3… 2… 1… und dann alles meins
„Ich geh dann mal“, verabschiedet sich Frank. „Mit wird kalt, ich muss ins Warme.“
„Und ich muss sehen, dass ich ins Wasser komme“, erwidere ich. „Bevor es zu voll wird!“
Das ist maßlos übertrieben, denn es sind am heutigen Sonntag, dem vorletzten Wochenende an dem das Erdinger Freibad geöffnet hat, gerade mal zwei Personen im Wasser: Auf Bahn 1 krault einer unermüdlich, auf Bahn 6 marschiert eine ältere Frau mit einem auf den Rücken geschnallten Schaumstoffstabilisator energisch hin und her.
Wir wären dann also drei.
Überrascht bin ich nicht. Schon vor Wochen hatte mir Frank, der Schwimmmeister gesagt, dass während des Erdinger Herbstfestes erfahrungsgemäß gähnende Leere herrscht. Die Leute ziehen halt das Bierzelt, die Wilde Maus, die Schießbude und den BRK-Glückshafen dem Freibad vor.
„Und die, die schwimmen wollen, kommen zumindest am Wochenende sowieso kaum auf den Parkplatz.“ Rings um das Freibad, das direkt neben dem Festplatz liegt, herrscht verkehrstechnischer Ausnahmezustand. Die Blechlawine der trachtenrragenden Landkreisbewohner schiebt sich auf die Wiese hinter der Eissporthalle, eine Chance, einen Parkplatz vor dem Schwimmbad zu ergattern ist ungefähr genauso groß wie eine freie Bahn an einem Samstag Nachmittag bei 34°C und strahlendem Sonnenschein.
Was soll’s… park ich halt bei Aldi auf dem Kundenparkplatz, es ist Sonntag, Herrn Albrecht wird’s schon nicht stören. Und dann marschiere ich im Strom der Dirndl und Lederhosn zum Festplatz. Auf die Idee mit dem Aldi bin nicht nur ich gekommen.
Den Vormittag hat es aus Kübeln geschüttet, zwar klart es auf, „aber 7 Grad heute morgen, ich glaub ich spinn…“ kommentiert Frank.
„Wird Zeit, die Schneeschaufel herauszuholen“, grinse ich und er meint, er wolle dann mal die Winterreifen aufziehen lassen.
Noch bevor ich aber ins Wasser steige frage ich Frank, wie viel Liter das Schwimmerbecken eigentlich fasst.
Seit ich vor ein paar Tagen im Wissensmagazin des BR ein Interview mit einer Schwimmmeisterin aus dem Münchner Westbad gehört habe, interessiert mich das. Die Frau wurde befragt, warum das Schwimmbad immer so nach Chlor riecht, sie erklärte es im Interview ausführlich.
„Chlor riecht gar nicht, das sind die Chloramine“, sagte sie. „Chlorverbindungen, die entstehen, wenn sich das Chlor an die Stickstoffe im Wasser bindet.“ Damit meinte sie vor allem den Harnstoff der mutwilligen wie auch den der unbewussten Beckenpiesler.
Sie relativierte die Hygienebedenken der Interviewerin mit der enormen Wassermenge: 750.000 Liter.
Das Westbad hat nur 25m-Bahnen, in Erding dürfte die Wassermenge also mindestens doppelt so groß sein, denn hier sind es 50er. Wie viele Bahnen das Westbad insgesamt hat, weiß ich nicht. Also fange ich gar nicht erst mit einem quälenden Dreisatz an sondern frage Frank.
„Das ist schnell ausgerechnet“, antwortet er. „50 Meter ist das Becken lang, 20 Meter breit, durchschnittliche Wassertiefe 2,1 Meter. Du schwimmst also in 2,1 Millionen Litern Wasser.“
Mit dieser beeindruckenden Zahl im Kopf begebe ich mich ins Wasser und weiß, dass mir im Moment davon etwa 700.000 Liter zustehen, wir sind ja zu dritt. Einen Moment frage ich mich, warum ich angesichts dieser Wassermasse nicht einfach Wasser lasse, wenn ich auf’s Klo muss. Statt dessen suche ich Selbiges auf und verlasse das Becken.
„Das sind etwa 400 ml“, wusste doch die Schwimmmeisterin im Radio zu erzählen (was die alles weiß…) und ich habe oft genug gelesen, dass Michael Phelps und Co. gar nicht daran denken, unterm Schwimmen aus dem Becken zu steigen, wenn die Blase drückt.
Ich bin aber nicht Michael Phelps und auch nicht Co. Und wenn das alle machten…
Die Frau neben mir geht.
Jetzt habe ich schon 1,05 Millionen Liter Wasser für mich. Was sind da schon 400ml?
Nein. Ich muss schließlich auch nicht.
Ein weiterer Schwimmer kommt, mein Anteil sinkt wieder auf ein Drittel. Dafür verabschiedet sich bald der Schwimmer auf Bahn 1. Schlagartig bin ich wieder bei 50% und über der psychologisch wichtigen Eine-Mio.-Marke.
Und als nach einer Stunde auch der Nachzügler geht, bin ich allein. 2,1 Millionen Liter Wasser. Nur für mich. Quasi meins!
Jetzt könnte ich doch… Ist ja auch niemand da, der es merken oder den es stören würde.
Also tue ich es: Ich lasse die Ente zu Wasser. Sonst lasse ich nichts. Schon gar kein Wasser.
Oder was haben Sie gedacht?
Wir blödeln eine Zeit herum und machen Selfies. Stört ja keinen…
Irgendwann tanzt mir Ente auf dem Kopf herum. Dann wird es Zeit, zu gehen. Auf’s Herbstfest.
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1 Antwort
[…] und Blogger-Kollege Lutz hatte kürzlich einen Artikel mit dem Titel “3-2-1-meins” veröffentlicht. Darin thematisiert er, dass das Becken ihm zeitweise allein gehört. Ein häufiger […]