Das merkwürdige Verhalten frischluftbedürftiger Großstädter zur Corona Zeit
Vor einigen Tagen telefonierte ich mit Kollegin Christine so von Home Office zu Home Office. Corona zwingt uns alle, mehr oder weniger dauerhaft daheim zu bleiben. Natürlich erkundigt man sich über das werte Befinden, erzählt sich dies und das, bevor man zum eigentlichen Grund des Telefonats kommt. Und so erzählt sie mir, dass am Wochenende der Ebersberger Forst östlich von München vollkommen überlaufen gewesen sei. Das wundert mich nicht, der Staatsforst ist trotz seiner monokulturellen Hässlichkeit samt schnurgerader Gitternetzwegführung ein begehrtes Ausflugsziel der Großstädter. Entsprechend sind die Parkplätze gesteckt voll mit Fahrzeugen mit Münchner Kennzeichen, nicht wenige SUVs darunter. Wozu, wenn nicht zum Parken am Waldrand hat man schließlich so ein Vehikel? Soweit normal. Aber jetzt, in Corona Zeiten ist es noch viel voller.
Christine, die erzählt, dass sie eine ausführliche Runde mit ihrem Hund gedreht hat, wohnt nah am Forst, für sie ist das heimatliches Terrain, nicht aber für die ganze Münchner Blase, die sich Wochenende für Wochenende über die benachbarten Landkreise ergießt, den Segen der Natur zu genießen. Gerade jetzt scheinen die, die sonst den Hintern vom Sofa oder Schreibtischstuhl kaum hochbekommen, die Liebe zur frischen Luft wiederzuentdecken.
Gut, denke ich, wir waren bisher einigermaßen verschont. Dazu ist unser Dörflein doch ein wenig zu ab vom Schuss. Jetzt aber sind alle Wälder rings um München plötzlich begehrte Ziele für alle, die noch vor Wochen nie ins „Outback“, wie sie die schnöde Provinz nennen, vom Tegernseer Tal und Starnberg einmal abgesehen – und vom Ebersberger Forst.
Jetzt aber auch bei uns: Auf dem Parkplatz am Waldrand steht Auto an Auto. Viele mit M-Kennzeichen, und das sind mitnichten alles Firmenwagen. Ein Spaziergang durch den Wald offenbart: Es geht zu wie weiland bei der Völkerwanderung – nur nicht so marodierend. Da die Landkreise die Wanderparkplätze an den beliebten Seen sperren ließen und der bayerische Minister Herrmann drastische Bußgelder für Verstöße gegen die Ausgangsbeschränkungen angekündigt hat und sich auch nicht schämt, die Bevölkerung zur Kontrolle der Nachbarn aufzurufen und diese ggf. der Polizei zu melden, wenn sie Besuch empfangen, werden die Menschen zunehmend subversiv erfinderisch. Renitenz macht sich breit und die Städter drängen in die tiefe Provinz abseits der typischen Wander-Hotspots und Spazierwege. Sollen sie.
Noch nie habe ich so viele Menschen bei uns durch die Wälder radeln, joggen, spazieren oder Hunde ausführen sehen wie im Moment; und noch nie so viele, die ich nie zuvor gesehen habe. Bei einem Dorf von rund 1.500 Einwohnern kennt man sich – vielleicht nicht jeden, aber einen erheblichen Teil. Und die, die gerade durch die Wälder stapfen, wohnen hier nicht. Und auch nicht im Nachbardorf. Warum sollten die schließlich hierher kommen? Die haben alle selbst Wälder vor der Tür.
Ich gebe zu: Das ist kein Beweis.
Aber ein untrügliches Indiz, dass jemand Tagesausflügler ist, ist die Hilflosigkeit, wenn man sich begegnet. Jeder hier grüßt jeden. Für ein „Servus“, „Grias Di“, zumindest aber ein „Hallo“ im erforderlichen Abstand ist allemal Zeit. Gern auch garniert mit ein paar aufmunternden Worten.
Ausflügler hingegen grüßen nicht. Und sie grüßen auch nicht zurück. Damit sind sie hoffnungslos überfordert. Das ist ja auch verständlich, sie haben es nicht gelernt. Wozu auch? Würden sie bei ihrem Weg zur U-Bahn konsequent jeden grüßen, der ihnen entgegenkommt, sie kämen nie an ihr Ziel sondern vermutlich in die Geschlossene.
Ein weiteres Indiz: Die Spaziergänger kennen sich nicht aus. Daher bleiben die Meisten auf den Hauptwegen, sozuagen der Rennstrecke. Haben sie Angst sich zu verlaufen, hoffnungslos zu verirren in einem Wald, der kaum 4 Quadratkilometer groß ist? Aber das können sie ja nicht wissen, die Städter. Und bevor man sich in der grenzenlosen Wildnis immer weiter Richtung Sibirien weit über die Grenzen der Zivilisation bewegt oder Barbaren in die Hände fällt, weil man auf Trampelpfade abgebogen ist, bleibt man lieber auf den breiten Forstwegen. Da ist man sicher. The final frontier beginnt für die Münchner gleich hinter der Erdinger Therme.
Ganz gelegentlich aber „erwischt“ man Spaziergänger trotzdem, wenn sie in Unkenntnis des Geländes Wege wählen, die plötzlich im Nichts enden. Plötzlich steht man zwischen Feld und Wald und weiß nicht weiter.
Mit den teuren Schuhen durch den Matsch querfeldein?
Keine Option.
Umkehren?
Auch nicht.
Aber streiten. Vorwürfe, wer denn unbedingt da vorne vom Hauptweg hat abbiegen wollen, werden laut. Langjährige Ehen geraten unversehens auf den Prüfstand.
Aber mit Wochenendausflüglern ist es nicht getan. Auch unter der Woche beweisen Städter, wie merkwürdig sie sind. Man erkennt sie am sonderlichem Benehmen: Ihre Business-Meetings verlegen einige kurzerhand in den Wald – als wenn man sich dort rein zufällig getroffen hätte und zwangsläufig ein Stück des Weges miteinander teilt: Rechts einer, links einer am Wegesrand gehen sie nebeneinander her, jeder eine Flasche Wasser in der einen, ein Smartphone in der anderen Hand. Da werden Pläne geschmiedet, Bilanzen besprochen und Vertrauliches ausgetauscht. Und über das beschissene Handynetz in der Provinz gemeckert. 5G braucht es eben nicht an jeder Milchkanne – das wissen wir doch seit 2018.
Ein anderes Paar sitzt sich auf Abstand gegenüber: Beide bei geöffneter Heckklappe ihrer Kombis auf der Ladefläche, und plaudert. Weit genug entfernt voneinander und weitab vom öffentlichen Auge, so dass kaum die Gefahr besteht, von der Polizei erwischt und möglicherweise mit einem Bußgeld belegt zu werden. Hier bespitzelt und denunziert einen auch niemand – in dörflicher Gemeinschaft grinst man verschworen, und die anderen, die sich rein zufällig („Natürlich! was denn sonst?“) getroffen haben und nun in ihren Kombis hocken, stören nicht weiter. Woanders können sie es ja nicht.
In Bayern ist ja bekanntlich nicht nur das Sitzen auf Bänken außerhalb des eigenen Gartens verboten sondern es ist auch jeglicher physische Kontakt mit anderen Menschen, mit denen man nicht in häuslicher Gemeinschaft lebt, bußgeldbeddroht. Die Stadt München gefällt sich gerade zum Beispiel darin, Security anzuheuern, um die Menschen auf den Friedhöfen von den Bänken zu verscheuchen – so erfahren aus Irene Groneggers lesenswertem Maxvortadtblog. So etwas trifft natürlich dann in erster Linie diejenigen, die sich eben kein Häuschen mit Garten leisten können sondern eingepfercht in ihren Stadtwohnungen bei schönstem Wetter einen Budenkoller bekommen – und damit vor allem die einkommensschwächeren Bevölkerungsschichten. Wen sonst?
Bingo!
Dann lieber ab aufs Land. Ab vom Schuss im Holz läuft, fährt oder reitet kein Beamter Patrouille und fordert die Menschen auf, sich zu zerstreuen. Die meisten Bänke am Wegesrand allerdings sind leer… aber das sind sie ohnehin fast immer.
Andernorts hingegen sitzt man nicht weit vom Parkplatz auf gefällten Baumstämmen, verknuspert Mitgebrachtes vom Backshop und unterläuft das Picknickverbot.
Und noch etwas ist anders. Noch nie waren so viele Radfahrer unterwegs. Und noch nie wurde auf Waldwegen so rücksichtslos, verbissen und kraftvoll in die Pedale getreten wie jetzt, so als sei man vollkommen allein auf weiter Flur.
Nicht, dass wir uns missverstehen: Ich habe volles Verständnis, dass halb München an schönen Frühlingswochenenden der Stadt entflieht, um frische Luft zu tanken, Sport zu machen, Spazieren zu gehen und nicht in den Parks permanent achtgeben zu müssen, die 1,50 Meter Mindestabstand zum Nächsten einhalten zu können.
Seid willkommen in unseren Wäldern. Fühlt Euch wohl, genießt die Landschaft, die Natur, die Sonne, die frische Luft. Bleibt auf Abstand, radelt niemanden über den Haufen, lasst Eure Hunde nicht frei im Wald laufen – dann passt das schon. Aber bitte faselt nie mehr herablassend davon, dass ihr im Outback bei den Bauerntrampeln in den Landkreisen Erding oder Ebersberg wart.
Dann verraten wir Euch gaaaanz vielleicht auch, welche Dorfläden und Supermärkte am Ortsrand Mehl, Nudeln und Klopapier im Regal haben. Und Hefe. Jede Menge Hefe.
So was gibt’s nämlich auf dem Land.
Vielen Dank fürs Lesen.
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Das Verhalten vieler Menschen ist für mich nicht nachvollziehbar. Dabei stehen wir erst em Anfang. Was wird alles passieren, wenn die Regeln verschärft und das Ganze noch 4 Wochen oder länger dauert.
LG Jürgen
Das Verhalten vieler Menschen ist mir grundsätzlich nicht nachvollziehbar. Aber das ist wohl ein anderes Thema :)
Ich wohne zwar nicht in München oder auf dem Land drumherum – obwohl manch einer Augsburg hierzu zählt 😉
Kann dir aber voll zustimmen. „Mein“ Waldstück um die Ecke ist Sonntag vormittag bis auf ein paar vereinzelte Jogger und Radfahrer ruhig und leer. Man verliert sich auf den vielen Wegen. Nicht so diesen Sonntag. Gruppen – wie jetzt? – von Mountainbikern, gebührend Abstand haltend rasen über die Wege, wie wenn sie alle Bewegungslosigkeit der letzten Wochen an einem Tag abfertigen müssten. Nun denn, sie wären ansonsten jetzt vermutlich am Gardasee oder in den Bergen. Familien, mit mehr oder weniger lauffreudigen Kindern, die sicher noch nie einen Fuß in diesen Wald gesetzt haben – erkennbar am verzweifelten Starren aufs Handy und der offensichtlichen Google-Maps-Hilfe. Hundehalter, die sich treffen und sich schreiend über den Abstand hinweg unterhalten. Von Ruhe im Wald und sowas wie „die Tiere haben eine Ruhepause“ nicht zu reden. Mich hat es ein bisschen entsetzt, aber nun ja, ich war ja auch unterwegs. Aber schließlich ist das ‚mein‘ Wald 😊🤷♀️
Ich muss gestehen, gelegentlich „starre“ ich auch aufs Handy im Wald. Dann nämlich, wenn wir eine der Outdoor-Active Touren abmarschieren und die Wegbeschreibung lesen – so weiß ich seit gestern nach einer Outdoor-Active-Tour nebst Lektüre selbiger, was ein Fahrsilo ist (bzw. dass der so heißt, denn ich kannte den ja vorher schon, wusste aber den Begriff nicht), wo die Wasserscheide zwischen Inn und Isar verläuft, warum die Erde so extrem dunkel ist und manches mehr. Früher hatte man halt den Rother-Wanderführer zur Hand.
Und zwischendurch schaue ich auch gern mal auf einschlägigen Seiten nach, was das nun wieder für ein lustiger Falter ist, der vor mir auf dem Weg in der Sonne sitzt. Aber verzweifeltes Starren – ja, auch ein untrügliches Zeichen.
Perfekt und absolut zutreffen beschrieben . Das ganze spielt sich aber nicht nur in der Region um München ab, sondern im Raum Stuttgart genauso. Da ist die Schwäbische Alb gefragt !!!
Ich denke, dieses Phänomen sonderbarer Menschen erleben wir derzeit in allen Randgebieten der Ballungsräume. Und je stärker die üblichen Ausflügler-Hotspots in den Fokus geraten, je weiter zieht sich die Blase in Regionen zurück, die nie zuvor ein „Touri“ betreten hat.
Bei mir am See war es am Wochenende kurz nach dem Frühstück auch schon so voll, wie sonst eher zur besten Sonntags-Mittags-Spaziergehzeit. Verstehen kann ich es ja auch, Wetter ist toll, wer primär zu Hause sitzt, hat weniger Bewegung als sonst, Sportstätten sind alle zu, …
Schade finde ich dabei nur, daß nicht jeder auch darauf Rücksicht nimmt, wenn es voll ist. Auf dem Weg können ca 4 Leute nebeneinander gehen. Da manche rechts, andere links um den See gehen, gibt es natürlich Gegenverkehr. Und manche radeln oder laufen statt spazieren zu gehen – also wird notgedrungen überholt. Aber gerade bei den Spaziergängern beharren leider zu viele darauf, unbedingt weiterhin zu zweit, dritt oder viert nebeneinander gehen zu müssen, auch wenn gerade wieder Gegenverkehr zu sehen ist und hinten wer klingelt. Und das wäre schon zu normalen Zeiten ohne ´das Gebot Abstand zu halten, rücksichtslos :(
Echt toller Beitrag! Bei uns haben sie beim nahen Greifensee vergangenes Wochenende alle öffentlichen Parkplätze und Grillstellen gesperrt, weil es am Wochenende davor viel zu viele Leute an den See lockte. Verständlich, aber eben… Aber was machen gewisse Schlaumeier? Sie parkten nun in den Wohnquartieren (wo sie ihre Inline-Skates anzogen) oder auch direkt neben den Verbotsschildern und Absperrungen dem Waldweg entlang bis zu Fuchs und Hase…
Liebe und gesunde Grüsse aus dem ländlichen Zürich, Stefan
Danke für das Lob.
Ich bin ein wenig hin und her gerissen, ob ich diese Stadtflucht- Aktionen wirklich so verurteilen kann.
Hätte ich nur eine Wohnung, ich würde es vielleicht genauso machen. Und irgendwo versuchen hinzufahren, wo eben nicht alle Ausflügler sind.
Ganz toller Beitrag! Und wenn es teilweise nicht so traurig wäre, dann könnte man herzlich lachen. Hier oben im Norden ist Hambur euer München und Euer Wald unsere Küste. Mehr möchte dazu garnicht sagen. Liebe Grüße, Ulrike
Liebe Ulrike,
ich finde es nicht traurig – ich finde es eher absurd bis grotesk. Daher erlaube ich mir auch ein gewisses Grinsen, anders kann ich nicht darauf reagieren, als es etwas ironisch aber durchaus gelassen und milde zur Kenntnis zu nehmen. Es ist ja nun alles andere als Zusammenrottung, was zumindest hier im „Outback“ passiert. Anders als vielleicht auf der Seepromenade oder in den Parks der Städte.
Und ja: Gelegentlich lache ich auch über das Eine oder Andere im Beitrag Geschilderte. Es tut mir Leid, ich kann (und will) nicht anders.
Und vielen, lieben Dank für das Lob.
Liebe Grüße
Lutz
Mit dem hässlichen Auto in den langweiligen Fichtenforst … passt doch :-)
Meine Güte! Die Idioten sind immer die Anderen, oder wie ist das? In den Städten tummeln sich auch Provinzler, die sich nicht auskennen und den Städtern auffallen. In Corona-Zeiten könnte es ja auch als klug gelten, sich nicht in den Parks zu drängen sondern aufs Land zu fahren. In Corona-Zeiten flutet sicher auch die Landbevölkerung die Facharztpraxen, Einkaufszentren, Apotheken…in andern Zeiten sowieso. Immer dieses zur Schau getragene Überlegenheitsgetue, zum Zwecke der Selbstaufwertung.
In Teilen lebt die Landbevölkerung zudem doch vom Tourismus.Corona bewirkt anscheinend eine Art Fremdenhass unter Deutschen. Sehr bedenklich!