Landliebe (Sommer)
Mein Hang zur Romantik hält sich in Grenzen. Gern wird mir nachgesagt, ich habe so dafür so viel Gespür wie ein Metzgershund. Das wundert mich nicht. Schließlich trage ich nicht unerheblich zu diesem Image bei. Manchnmal aber überkommt es mich. Das passiert dann zum Beispiel, wenn mich die Liebe zum Landleben vollkommen gefangen nimmt, mich die unverfälschte Idylle überwältigt und ich denke: Das ist so unglaublich schön hier, hier will ich stundenlang bleiben. Hier sollte die Zeit still stehen. Manchmal passiert das, wenn ich mit dem Rad unterwegs bin, davon habe ich in meinem anderen Blog zwei mal geschrieben: Einmal unter der Überschrift Manchmal muss man eben fremd gehen und dann unter dem Titel Ein Samstag auf dem Lande. Manchmal aber passiert das auch, dass mich Romantik anspringt, wenn ich mit dem Auto unterwegs bin. Und es sind nicht die Bilderbuch- und Postkartenlandschaften, nicht das geranienüberähte, aufg’mascherlte pittureske Oberbayern, das sich für die Touristen herausgeputzt hat. Im Gegenteil. Es ist das Hinterland. Dort, wo die Zeit stehen geblieben zu sein scheint. Es sind die vergessenen Fleckchen, in die nie ein Fremder kommt. Das Sempttal ist so ein Fleck, ein kleiner Landstrich zwischen Markt Schwaben und Erding. Eine wunderbare Gegend zum Radfahren, spezierengehen und immer ein Stück auf dem Heimweg, wenn ich mit meinem Schwimmtraining im Weiher fertig bin. Und immer einer der Gründe, weshalb ich sage: Dahoam ist es am allerschönsten. Manchmal erdreiste ich mich, so als Zugezogener, auch statt Daheim mal Dahoam zu schreiben. Seitlich des Tals liegt Poigenberg: Einst ein idyllisches Dörflein im südlichen Erdinger Landkreis, jetzt zugedröhnt vom Verkehrslärm der nahen A94. Sie müssen diesen Ort nicht kennen, ich würde ihn auch nicht kennen, wenn ich nicht jedes Mal durch Poigenberg nach Hause fahren würde. Inmitten dieses Ortes gibt es ein kleines Gasthaus. Das heißt: Ich weiß nicht mal, ob es überhaupt noch eines ist. Rote Plastikstühle stehen an den Tischen unter der Kastanie. Hin und wieder sitzen ein paar Menschen (Gäste? Bewohner? Nachbarn?) unter der ausladenden Kastanie und genießen ihr Feierabend-Bier. Nie würde ich es wagen, anzuhalten und sie zu fotografieren. Ich fahre langsam vorbei, will sehen, ob die Tische unbesetzt sind, damit ich endlich ein Foto machen kann. So sehr begeistert mich dieser Ort, an dem es eigentlich überhaupt nichts Sehenswertes zu entdecken gibt. Es sind nur die Bilder in meinem Kopf, die hier entstehen, meine Vorstellung von Idylle, vor Heimat, von der Abgeschiedenheit, dem Abstand zum Alltäglichen, Lärmenden, Treibenden. Wie meistens sind ein paar Stühle besetzt. Die Leute beobachten mich. Gern würde ich jetzt bei ihnen sitzen, mit ihnen ratschen und ein Bier trinken. Aber da müsst eich dazugehören, und das tue ich nicht. Ich bin ein Fremder, obwohl ich keine 10km entfernt wohne. Und ich will nicht stören. Sie sitzen da, reden oder schweigen miteinander. Kinder tollen um sie herum, Hunde dösen in der untergehenden Abendsonne. Sie schauen vorbeifahrenden Autos ebenso hinterher wie Rennradlern in ihren knallbunten Trikots. Nie hält einer von den Bikern an einem solchen Gasthaus an, um Kraft zu tanken oder seine isotonischen Getränke nachzufüllen. Und Autofahrer auch nicht. Die verirren sich normalerweise erst gar nicht hierher. Dabei – da bin ich sicher – schmeckt ein Radler oder Russ hier viel viel besser als im Biergarten am Chinesischen Turm in München, auf der Strandpromenade von Binz oder am Wannsee. Einmal, ausgerechnet an einem Samstag abend, habe ich Glück. Niemand ist da. Schnell mache ich aus dem heruntergelassenen Fenster meines Wagens ein paar Bilder. Es riecht ein wenig nach Kuhstall und nach dem Staub von der Ernte, die gerade auf den benachbarten Feldern zu Gange ist. Landleben eben. Ein Mann, der schräg gegenüber sein Fahrrad aus der Garage schiebt, beobachtet mich argwöhnisch. Hier steht die Zeit still, oder sie vergeht langsamer. Wie auch immer. Das ist authentisch. Das ist Idylle.
- Nicht der Quatsch, den Jörg Pilawa in seiner Rügenwalder-Wurstwerbung vorgegaukelt hat oder einschlägige andere Werbung für Landprodukte, wenn Menschen nach getaner Arbeit in fröhlicher Runde zur Brotzeit um einen Tisch unter irgendeinem Baum zusammenkommen, während im Hintergrund sich eine Wind-/Wurstmühle dreht.
- Nicht die stilisierte Landsehnsucht der Städter, der Berliner allzumal, wie sie die deutsche Liedersänger Reinhrd Mey in der Ballade Bei Ilse und Willi auf’m Land oder Klaus Hoffmann in Gerda in den 70ern und 80ern besungen haben, als an einen Ausflug ins Grüne für Berliner nicht zu denken war.
- Und schon gar nicht, was die deutsche Presselandschaft in Magazinen wie Landlust, Landleben und andere als Idylle beschreibt: Hochglanzpolierte und verkitschte Szenarios von Innen- und Landschaftsarchitekten, Extremgärtnern und Dekoversessenen. Eine Fake-Melange aus Paisley und Pattina, Petunien und Perlenvorhängen.
Ich kann mir vorstellen, dass der eine oder andere Blog-Leser sich jetzt an den Kopf fasst: Was ist idyllisch an einem alten, heruntergekommenen Gasthaus irgendwo im Hinterland? Da ist nichts chic, nichts schön, nichts romantisch. Das ist Tristesse pur. Mag sein, dass Sie so denken, das ist Ihr gutes Recht. Ich sehe das anders, denn ich bin das Landei, das ich schon immer sein wollte. Und ich bin es gern. Daher liebe ich solche Orte. Nachdem ich ein paar Bilder gemacht habe und wieder auf dem Heimweg bin, bleibt für mich die Sehnsucht nach diesen kleinen ganz unscheinbaren Flecken am Wegesrand. Dort, wo man sich die Zeit nimmt, bei einem Bier zusammenzusitzen und das auch völlig ausreicht. Mir bleibt die Freude, dies direkt vor meiner Tür zu haben. Und Aussicht auf ein großes Radler gleich daheim auf der Bank vor dem Haus. Vielleicht kommt ja der Nachbar zum Zaun und wir ratschen ein wenig….
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Hallo Lutz, super toll verfasst, es ist dort Idyllisch und ruhig….ja wars mal doofe Autobahn…..aber ein Stück unterhalb in dem kleinen Dorf ist ein kleiner Bach mit einem kleinen Blauen Holzhaus das ist auch sehr idyllisch und romantisch auch wen man da in die Ferne schaut läd das sehr ein zum Träumen man meint man sei ganz wo anderst oder hier wie heisst der bayerische Spruch gleich wieder „dahoam is dahoam“ auch wenn mancher hier hergezogen ist läd das bayerisch Land voll zum stillen Träumen ein und denkt jetzt bin ich angekommen was ich immer gesucht hab.