Ratlos und hilflos – es ist Krieg
Ratlos bin ich – und hilflos angesichts dessen, was sich gerade in der Ukraine abspielt. Ein Krieg. Die Ukraine ist gerade mal 760 Kilometer Luftlinie von uns entfernt. Wie so viele andere habe ich das über Google Maps ausgemessen. Ich wollte es mir vor Augen führen, denn gefühlt war das Land immer viel, viel weiter weg. In Wahrheit aber ist die ukrainische Grenze näher als Neapel, näher als die Bretagne – es entspricht ungefähr der Entfernung von uns hinauf nach Flensburg.
Als wir in den 90ern in Wiesbaden lebten und auf dem Balkan der Krieg tobte, war das ungefähr genauso weit entferng und trotzdem gefühlt irgendwie direkt vor unserer Haustür. Dennoch war es anders – vielleicht auch, weil es damals ein „lokaler Konflikt mit regionalen Interessen“ war und beteiligten Parteien nicht über Nuklearwaffen verfügten. Heute ist Russland mit von der Partie.
Im ehemaligen kroatischen Kriegsgebiet waren wir im Sommer 2021 im Urlaub, wir haben bewusst hingeschaut und die Spuren eines damals tief verletzten und vernarbten Landes gesehen. Dieser Krieg ist zwanzig Jahre her. Jetzt kommen die Touristen, amüsieren sich an der Küste, aber weiter drinnen im Hinterland an der bosnischen Grenze, ist noch lange nichts so, wie es früher einmal war. (s. Blogpost Tage im vernarbten Land)
Wie könnte es auch?
Ich will keine Parallelen ziehen und hoffe doch insgeheim, dass Putin am Ende das gleiche Schicksal ereilt wie dem damaligen Präsident Serbiens Radovan Karadžić und er als Kriegsverbrecher in Den Haag verurteilt wird. Die Aussichten darauf allerdings sind denkbar schlecht.
Ratlos und hilflos bin ich, weil ich natürlich auch zutiefst schockiert bin. Als Kind des vorangegangenen Jahrtausends habe ich die zweite Hälfte des Kalten Krieg erlebt, den Rüstungswettlauf, das Hocken auf Atomraketen und dem Pulverfass unter Reagan und Breschnew; aber auch Gorbatschow, das Auseinanderbrechen der Sowjetunion und das einsetzende Tauwetter, die Entspannung zwischen Ost und West.
Das alles ist jetzt Makulatur. Und das finde ich im höchsten Maße beunruhigend. Die Vernunft sagt, so bescheuert kann nicht mal Putin sein, einen Krieg mit der Nato zu beginnen, doch die unverhohlenen Drohungen, mit denen das russische Verteidigungs- Kriegsministerium die neutralen Nachbarn Schweden und Finnland bedroht hat, lassen befürchten, dass dem nicht so ist. Im Kreml scheint man noch viel weiter entfernt von jeglicher Vernunft, als wir alle dachten.
Die Vernunft sagt auch, dass China die Füße still halten wird. Aber kann der Ukrainekrieg nicht auch ein wunderbarer Testfall für Xi Jinping sein, um zu sehen, wie die Weltgemeinschaft reagieren würde, wenn Bejing irgendwann Taiwan „heim ins Reich der Mitte“ holt?
Ratlos und hilflos bin ich, ob ich das hier überhaupt bloggen soll. Viele Bloggerinnen und Blogger, deren Seiten ich regelmäßig lese, haben sich bestürzt, empört, wütend, erschrocken und ängstlich über Putins Krieg geäußert; Menschen, deren Blogs an sich komplett unpolitisch sind, die um Fotografie und Reisen kreisen, um Naturschutz, Wandern, Kunst und Kultur, um Persönliches, Menschliches. Andere wiederum haben sich (noch) nicht geäußert, werden das vielleicht auch nicht tun. Das ist ihr gutes Recht, wie auch das derer, die sich bestürzt zu Wort gemeldet haben.
Dabei stellt sich für mich nicht die Frage, was es nützt, was es ändern würde, hier ein paar Zeilen zu veröffentlichen. Es nützt und ändert gar nichts! Übrigens auch nichts, wenn Tausende von Menschen in ihren Profilbildern in den sozialen Medien die ukrainische Fahne integrieren, twittern oder bei Facebook etwas posten. Was nicht heißt, dass das falsch ist.
Warum ein Blogpost mehr in der uns überschwemmenden Flut der Nachrichten und Meinungen?
Aber einfach so weitermachen, als wäre nichts passiert?
Einen der klügsten Tweet zum Thema las ich von der EU Abgeordneten Delara Burkhardt:
Es gibt Menschen, die belächeln die Proteste und Friedensmärsche. Natürlich weiß ich, das es mehr braucht, um Putin zu stoppen. Aber wir sind hier genau das, was er am meisten fürchtet. Starke Demokrat*innen, die nicht aufhören für Frieden zu kämpfen pic.twitter.com/H31v7Cpc7E
— Delara Burkhardt MEP 🇪🇺🌹 (@delarabur) February 26, 2022
Das trifft es auf den Punkt: Es braucht starke Demokrat*innen, die für Frieden und Freiheit einstehen – und den Mund aufmachen, überall in der Welt; in der realen wie der digitalen. Genau darum geht es.
Mit hoher Wahrscheinlichkeit ist es Putin sch…egal, ob Russland beim ESC mitmachen darf und ob das Champions League Finale in St. Petersburg stattfindet oder nicht. Das eine wie das andere wird nichts ändern. Aber auch darum geht es nicht. Es ist trotzdem richtig, Zeichen zu setzen für Demokratie und gegen den Krieg.
Zusätzlich beschäftigt mich seit Tagen eine Frage: Weiter bloggen wie zuvor?
Ein Themenmix aus Satire, Spaziergängen, Schwimmbadbesuchen, mal mehr, mal weniger pointiert über Alltägliches schreiben? Heile Welt spielen in einer Welt, die zunehmend aus den Fugen gerät?
Es fühlt sich nicht gut an. Ja, das Leben geht weiter. Es muss und es wird weitergehen… aber auf dem gleichen Weg wie vorher?
Eine Artikelreihe, die ich in Vorbereitung hatte und damit in Kürze einstarten wollte, habe ich erst einmal verschoben. Es erscheint mir plötzlich so banal und nichtig, mir Gedanken darüber zu machen, welche Fragen von Ethik und Moral man mitbringen sollte, wenn man mit der Kamera loszieht, um wilde Tiere zu fotografieren. Das Thema ist und bleibt wichtig.
Aber nicht jetzt.
Jetzt ist nicht die Zeit dafür.
Für was dann?
Auch die Zeit der witzigen Tweets, des Foodporns und des Cat Contents scheint jetzt erst einmal vorbei zu sein. Man diskutiert auf Twitter deutlich weniger über die Bundesliga den Sonntagstatort.
Was bedeutet das alles für uns Bloggerinnen und Blogger?
Ich bin ratlos und hilflos.
Was meinen Sie?
Vielen Dank fürs Lesen.
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Ich sehe das wie Du und empfinde tiefes Mitgefühl für die Betroffenen. Aber die Frage weitermachen wie bisher mit dem Bloggen (???), stellt sich mir nach Überlegung, nicht. Ganz klar weitermachen !!!! Den Triumpf gönne ich den Kriegstreibern nicht.
Danke Jürgen, das ist ein sehr wichtiger Aspekt.
Erst mal akzeptieren, dass wir ratlos sind. Und dann immer wieder überlegen, was geht – jetzt? Das Thema halten, nicht gleich wieder den Kopf wegdrehen. Ich überlege, sparsamer zu sein, und das Geld zu überweisen. Nicht viel, aber ein Versuch, selbst etwas zu übernehmen, mal sehen, ob das klappt.
Danke Dir, ich habe gerade in Deinem Blog gelesen und bin froh, nicht allein zu sein mit diesen Gedanken.
sehr zutreffender Beitrag ! Danke dafür
Ich sehe das genauso wie „Linsenfutter“ und würde das Bloggen deshalb nicht einstellen. Das eine hat mit dem anderen nichts zu tun !
Was die Ukraine und den Krieg betrifft ist man sicherlich in Gedanken bei den Ukrainern und verfolgt die Nachrichten ect. Es muss einfach sofort gehandelt werden von Europa und der Welt.
Die Sitiuation zeigt aber jetzt auch wieviele Fehler in der Vergangenheit gemacht wurden. Was mich auch beschäftigt ist die Abhängigkeit Deutschlands . Wir werden vermutlich keine Kriegshandlungen zu erwarten haben aber eine Sitiuation die wir auch noch nicht kannten !
Ich glaube das Ganze wird sich über lange Zeit ziehen und ich glaube ein Putin wird sich erst geschlagen geben wenn nichts mehr geht ! Man kann nur hoffen dass in den eigenen Reihen der Widerstand so groß wird dass ihm gar keine andere Wahl mehr bleibt !
Danke für Dein Feedback, Manni.
Mir stellt sich weniger die Frage, das Bloggen einzustellen als die Frage der Relevanz der Inhalte. Die bemisst sich sicher an den Themen, did die Leserinnen und Leser hier gerne finden. Aber eben auch daran, was mir gerade zu erzählen, zu schreiben und fotografieren wichtig ist. Und da sitzt gerads mein Problem.
Ich finde das alles im Moment nicht wichtig, fast sogar banal.
Natürlich ist es Putin egal, wer was in seinem Blog schreibt. Aber für jede/n von uns ist es wichtig, sich in seinem/ihren Blog auszudrücken. Die verschiedenen Gemütslagen hast Du ja schon beschrieben. Und auch mal rat- und/oder wortlos zu sein, ist eben auch so eine Gemütslage. Was wichtig ist? Ja, auch das wird sehr verschieden für jede/n Einzelne/n sein. Das eigene (banale) Leben weiterzuführen scheint mir schon auch ein wichtiger Punkt zu sein. Es hilft uns, bereits zu sein, wenn unsere tatkräftige Hilfe (z. B. für die Betreuung von Geflüchteten) gebraucht wird.
Ich blogge nicht, kann dazu also nur aus Sicht einer Leserin und Socia-Media-Nutzerin schreiben:
Auf Instagram poste ich normalerweise nur Sachen rund um Sport, Spaziergänge usw, und gelegentlich mach ich bei Spielen oder diesen „und du so?“-Stickern mit. Das bleibt jetzt auch so. Für mich würd es nicht passen, wenn ich da jetzt etwas zur Ukraine poste. Grad keine von den Spielchendingen, aber Sport usw ganz normal (weils für mich auch wichtig ist, um den inneren Schweinehund zu überwinden und rauszugehen)
Auf FB mixe ich Persönliches, Politisches und was mir grad so durch den Kopf geht und da gehört im Moment natürlich auch etwas zu diesem Thema dazu (wie ich zB auch davor deinen Post zur Roten Karte gegen Querdenker und Co aufgegriffen habe)
Als Leserin finde ich beides wichtig: Auch wenn ich primär mal wegen der Satireposts hergekommen bin, weiß ich mittlerweile die Mischung aus Lustigem, Schönen, Nachdenklichem hier zu schätzen, und wenn es wie jetzt gerade leider aus gutem Grund mehr nachdenklichem Stoff gibt oder sich der leichtere für dich falsch anfühlt, gehört das auch so hierher.
Aber ab und zu ein bißchen Eintauchen in andere, leichtere, schöne Themen brauch ich trotzdem (egal ob hier oder woanders)