Chiemsee: Ein Anfang
Das pure Glück und die Enttäuschung liegen so nah beieinander.
An 18. August, einem wunderschönen Sonntag, war es soweit. Ich wollte mich endlich meiner ganz persönlichen Challenge stellen und von Felden zur Herreninsel schwimmen, vielleicht auch zurück. Eeinen ersten Test hatte ich ja bereits absolviert. Die Rahmenbedingungen waren perfekt: Sommerlich warm, fast windstill, die Wassertemperaturen leicht über 20 Grad. Für den späten Nachmittag waren zwar Gewitter angesagt, aber wen stört das schon? Die Strecke, die ich mir zu schwimmen vorgenommen hatte, sollte ja rechtzeitig bewältigt sein, ich wollte ja früh genug starten und auch nur eine Strecke schwimmen. Das sollte für den Anfang erst mal reichen.
Mein Plan war, in Felden ein E-Boot zu mieten, mich von meiner Tochter, ihrem Cousin und einem Freund zur Herreninsel fahren zu lassen und dann zurückzuschwimmen. Dann könnte das E-Boot gleich in angemessenem Abstand als Begleitboot fungieren. Ein guter Plan. Sicher ist sicher – man weiß ja nie, ob man sich dringend vom Boot Energy-Gel reichen lassen muß, einen Krampf oder Seitenstechen bekommt oder aus einem Grund abbrechen muss.
Warum ein Risiko eingehen? Immerhin bin ich die Strecke noch nicht allein geschwommen, geschweige denn Hin- und Rückweg.
Aber grau ist bekanntlich alle Theorie, und Grün des Lebens goldner Baum…
Oder auch nicht.
Als wir gegen 11.00 Uhr am Seeufer ankommen, befinden sich dort bereits Menschenmassen: Urlauber, Wochenendausflügler, Einheimische. Das ist verständlich. Uns schwant nichts Gutes.
Und richtig. Alle E-Boote sind vermietet. Das heißt: Entweder warten (man deutet uns eine Wartezeit einer guten halben Stunde an) oder ein Tretboot mieten. Wohl oder über entscheidet sich mein Team für’s Treten, bzw. dränge ich sie zu der Entscheidung. Auf geht’s, Jungs. Das tut Euch schließlich auch mal ganz gut.
Wir sind keine fünf Minuten auf dem Wasser, da tuckert ein E-Boot heran. Das ist jetzt dumm gelaufen, aber nun eben zu spät. Kräftige Teenagerbeine treten mich also hinüber zur Herreninsel. Es dauert eine halbe Stunde, dann sind wir dort. Ein Blick zurück zeigt: Es ist schon ein ganzes Ende bis Felden. Verdammt. Will ich das wirklich tun?
Jetzt noch vom Wollen reden ist allerdings falsch. Jetzt geht es um’s Müssen. Und ja: Ich muss das tun. Kein Zurück ohne Gesichtsverlust. Zu viele wissen davon und vor den dreien zu kneifen… Wie peinlich wäre das denn?
Den Neoprenanzug ziehe ich während der Überfahrt an, so dass ich schon schweißnass bin, bevor ich überhaupt einen Fuß ins Wasser setze. Brille, Ear-Plugs, Paddles und die funkelnagelneue Polar-Uhr liegen parat. Ich will die Zeit nehmen. Dass die Uhr einen Herzschlagfrequenzmesser hat, nehme ich in Kauf. Es ist nett, das zu haben aber nicht unbedingt wichtig.
Ab geht es in’s flache Wasser, warme Wasser. Erst mal den Neo mit Seewasser „fluten“ und dann geht es los.
Ein paar andere Bootsausflügler sind dort, ansonsten hält die dichte Schilfvergetation die Inselbesucher von dieser Stelle fern. Unter den kritischen Augen eines älteren Ehepaares, das gemütlich im knietiefen Wasser liegt, starten wir: Erst ich, dann mein Begleitboot.
Die Jungs treten rein, schon bald sind sie ein paar hundert Meter entfernt. Das ist ok, ich muss mich nicht „ziehen“ lassen und versuchen, auf Höhe zu bleiben. Das würde am Anfang zu viel Kraft kosten.
Fahrt nur weiter, ich weiß ja, ihr beobachtet mich, Und wenn was ist, dann…
Verdammt, ich wollte doch eine Trillerpfeife mitnehmen. Hab ich natürlich vergessen. Ich werde winken und schreien müssen, wenn was ist. Aber was soll schon sein?
Zug um Zug schwimme ich, wechsle von Kraul zu Brust und zurück, schiele auf den Herzschlagfrequenzmesser. Alle paar hundert Züge mache ich einen kurzen Stopp. Wasser dringt immer wieder in die Schwimmbrille ein. Das nervt. Ich hätte doch die andere nehmen sollen.
Das ist aber nicht der einzige Grund, immer wieder zu stoppen. Je weiter ich mich von der Insel entfernte, um so stärker wird der Bootsverkehr. Segelboote kreuzen, E-Boote sind unterwegs, es gibt ein Ausflugsschiff, dessen Route sich auf dem letzten Drittel mit meiner schneiden wird, wenn es denn dann gerade vorbeifährt. Da ist Vorsicht angesagt. Außerdem muss ich immer wieder meinen Kurs korrigieren. Ich drifte ab. Die Sekundenbruchteile, die ich den Kopf aus dem Wasser hebe, reichen nicht, um mich genau genug zu orientieren. Vor allem beim Kraulen sehe ich nicht wirklich, ob Kurs halte.
Der Wind ist schwach, die Strömung auch, aber ich ziehe nicht gleichmäßig mit beiden Armen. Immer wieder muss ich mich nach rechts korrigieren. Das irritiert mich. Als Linkshänder müsste ich doch beim Kraulen mit dem linken Arm mehr Kraft mitbringen und automatisch nach rechts driften statt nach links, oder?
Egal. Ich schwimme – wie ich hinterher höre, denn ich wurde auch vom Ufer aus mit einem Fernglas beobachtet – munter im Zickzack auf Bernau zu.
In weiter Ferne sehe ich den Plastikeisberg. Es geht mir wie vor einer Woche: Das Ding will und will nicht näher kommen.
Auch mein Begleitboot sehe ich nur selten bei meinen Stopps. Aber wenn ich es entdecke, gebe ich kurz Zeichen, dass alles ok ist. Mein Team winkt. Das spornt an.
Ich wechlse die Strategie. 400 Züge schwimmen und dann erst schauen.Das funktioniert. Es ist wunderbar, alles bestens. Es ist sogar mehr als das. Es macht unglaublich viel Spaß, es is eines der besten und schönsten Schwimmerlebnisse, der vergangenen eineinhalb Jahre.
Irgendwann erreiche ich den Punkt, oder bilde es mir ein, bis zu dem ich am Wochenende zuvor geschwommen bin. Von Krämpfen oder Ermüdungen keine Spur. Aber vollgepumpt mit Glückshormonen.
Die Herzschlagfrequenz liegt unter 140. Das scheint mir nicht besonders hoch. Alles also im grünen Bereich.
Das ist wörtlich zu verstehen, denn das Wasser schimmert grün.
Während ich im Schwimmbad anhand der Uhr und der gezählten Bahnen immer weiß, wie lange ich unterwegs bin und wie viel ich geschwommen habe, fehlt mir hier nach einer gewissen Zeit jede Orientierung, jedes Gefühl dafür. Im Weiher weiß ich auch, wie lang in etwa eine Runde dauert, und wie viel Strecke das bedeutet. Aber im Chiemsee weiß ich das nicht. Ich schaue, obwohl ich sie dabei habe, auch nicht auf die Uhr.
Ich schaue nur auf den Weg und auf die Boote.
Natürlich, als hätte ich es geahnt, legt das Ausflugsschiff in Felden genau dann ab, wenn ich etwa auf der Höhe seines Weges bin. Denke ich zumindest. Also lege ich mich ins Zeug. Das ist natürlich unnötig, denn es fährt mehr als 300 Meter hinter mir vorbei. Ich spüre lediglich die Bugwellen.
Das Ufer kommt näher – auch der „Iceberg“. Trotz der Earplugs vernehme ich den üblichen Lärm eines Strandbads, plötzlich sind auch wieder andere Schwimmer da. Das kommt mir irgendwie seltsam vor, wie eine Rückkehr in den Alltag von einer großen Reise. Und irgendwie ist es das ja auch. Die Leute paddeln, peinlichst darauf bedacht, dass das Kinn nicht ins Wasser kommt, an mir vorbei. Leute, schwimmt doch mal ordentlich.E
Noch ein paar kräftige Züge und ich erreiche die Badeleiter am Steg.
Als ich aus dem Wasser komme, bin ich mächtig stolz. Die Endorphine schwappen förmlich bei jedem Schritt durch mich durch.
Ein Blick auf die Uhr erschreckt mich: Ich war nur eine Stunde und fünf Minuten unterwegs.
Das kann nicht sein. So wenig?
Aber es stimmt.
Zum Stolz mischt sich etwas Frust. Die Herreninsel ist viel näher, als ich dachte Als ich auf einer Wanderkarte später nachmesse, weiß ich: Eine Strecke beträgt etwa 2,5 Kilometer – und nicht 3,5 oder gar vier 4 km. Und dafür war die Zeit dann doch eher bescheiden. Na ja, egal.
I did it. Und nur darum geht es.
Als ich über den Steg zur Liegewiese gehe, kommt mir ein Vater mit einem Kind entgegen. Der Junge zerrt um Aufmerksamkeit ringend an der Hand seines Vaters: „Kuck mal Papa. Der Mann da. Was hat denn der an?“
„Der war tauchen“, wird er von seinem mindstens 10 Kilo schwerem Vater belehrt.
Ich lächle in mich hinein. Strandbad eben. was soll man noch dazu sagen?
Nichts. Ich genieße, was ich getan habe.
Mein Team ist schon da. Schnell ein Energy-Gel, ein paar PowerBar und einen kräftigen Schluck Sportness Iso-Sports-Drink mit Zitrone-Grapefruit-Geschmack. Alles ist nur noch toll.
Ich sitze auf der Wiese, noch im Neoprenanzug. Kein Muskelflattern, kein schweres Schnaufen; ich bin ein wenig geschafft, aber noch nicht an der Grenze meiner Möglichkeiten.
Das nächste Mal werde ich beide Strecken schwimmen. Und wenn nicht in diesem Jahr, dann vielleicht 2014.
Danke an Eva, Benjamin und Jonas – mein Begleitteam. Und danke an Eva und Jonas für die Fotos. Ich hoffe, Ihr macht noch mal mit, dann aber mit E-Boot?
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