Schlag zu, Kumpel
Wenn einer nur oft und hart genug kritisiert wird, muss sich niemand wundern, wenn dieser dann keine Entscheidungen mehr trifft und keine Verantwortung übernimmt. Zuschauen und Nichtstun macht die Sache zwar nicht besser, ist aber vielleicht doch zumindest ein wenig entspannter fürs Gemüt.
Harald kann ein Lied davon singen. Zu oft hat Renate ihm eine vor den Koffer gegeben, wenn ich das mal so salopp sagen darf. Er fühlt sich alles andere als motiviert, ihr beim Einkauf hilfreich zur Hand zu gehen. Egal, was er holt, es ist doch das Falsche: Salatnudeln, Gurkenhappen… Renates Antwort ist sowieso immer nur „Mensch Harald, die doch nicht!“
Also begnügt er sich darauf, wie die meisten Ehemänner im Supermarkt auf Waren zu starren. Derweil schiebt Renate, die ohnehin alles besser kann und besser weiß, den Einkaufswagen an den Regalen entlang und schichtet alles Notwendige (und nur das wird gekauft) in diesen hinein.
Nun ist das mit dem an-den-Regalen-entlang-schieben bisweilen ein schwieriges Unterfangen. Insbesondere dann, wenn es voll ist im Laden, überall Sonderverkaufsdisplays herumstehen und zu allem Überfluss das Personal frische Ware nachlegt. Dann stehen noch zusätzlich Paletten herum, die ein Durchkommen mit Wagen nur schwer möglich machen. Also lässt Renate den Einkaufswagen als Basislager in der Obst- und Gemüseabteilung schwärmt bienenemsig aus und schleppt mal dies, mal jenes heran.
Harald begnügt sich in der Zeit damit, den Unterschied zwischen Cocktail-, Rispen-, Strauch- und Flaschentomaten zu ergründen. Er starrt auf das rote Gemüse, auf die Preisschilder, dann wieder auf das Gemüse und sinniert, was denn nun was ist.
„Harald, jetzt träum nicht, komm halt nach. Ich bin hier fertig“, schallt es um die Ecke vom Kaffeeregal her. „Und bring den Wagen mit!“
Renate will weiterkommen, schlägt sich an allerlei Brotaufstrichen vorbei zum Kühlregal durch, um bei Joghurt, Butter, Käse, Quark und andere Molkereiprodukten Beute zu machen. Schön leer ist es da. Ein perfekter Ort, den Einkaufswagen und Harald zu parken.
Jetzt also soll der Gatte mit dem Einkaufwagen nachkommen.
Das macht er auch. Und einen Fehler noch dazu. Denn er schiebt nicht etwa seinen bzw. Renates Wagen weiter sondern den nächstbesten. Bevor seinen Fehler bemerkt hat, ist er um die Ecke verschwunden.
„Also Harald“, tobt es vor dem Kühlregal. „Du bist aber auch…“ – was, ja was ist er denn eigentlich? – poltert Renate los, denn sie sieht natürlich mit einem Blick, dass Harald den falschen Wagen herangeschoben hat.
„Das ist doch nicht unser. Hast du eigentlich keine Augen im Kopf. Schau mal“, sie deutet auf die Waren. „Haben wir jemals Schokomüsli gekauft? Oder etwa Nutella? Igitt.“
Dann weist sie ihn an, den Einkaufswagen, der sicher schon irgendwo vermisst wird, zurückzubringen und den eigenen zu holen. Sicherheitshalber betet sie ihm noch mal vor, was alles in diesem liegt.
„Muss man denn echt mittlerweile ein Namensschild in den Wagen legen, damit Du die nicht durcheinanderbringst?“ zischt sie, derweil sie den Stoß Käse durchwühlt. Irgendwo muss ja ein abgepacktes Stück sein, das ihr zusagt.
Harald also bringt missmutig und schuldbewusst den falschen Wagen zurück, beglückt damit eine junge Mutter, die ihn schon überall gesucht hat, greift den eigenen und biegt erneut in den Gang Richtung Kühlregal ab.
Auf dem Weg aber wird er abgelenkt. Denn er entdeckt etwas Verführerisches: Supermarktkonzeptionisten kennen die Psyche der umherstreunenden, männlichen Kundinnenbegleiter nur allzu gut, als dass sie nicht überall Fallen aufgestellt hätten. Sie nennen sie nur nicht so. Bei ihnen heißt das Sonderverkaufsfläche mit Aktionsware:
Sie ziehen schnäppchenjagende Männer an wie Motten das Licht.
Eine solche Aktionsfläche entdeckt Harald und darin Pommes Frites von McCain. Vergessen ist Renate, vergessen, dass sie auf den Einkaufswagen wartet. Wie ein Kaninchen vor der Schlange steht er vor der Truhe und starrt hinein.
Pommes – und dann noch von McCain. Die mag er sehr gern, auch wenn Renate sie fett- und salzlos im Backofen röstet und viel zu früh, wenn sie noch weich und schlabbrig sind, in die Schüssel schüttet. Sogar Renate isst sie bisweilen ganz gern, also macht er wohl nichts falsch, wenn er schnell ein Paket Pommes aus der Aktionstruhe nimmt und sie in den Einkaufswagen legt.
Doch, macht er. Schon wieder ein Fehler, diesmal ein fataler. Wie eigentlich jeder, den er macht.
Kaum nämlich, dass Renate das Tiefgefrorene im Einkaufswagen entdeckt, ruft sie ihn harsch zur Ordnung:
„Harald. Wo bleibst du denn?“
Dann entdeckt sie die Tiefkühl-Pommes und schon wieder ist das Geschrei groß.
„So langsam frage ich mich wirklich, wo Du Deinen Verstand gelassen hast. Wir sind doch noch nicht fertig. Wenn Du jetzt die Pommes in den Wagen tust und wir den durch den ganzen Laden hin und her schieben, dann sind die Pommes doch aufgetaut, bis wir hier fertig sind. Bring die wieder zurück. Die holen wir dann als Letztes bevor wir zur Kasse gehen.“
Harald starrt sie an.
„Na los, Harald! Mach schon, worauf wartest du. Willst du hier Wurzeln schlagen? Die Fritten tauen auf.“
Langsam setzt Harald sich in Bewegung. Wer wäre er denn, wenn er nicht tun würde, was Renate ihm anschafft? Vor allem was?
Vermutlich ein toter Mann. Aber glücklich.
Also schleppt er brav und schafsblöde die Pommes zurück und sieht in der Truhe tief gefrorene Hähnchenschenkel liegen. Was, wenn er die jetzt rausholt und den ganzen Sack Renate über den Schädel zieht…einfach so. Aber mit voller Wucht. Der Sack wird reißen, Hühnerbeine werden durch den Laden fliegen, Geflügelknochen splittern.
Renate wird eine klaffende Platzwunde an der Stirn haben, Blut tropft ihr ins Gesicht. Der Becher süße Sahne, den sie gerade aus dem Kühlregal genommen hatte, entgleitet ihr. Er stürzt zu Boden. Der Aluminiumdeckel reißt. Die Sahne spritzt quer über den Boden und über ihre Trekkingsandalen.
Die ersten Blutstropfen fallen in die Sahnelache – wie heißes Himbeermark auf Vanilleeis, denkt Renate noch.
Dann wird schwarz vor Augen. Sie sinkt zu Boden, schlägt mit der Schläfe auf dem Verkaufsregal auf. Direkt hinein in die Sahne fällt sie. Ein ächzender Seufzer kommt über ihre Lippen. Dann ist sie still. Endlich…
Einen Moment bleibt Harald vor der Truhe stehen und zögert. Denkt er wirklich darüber nach, einen Sack tiefgefrorener Hähnchenschenkel herauszunehmen? Wer könnte ihm das verdenken?
Ich nicht.
Los, Harald, mach es. Das war Notwehr. Das kann ich bezeugen. Schlag zu, Kumpel. Ich zücke schon mal das Handy für ein paar Fotos…
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Ein wundervolles, kurzweiliges Vergnügen! Danke schön.
Köstlich! ? Aber Renate darf nicht sterben – auch wenn ich Harald jederzeit ein Alibi geben würde. ??
… sie wird überleben. Sie überlebt uns alle. :)
und leider in vielen Supermärkten sehr real :-D
Da findet sich doch (fast) jeder (Mann) wieder?
Was ich allerdings sehr vermisst habe, in der Geschichte, ist die Ordnung, die auf dem Kassen-Förderband zu herrschen hat. Harald hätte bestimmt auch dort so Einiges falsch gemacht.
Das besonders Tragische an dieser Episode ist, dass sie bis auf das Kopfkino genauso am vergangenen Samstag im Discounter im Nachbardorf passiert ist. Inklusive verwechseltem Einkaufswagen und dem Zurücklegen des Tiefgekühlten.
Der Tonfall der ‚Renate‘ war nicht ganz so ruppig.
Ich beobachte weiter ;).
Auch am Kassenband.