, in der Patient:innen kein Telefon am Bett hatten und frühe Varianten von Klapp-Handys lediglich als Kommunikationsobjekte in der Serie Raumschiff Enterprise zu sehen waren. Zukunftsmusik halt. Wer im Krankenhaus fernsehen wollte, konnte das nur, wenn er sich sein eigenes, kleines, tragbares Gerät mit Zimmerantenne mitbrachte. Der aber hatte die Macht im Zimmer und bestimmte, ob ein- oder ausgeschaltet wurde und vor allem, welches Programm geschaut wurde, derweil die Bettnachbarn im Zimmer die Hälse recken mussten. Wenn die nicht selbst einen kleinen Fernseher dabei hatten.
Da ich 1975 und 1977 selbst öfter und länger im Krankenhaus war, hatte ich hier einschlägige Erfahrungen, denn mein Vater hatte mir über einen befreundeten Radio- und Fernsehhändler ein kleines tragbares Gerät organisiert.
Mit nur drei Programmen und spärlichen TV-Inhalten am Nachmittag zog sich der Tag quälend dahin, Abwechslung verschafften aber Kofferradios und/oder Kassettenrekorder sowie eine Schublade voller CA-90 Kassetten zum Wieder-, Wieder- und Wiederhören des ewig Gleichen.
Mein Vater schnappte mutmaßlich in den Nachrichten auf WDR2 die Todesmeldung von Elvis auf. Das muss ihn ungemein beeindruckt haben, denn er machte sich vom Zimmer auf zum Münzfernsprecher und rief daheim an. Meiner Mutter erzählte er nicht nur von Elvis‘ Tod sondern ließ uns, den Jungs, also meinem Bruder und mir ausrichten, wir sollten jetzt viel Radio hören, es werde jetzt in den nächsten Tagen „dolle Musik“ gespielt, er meinte wohl die Songs von Elvis. Er ging wie selbstverständlich davon aus, dass die Musikredakteure nun Elvis rauf und runter in die Musikunterbrechungen der Magazinsendungen hieven würden und ebenso selbstverständlich, dass es eine Elvis-Sondersendung im sonntäglichen Popreport geben würde.
Vielleicht gab es die auch und vielleicht hatte er die Ankündigung mitbekommen und rief deshalb an, und es war doch Sonntag. Ich weiß es nicht mehr, es ist eben doch sehr lange her. Aber vermutlich war es eher so. Mein Bruder und ich hatten im Frühjahr Sharp-Radiorekorder zur Konfirmation bekommen, endlich hatte das lange Anstöpseln unserer kleinen Rekorder an das Kofferradio sein Ende, endlich alles in einem Gerät. Leer-Cassetten unserer Wahl waren die TDK SA 90, oder, wenn es noch edler sein sollte, die Chromdioxid-Cassetten TDK SA-X 90. „Sauteuer – der 10-er Pack erst 99 dann 79 DM“, wie sich mein Bruder erinnert.
Hatte mein Vater vielleicht darauf spekuliert, wenn wir viel von Elvis aufnähmen, könne er sich die Cassetten kopieren lassen?
Er konnte es nicht, denn wir schnitten nichts mit. Elvis war Musik von Gestern, wenn nicht Vorgestern, seine Songs kannten wir allemal aus der Radiothek im WDR, wenn mittwochs im Rahmen der Discothek mit Mal Sondock unter dem Buchstaben „P“ ein paar Oldies gespielt wurden.
In Anlehnung an eine Verballhornung eines Smokie-Songs, der aus dem Jahr 1977 stammte, hätten wir seinerseits also rufen können:
„Elvis? Who the fuck is Elvis“
So uns denn das Wort „fuck“ im zarten Knabenalter geläufig gewesen wäre.
War es aber nicht. Und das war gut so.
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