Hier nur sportliche Schwimmer
Nun ist also doch passiert, was viele sich gewünscht haben. Am Startblock im Erdinger Schwimmbad wurden beidseitig Schilder angeklebt, die schriftlich bestätigen, was eigentlich immer schon klar war: Die Bahn ist reserviert für sportliche Schwimmer.
Oft wurde das erbeten, endlich hatte das Bäderteam ein Einsehen und hat eine vermutlich provisorische Beschilderung angebracht, denn die Fertigung der Hinweisschilder lässt Zweifel aufkommen, ob die dauerhaft da hängen werden.
Ab jetzt könnte alles gut werden.
Wäre da nicht der Wortklauber, der alles auf die Goldwaage legt, der Rabulist in mir, der vier Kilometer auf dieser Bahn verbringt, was genug Zeit ist, um über die Bedeutung dieser Zettel nachzudenken. Und plötzlich kommen die Fragen über diese weiche und unpräzise Formulierung und ich verstehe einmal mehr, warum in unserem Land alles bis ins Kleinste geregelt und definiert werden muss.
Was ist überhaupt ein sportlicher Schwimmer?
So mancher fühlt sich vielleicht als solcher, ist es aber in den Augen anderer nicht. Ein Siebzigjähriger, der unter Aufbringung aller Kräfte und Kondition Bahn an Bahn reiht und sich altdeutsch rückenschwimmend abmüht, mag sich selbst als sportlich bezeichnen; und das zu Recht. In den Augen eines dreißigjährigen Triathleten aber mag er kein Sportler sein. Eher ein Passagehindernis auf der Bahn, lästiger noch als permanent schnäbelnde Trockenhaarschwimmer.
Mancher Brustsprinter ist viel schneller als ein Kraulschwimmer, der stoisch Kilometer um Kilometer herunterspult. Einem zwanzigjährigen Brustschwimmer bin ich also sicher ebenso ein Dorn im Auge und seiner Meinung nach auf der Bahn deplatziert, wie ich wiederum durchaus genervt bin von dem kraulenden Kahlkopf in seiner hellblauen Adidashose, der sich alle andere als sportlich benimmt. Er hat nämlich nicht im mindesten verstanden, wie das mit dem Überholen beim Schwimmen im Kreis funktioniert und kommt allen, die an der Stirnseite an ihm vorbeiziehen wollen, in die Quere. Ist ein sportlicher Schwimmer nur einer, der sportlich schwimmt oder sollte er sich nicht auch sportlich benehmen? Wobei letzteres in seiner Bedeutung schon wieder arg schwankt zwischen sportlichem (das heißt in der Regel aggressivem) Autofahren oder dem englischen Sportsman, der sich als a person who exhibits qualities especially esteemed in those who engage in sports, as fairness, courtesy, good temper, etc… definiert. Was so ungefähr genau das Gegenteil dessen darstellt.
Dann nämlich wären Gruppenschwimmer, die sich stundenlang am Beckenrand festsaugen, fachsimpeln und endlos auf ihren Handgelenkt-Computern herumdrücken, so dass kaum mehr ein Millimeter Platz für eine Wende bleibt, auch keine Sportsmen? Und schon steht die nächsten Fragen im Raum.
Was ist mit denen, die zwar sportlich sind, sich aber nicht sportlich benehmen?
Und müssen sportliche Schwimmer, die nicht sportlich schwimmen, von der Bahn?
Das mag nach Erbsenzählerei klingen, ist es aber ganz und gar nicht. Wenn zum Beispiel sechs Leute im relativ gleichen Tempo kraulen, ein siebter aber stur seinen Trainingsplan durchzieht, ein Schwimmbrett vor sich herschiebt und den Beinschlag trainiert, mag das zwar sportliches Training sein, aber sportliches Benehmen?
So einen „Strampler“ vor sich zu haben und nicht überholen zu können, weil man vor lauter im Wasser wirbelnder Luftblasen gar nichts mehr sieht, ist für alle anderen bisweilen recht ärgerlich.
Wer wird entscheiden, wer ein Recht auf der Bahn zu sein hat und wer nicht?
Gilt ab jetzt erst recht das Recht der Stärkeren oder das der Lauteren? Oder werden von nun ab die Schwimmmeister permanent herangezogen, um diejenigen, von denen andere denken, sie seien bei weitem nicht sportlich genug, von der Bahn zu verweisen? Werden sie nun vermehrt zu Streitschlichtern, weil so ein Schild tatsächlich auch die Gefahr birgt, dass Schwimmer sich gegenseitig der Bahn verweisen wollen und als Unparteiischen den Schiedsrichter herbei rufen. Vorkommnisse dieser Art gibt es ja, wie in einschlägigen Schwimmgruppen auf Facebook zu lesen, en masse.
Oder pendelt sich alles friedlich ein, wie es das in hunderten anderer Schwimmbäder auch getan hat?
Fragen über Fragen, dabei ist die Wichtigste noch gar nicht zur Sprache gekommen:
Wie lange hält das Klebeband, bis die Schilder sich lösen und in den Fluten versinken?
Noch ist alles ruhig. Und ich genieße, dass die beiden Schilder bei meinem Schwimmbadbesuch die Bahn frei halten. So frei, dass ich zeitweilig der Einzige bin, der sie nutzt. Kunststück, es ist ja auch sonst fast niemand da, der Ambitionen hegen könnte. Kaum ein Dutzend Gäste ist anwesend, davon kein Einziger im Wasser… und das am hellichten Tage.
Aber vielleicht ist das nur die Ruhe vor dem Sturm.
Ich bin gespannt, wie es in den Abendstunden zugehen wird, ob das Schild etwas nützt oder Ärger dort provoziert, wo man sich vorher halbwegs friedlich und stets moderat ohne Zuhilfenahme eines Schwimmmeisters hat einigen können.
Spannend auch, was an den kalten Schlechtwettersonntagen passiert, wenn besonders viele, die sich in grenzenloser Selbstüberschätzung als Sportskanonen ansehen, das Schwimmbad bevölkern. Wer weiß: Vielleicht animieren ja die beiden Zettel erst recht die hochambitionierten aber wenig stil- und technikversierten Schwimmer, die Bahn als die ihre zu erklären.
Man kann ja so vieles missverstehen. Selbst die vier simplen Wörter Hier nur sportliche Schwimmer.
PS: Wo treffen wir in Zukunft eigentlich die sportlichen Schwimmerinnen?
PPS: Keine 24 Stunden später sind die Schilder wieder verschwunden. Damit ist eine Frage beantwortet und alle anderen sind hinfällig. Wie dieser Beitrag, ich veröffentliche ihn trotzdem.
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Tja, dabei könnte das Ganze immer so einfach sein: gegenseitig Rücksicht nehmen…
Auch Einbildung ist eine Bildung,leider oft die Einzige!!