Kunst und Wunst in Nürnberg

Da stehen sie also, die pensionierten Vertreter der bürgerlichen, akademischen „Bildungselite“, der Mittel- und Oberschicht. Da stehen sie und schauen. Und schauen… und schauen… und schauen. Die ehemaligen Studiendirektoren, leitenden Verwaltungsbeamte, Staatsanwälte, Chefärzte, die Architekten und Bauamtsbediensteten; nebst ihren Frauen.
Und ich schaue auch. Zum Teil auf das Gleiche – denn das macht man in Ausstellungen so. Zum Teil aber schaue ich auch auf die anderen Besucher. Denn das Panoptikum der Besucher ist mindestens genauso fesselnd und faszinierend wie die Kunstwerke an der Wand.

Wer dienstags vormittags in ein Museum geht, hat es mit einem ganz besonderen Anteil der Besucher zu tun:
Da wären die eingangs bereits erwähnten pensionierten Bildungsbürger. Sie trifft man in Scharen. Hinzu kommen einige Wenige, die sich den Tag frei genommen haben (wir zum Beispiel) und unter Umständen einige Schülergruppen. Letzteren geht man besser aus dem Weg, denn das Interesse an Kunst und Kultur ist in solchen Gruppen eher gering, von ein paar wenigen Schülern und vor allem dem Lehrer mal abgesehen. Je nachdem zu welcher Jahreszeit und in welcher Stadt man ist, darf man gern mal ein paar Touristen hinzuzählen.
Als wir aber im Januar nach Nürnberg fahren, um im Staatlichen Museum für Kunst und Design, kurz Neues Museum genannt, zuerst die Ausstellung von Gerhard Richter und im Anschluss die eigentliche Sammlung zu besichtigen, treffen wir nur auf die pensionierten Bildungsbürger. Die aber laufen rudelweise durch’s Museum. Sie stehen da und schauen. Und reden. Das macht es spannend. Also stehe ich da, schaue auch… und lausche.Gemälde von Gerhard Richter Die Frau Studiendirektor befragt in bester Kunsterziehungs-Manier ihren Mann, welche Stimmung er dem Bild entnimmt. Und weil sie eben ehemalige Lehrerin ist, wartet sie erst gar nicht eine Antwort auf ihre Frage ab sondern liefert sie gleich dozierend selbst. Sie findet es ja enorm düster und bedrohlich. Aber irgendwie auch faszinierend. Fast, als zöge einen eine Hand in das Bild. Eine Hand ist auf dem Bild freilich nicht zu sehen.
Der Herr Staatsanwalt (Verzeihung: Leitender Oberstaatsanwalt a.D. Besoldungsgruppe R6) hingegen erklärt seiner Gattin, wie sie die Kunstwerke zu interpretieren hat. Dazu liest er aus dem Begleitheft vor, er ist ja schließlich Jurist und kein Kunstsachverständiger… höchstens -liebhaber im Amateurstatus. Da die liebe Ehefrau aber nicht ganz so konzentriert zuhört und der Herr Oberstaatsanwalt A.D. auch etwas schwerhörig ist und demzufolge die Kontrolle über die Lautstärke der eigenen Stimme abhanden gekommen ist, gerät sein Vortrag ein wenig zu laut. Das wiederum ruft den aufsichtführenden Museumsmitarbeiter auf den Plan, einzuschreiten und den Herrn um etwas mehr Ruhe zu bitten. Selbiger ist hin- und hergerissen zwischen verinnerlichter unbedingter Loyalität gegenüber jeglichen amtlichen Anweisungen auf der einen Seite und dem Hierarchiegefälle zwischen einem Staatsanwalt, als welcher er sich immer noch fühlt, und einem niederen Bediensteten, auch wenn dieser im öffentlichen Dienst beschäftigt ist, auf der anderen. Welch ein Konflikt…
Der Oberstudiendirektor a.D. wiederum freut sich, unter den Besuchern einen alten Bekannten auszumachen, man begrüßt sich, steht im Kreis vor der Kunst und schwadroniert über die Wirkmacht des Gemäldes, die Pläne der kommenden Reisesaison (mit Studiosus nach Jordanien, für etwas über € 2.100,00 pro Person, aber sonst kommt man da ja womöglich nie wieder hin) und erinnert sich, dass man sich ja eigentlich mal wieder auf ein Glas Wein zusammensetzen müsste.
Die ehemalige Buchhändlern, die mit einer Freundin gekommen ist , diskutiert angeregt über das Frauenbild vn Gerhard Richter. Das macht sie zum dritten Mal, denn sie war schon zweimal vorher in der Ausstellung (einmal sogar mit Führer). Hierzu sinnieren sie besonders angesichts eines Gemäldes von Brigid Polk, das Gerhard Richter angefertigt hat. Die Polk nämlich, Mitglied der Warhol Factory, hat mehrere Bilder mit ihren nackten Brüsten gemalt. Tits Art. Dazu hat sie sich zumindest oben herum unbekleidet über eine Leinwand gekniet. So sieht man es auch auf Richters Bild und das muss man natürlich aus der Zeit heraus verstehen, erklärt die frauenbewegte Buchhändlerin. A ha.
In der Allgemeinen Sammlung stehen in großen Formaten Zitate von Rio Reiser und Blixa Bargeld an den Wänden. Zwar hat das durch die Design-Ausstellung Quartett (Paar 1: Er pensionierter Mediziner, sie Kinderärztin, Paar 2: Er in Altersteilzeit befindlicher Abteilungsleiter im Gesundheitsamt, Sie: Hausfrau) keine Ahnung, wer diese beiden Personen sind, aber die ausgestellten Möbel sind doch auch sehenswert. Haben möchte niemand von ihnen auch nur ein Stück im schmucken Einfamilienhaus in der Nähe des Tiergartens.
Überhaupt: Das müssten ja ganz schön spinnerte Künstler sein, so etwas anzufertigen. Und dass das dann auch noch im Museum landet? Es dauert nicht lang und es fällt der abgedroschenste aller Sätze: „Kunst kommt von Können und nicht von Wollen. Sonst hieße es ja nicht Kunst sondern Wunst.“
Design Ausstellung
Es ist doch immer wieder höchst interessant und entlarvend, wie andere Menschen Kunst im Museum wahrnehmen und was sie dazu zu sagen haben. Man muss nur genau hinhören. Dann kann man auch so wunderbare Banalitäten  mit nach Hause nehmen wie „Die Kunst hat ihr Ende erreicht, sie ist nicht mehr interpretierbar!“  So gesprochen von einer dozierenden, älteren Dame gegenüber ihrem Mann, bei dem sie verzweifelt versucht, dem Museumsbesuch einen inhaltlichen und intellektuellen Gehalt zu geben, während der Gatte mehrfach verstohlen auf die Uhr schielt. Läuft der Parkschein ab oder hat er einfach nur Hunger? Man wird es nie erfahren. Wie schade. Da bin ich jetzt aber zu kurz gekommen. Sollte es übrigens einen anderen Grund geben, eine Kunstausstellung zu besuchen, als über die anderen Besucher herzuziehen, dann lassen Sie mich das bitte wissen…

Ein Nachsatz: Nach dem Museumsbesuch drängen wir in die völlig verregnete Nürnberger Innenstadt zur Original Nürnberger Rostbratwunst… äh -wurst, dafür sind wir schließlich auch extra angereist. Die wollen wir – und die können wir jetzt verdrücken.

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1 Antwort

  1. 10. Oktober 2017

    […] Weil ich Kultur konsumiere. Was heißt: Ich gehe in Museen und Ausstellungen, schaue mir moderne Kunst und antike Artefakte an, lausche im Theater gelegentlich einer Oper und habe es damit immerhin bis […]