Bilder aus Georgien (11) – Am Adschariszqali
Alles begann an diesem Tag mit einem sehr eigenartigen, allerdings schmackhaften Frühstück: Kaffee, Wasser, Weißbrot, ein Glas selbstgemachtes Pflaumenkompott. Es hätte auch noch scharfe Wurst, einen Käse oder hartgekochte Eier gegeben. So serviert in Chulo in einer (hier würde man sagen) Imbissbude am Endhaltepunkt einer Buslinie ins Gebirge.
Doch von Anfang an:
Im südwestlichen Zipfel Georgiens befindet sich die autonome Republik Adscharien, der Fluss Adschariszqali durchzieht mit vielen Anderen das Schawschet Gebirge und fließt dem Schwarzen Meer entgegen. Es ist eine üppige Region, nicht nur wunderschön und als Weinbauregion sehr ergiebig. Die Region wird im zunehmenden Maße touristisch erschlossen mit all seinen Vor- aber auch seinen Nachteilen. Das Schwarze Meer ist nah, das Hinterland möchte auch etwas abbekommen vom Kuchen und immer nur Meer wird für die wachsende Zahl Urlauber:innen mit der Zeit auch öde, vor allem denen, die outdoor aktiv sein wollen: Also wird Rafting, Hiking, Biking angeboten, Quads, Motorräder und Mountainbikes werden vermietet, Trails durch die Wälder angelegt… Alles, was halt geht, alles, was in vergleichsweisen Gegenden in anderen Ländern auch Aktivurlaubende anlockt.
Ob und wie das mit dem Tourismus weitergehen wird, jetzt, da sich das Land mit der Wahl des „Georgischen Traums“ wohl weitaus mehr Russland zuwenden wird, bleibt abzuwarten. Die Unruhen vor allem in der Hauptstadt nehmen zu, die Proteste der Bevölkerung, die eine Manipulation der Wahl als erwiesen ansieht, auch – vor allem seit die Regierung die Beitrittsverhandlungen mit der EU nun auch ausgesetzt hat.
Manchmal hinkt die Infrastruktur hinter dem Enthusiasmus, wie auch den Aktivitäten der Einheimischen, die am geldbringenden Urlauberstrom teilhaben wollen, hinterher: Zur Zeit führt eine streckenweise sehr gut ausgebaute, aber auch streckenweise hundsmiserable Passstraße hinauf nach Chulo am Adschariszqali und von dort weiter nach Osten, immer nahe der türkischen Grenze Richtung Kleinem Kaukasus.
Alte historische Brücken überspannen den Adschariszqali und zumindest die erste, die Makhuntseti Bridge (მახუნცეთის თაღოვანი ხიდი) ist mittlerweile vom Küstenort Batumi aus ein beliebtes Ausflugsziel, das auch von Reisebussen angesteuert voller eher wenig bewegungsfreudiger Reisender wird.
Adscharien hat aufgeholt. So haben sich entlang der Straße bei der Brücke Souvenirstände und Stände für georgische Produkte wie Wein, Honig, Obst platziert, Biker und Rafter haben sich eingefunden, Quad- und Motorrad-Vermieter warten auf Kundschaft. Eine Zipline lockt Verwegene.
Folglich ist die Makhuntseti Bridge auch Ziel von noch mehr Busgruppen und so kommt man sich auf der Brücke ein wenig vor wie an vielen vergleichbaren Orten, die deutlich mehr Besucher:innen haben, als gut für sie ist.
Menschen stehen herum. Sie wissen, außer dass sie drei Fotos und sieben Selfies machen wollen, wenig mit sich anzufangen. Es gibt eine Kategorie Urlauber:innen, für die ist selbst ein Halt von 15 Minuten an einem Hot Spot 10 Minuten zu lang. Man findet sie überall – von Bussen ausgespuckt, sich selbst überlassen und nach verrichteter Selfie-Aktion planlos: „What’s next?“
Am Königssee in Oberbayern ist das übrigens ganz genauso.
Teenager springen von der Brücke in den Fluss, lassen sich bestaunen und beklatschen, irgendwann vielleicht werden sie sich dafür wie in Mostar in der Herzegowina an der Neretva für jeden Sprung bezahlen lassen. Es würde mich wundern, täten sie es nicht. Und ich verstehe das.
Eine halbe Autostunde bergauf Richtung Chulo gibt es noch mehr historische Brücken, die Dandalo Bridge und weitere 45 Kilometer flussaufwärts, was immerhin eine knappe Stunde Fahrzeit bedeutet, eine dritte, die Purito Bridge. Hierher verirrt sich einfach niemand mehr, zumindest keine Busladung Menschen, hier ist man allein. Noch eine halbe Stunde weiter sind wir in Chulo und damit am Anfang der Tagestour. Wir stehen in einem sonderbaren kleinen Dorf, werden als Fremde beäugt, frühstücken in einem Imbiss. Die Wirtin versteht weder englisch noch deutsch, wir kein georgisch. Aber wozu haben wir Finger und einen Reiseführer, in denen die wichtigsten Begriffe übersetzt und um einer einigermaßen verständlichen Aussprache willen auch in Lautschrift abgedruckt sind.
Von Chulo geht es nach einem Rundgang durch das Dorf langsam von Brücke zu Brücke talabwärts am Adschariszqali entlang. Viele Pausen in einer wunderschönen Landschaft – fast überall sind wir vollkommen allein. Entsprechend groß ist der „Kulturschock“ an der Makhuntseti Bridge.
Hinter der der Brücke, zu Füßen der Talstation liegt ein kleiner, verlassener Friedhof. Ob er wirklich verlassen und vergessen ist, weiß ich nicht, zumindest macht er bei meinem Kurzbesuch den Eindruck. Ein Tor verschließt den Zugang, ich hoffe, dass es nicht verschlossen ist und öffne es vorsichtig… Über diesen Friedhof lesen Sie im Beitrag: Der Friedhof bei der Makhuntseti Brücke im Totenhemd-Blog.
Noch eine weitere Bildergalerie von einer Tour in Georgien folgt.
Eine Übersicht über alle bereits veröffentlichten Beiträge finden Sie in der Ankündigung der Serie hier.
Vielen Dank fürs Lesen. Wenn Ihnen dieser Artikel gefallen hat, dann freue ich mich, wenn Sie ihn Ihren Freunden weiterempfehlen – z.B. über Facebook, Twitter, in Internetforen, Facebookgruppen o.ä. Haben Sie Fragen oder Anmerkungen zu diesem Beitrag? Dann nutzen Sie bitte das Kommentarfeld. Gern dürfen Sie meine Artikel auch verlinken.
Wenn Ihnen dieser Beitrag gut gefallen hat und Sie mir spontan einen Kaffee spendieren wollen, dann klicken Sie bitte auf den Kaffeebecher. Mehr dazu hier.
In meinem Webshop finden Sie ganz neu und exklusiv das Fotobuch Schmetterlinge und Wasserfälle – Bilder und Notizen einer Reise durch Bosnien und Herzegowina. Weiterhin sind im Webshop u.a. auch erhältlich: Mein Fotobuch Im Süden – Bilder eines guten Jahres und die fünf Fotobücher von Ursula Zeidler: Freie Schnauze – Weideschweine, Paare, Münchner Freiheiten – Zwei Jahre Theresienwiese April 2019 – April 2021, Augenblicke, und einfach Kinder.
Entdecke mehr von Mal Zwetschgenmann - Mal Wassermann
Subscribe to get the latest posts sent to your email.