Bretagne (#4) – Die Abbaye de Beauport – Romantik in Ruinen
Nein – ich will nicht schon wieder darüber sinnieren, wie weit es mit Romantik bei mir bestellt ist, wenn ich in dieser Serie die Abtei von Beauport vorstelle.
Bemühen wir daher kurz die Kunst- und Kulturgeschichte. Kaum zu übersehen ist, dass Gärten, Parks und mittelalterliche Ruinen nicht nur häufig wiederkehrende Motive der Romantik sind, sie drücken auch all das aus, was den Menschen dieser Epoche wert und wichtig war. Nicht umsonst haben die Herrscher, die es sich leisten konnten, während dieser Zeit in ihren großen Gärten kleine Ruinen im Stil der Gotik nachbauen lassen, in denen sie sich beim Lustwandeln der Schwärmerei und Melancholie hingeben konnten. Aber das hier ist echt:
Die Abbaye de Beauport steht nicht unter Verdacht, ein arrangierter Ort für romantische Schwärmer zu sein. Hier darf man im authentischen Gemäuer von Romantik, Schwermut und Herzeleid schwärmen.
Zum Teil liegen die Gebäude wie die Kirche oder der Speisesaal in Ruinen, zum Teil sind die klösterlichen Gemäuer aus dem 12. Jahrhundert gut erhalten. Zu finden ist diese wahrhaft phantastische Anlage südlichwestlich vom bretonischen Badeort Paimpol. Ein Abstecher ist unbedingt empfehlenswert. Auch ein Besuch, die 6 Euro Eintritt sind gut investiertes Geld – vorausgesetzt natürlich, man interessiert sich für solche Orte oder will einfach nur melancholischen Gedanken nachhängen. Dann empfiehlt sich ein Besuch an trüben Tagen ganz besonders. Dabei ist die Geschichte des Klosters alles andere als romantisch.
Nur wenige Meter vom Meer entfernt liegt die Abtei am Ärmelkanal. Einst wurde sie von Prämonstratensern gegründet und mit straffer Hand und in rigider Herrschaft geführt, das Kloster war ein bedeutender Wirtschaftsstandort. Doch das ist lange her. Heute ist es ein Ort der Begegnung, der Kultur, der Obstanbau-Tradition und vor allem ein Touristenmagnet.
Und genau da liegt meine Schwierigkeit, nur einen Hauch von Romantik in der Klosteranlage zu empfinden. Von Spiritualität ganz zu schweigen.
Überall stapfen Menschen rudelweise herum (was ihr gutes Recht ist), fotografieren und stehen im Weg, wenn man selbst Bilder machen will. Sie lauschen andächtig einer Fremdenführerin oder lesen sich gegenseitig aus ihren Reiseführern vor. Und sie benehmen sich so dabei so unfassbar touristisch-störend. Selbstverständlich bewegen sie sich keinen Meter aus dem Motiv heraus, wenn ich fotografieren will. Und tun sie es dann endlich doch, stapft mit hoher Wahrscheinlichkeit gleich wieder jemand in knallbunter Multifunktionsjacke, den Reiseführer vor der Nase von der anderen Seite ins Bild.
So etwas zehrt an meinen Nerven, ich will keine Leute auf den Fotos. Das kostet immens viel Geduld, nicht nur meine, die meiner Frau noch mehr. Sie will nicht darauf warten, wie ich darauf hoffe, dass sich im Bildhintergrund endlich diese Menschen, die durch ihre pure Anwesenheit alles zerstören, entfernt haben. So etwas kann nämlich dauern. Daher trennen sich für eine Zeit unsere Wege, bevor wir uns im Park wiedertreffen. Beharrlich bleibe ich zum Beispiel in der Nähe dieser beiden Torpfosten stehen, bis auch der letzte Spaziergänger verschwunden ist und auch der Gärtner endlich (!!!) sein Zeug zusammensucht und sich auf den Weg und damit heraus aus dem Foto macht.
Was bleibt, erfreut mein Herz:
Das Warten lohnt sich – auch wenn ich selbst damit anderen Leuten im Fotomotiv herumstehe, die nun ihrerseits darauf hoffen, dass ich endlich aus dem Bild verschwinde. Die aber kennen weder meine Sturheit noch meine Ausdauer in diesen Dingen. Es ist immer eine Herausforderung, den Ort auf Bildern so wirken zu lassen, wie ich es gerne hätte – fast hätte die Abtei sich für einen zweiten Beitrag für Florian Westermanns Blogparade über die schönsten Fotospots und die Wahrheit dahinter empfohlen. Aber dafür hatte ich ja die Krka-Fälle bemüht.
Es gelingt trotzdem, menschenleere Bilder zu bekommen, Petrus hat ein Einsehen. Milde lächelnd lässt er einen kurzen, aber heftigen Regenguss hernieder prasseln. Und der entvölkert die Ruinen und den Garten dahinter im Nu. Er treibt die Touristen scharenweise in die Gebäude, den Keller oder gleich zurück zu ihren Autos. Jetzt ist der Weg ist frei, wenn auch nur kurz. In höchster Eile entstehen hunderte Bilder (wie üblich), dann kommen die Touristen schon wieder aus ihren Unterschlupfen hervorgequollen. Diesmal beschirmt oder in blauen und roten Regenponchos. Wie bitte soll man da sein Herz von romantischer Schwermut umweben lassen?
Ich möchte mir gar nicht ausmalen, wie es hier an einem warmen Sonnentag während der Hochsaison zugeht. Vermutlich würde ich kein einziges Foto machen können.
Bei meinem Rundgang durch die Anlage bemerke ich immer wieder, wie sehr mein Blick durch die vielen Filme geprägt ist, die ich im Laufe meines Lebens gesehen habe. Ich sehe und denke bei solchen Orten wie aus dem Blickwinkel eines Kameramanns, sehe in allem den Set und die Kulissen eines Films.
Natürlich ist mir klar, dass das hier echt ist. Nichts ist nur Pappmaché. Das Ganze ist nicht mal Drehort, wäre aber bestimmt ein hervorragender. Bei meinen Fotos, die sich nach wie vor auf recht amateurhaftem Niveau bewegen, bin ich sehr darum bemüht, alles Störende, Unauthentische möglichst nicht im Bild zu haben. Das betrifft nicht nur Urlauber in Softshell-Jacken und Trekking-Sandalen. Ich will auch weder Satelittenschüssel, Hinweis- und Warnschilder, Fahrzeuge, Absperrkordeln, Gartengeräte oder sonst etwas auf meinen Bildern haben.
So ganz gelingt es allerdings nicht, alles Moderne aus meinen Bildern von der Abtei herauszuhalten. Aber seien wir mal ehrlich: Würde so etwas nicht die Romantik zerstören?
Trotzdem käme ich kaum auf die Idee, diese Details oder einen Touristen in der digitalen Bildbearbeitung herauszuretuschieren. Da warte ich lieber, bis das Feld für den Foto-Shoot frei ist, nehme Fenster und Viehzäune in Kauf und freue mich, wenn die Bilder trotzdem halbwegs gelingen.
(Im Vorgriff: Und doch habe ich ein Urlaubsbild massiv manipuliert, davon im nächsten Teil der Bretagne-Serie).
Kaum ist das letzte Regencape um die Ecke gebogen, hagelt es Bilder auf die Speicherkarte – trotz moderner Fenster im Gebäude:
Und da kommt schon die nächste geführte Gruppe ihres Weges und baut sich im Torbogen auf. Es wird Zeit, den Standort zu wechseln, bevor ich ganz furchtbar unspirituell aggressiv werde.
Falls Sie sich für die kunst- und kulturhistorische Bedeutung der Abtei interessieren: Hier ein Lesetipp. Ich finde es einigermaßen witzlos, Texte von anderen Webseiten oder aus dem Reiseführer abzuschreiben; Bilder nachzufotografieren hingegen nicht. Auch das ist einer der Gründe, warum ich immer genau hinschaue, was andere Leute an solchen Orten fotografieren. Von den Handy-Selfies und unkontrollierten fotografischen Schnell- und Schnappschüssen rede ich dabei allerdings nicht. Man sieht sehr schnell, wer sich um ernsthaft schöne Bilder beim Fotografieren bemüht und wer einfach nur drauf drückt und weiter hetzt…
Das ist übrigens auch einer der Gründe, warum ich mir an meinen Urlaubsort so gern die Postkartenstände anschaue, selbst wenn ich seit Ewigkeiten keine mehr gekauft, geschweige denn geschrieben und verschickt habe.
Aber Postkartenmotive – hallo? Wer wollte sie nicht selbst fotografieren? Also schaue ich sie mir an und denke: Genau das habe ich auch fotografiert – und aus genau der gleichen Perspektive. Und meine Schuld ist es nicht, dass der Himmel heute wolkenverhangen statt kitschig blau ist.
Alles richtig gemacht, kleiner Stümper.
Wenn Sie mehr über die Bretagne lesen möchten, finden Sie eine Liste aller Beiträge samt Verlinkung auf der Unterseite
Die Serien dieser Seite im Überblick.
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Lieber Lutz, das gefällt mir sehr, die Bilder, der Text. Das könnte ich sein mit dem Fotografieren und warten. Ich fühle 100% mit dir!
Gerade bei solchen Motiven, bin ich froh, dass ich ein Ultraweitwinkel habe. Ich könnte jetzt gleich mal dahin fahren…