Wir hatten ja nichts…

Wir hatten ja nichts… Also früher. Sie wissen schon. Als die Winter noch richtig kalt waren, der Schnee im November fiel und meterhoch lag. Zur Schule waren es sechs Kilometer, die wir natürlich bei Wind und Wetter zu Fuß gegangen sind. Und wenn wir neue Schuhe brauchten, dann hieß es: „Hier ist ein Messer. Geh in den Wald und schnitz Dir welche!“
Das Thema kennen Sie. Man muss es nur oft genug wiederholen, dann glaubt man am Ende selbst ein wenig daran. Zumindest funktioniert das, wenn das ominöse Früher, von dem immer alle schwadronieren, weit genug in der Vergangenheit zurückliegt.
Aus verschiedensten Gründen habe ich unlängst in alten Kinderbildern gekramt. Ein Bild ist mir dabei besonders ins Auge gefallen. Wenn ich mir dieses Portrait anschaue, dann möchte ich sagen: „Stimmt. Wir hatten nichts.“

Für das „Wir hatten nichts!“ hätte ich im Alter von sieben oder acht Jahren überzeugend modeln können… Für nahezu jede mitleidheischende Kampagne, die einem so einfällt. Finden Sie nicht?
Kinderbild früher

Vermutlich hätte das Foto Spenderherzen und -portemonaies weit geöffnet. Ich nehme mal an, mit dem Bild hätte ich gut für arme, unterernährte Straßenkinder (die, die wirklich nichts haben), herhalten können. Dunkle, traurige Augen, schmalbrüstig, hängende Schultern, unbekleidet, strubbelige Haare. Da kam alles zusammen, was man für eine Charity-Kampagne so benötigt hätte.

Die Wahrheit sah natürlich anders aus… Wie auch ich eigentlich anders aussah:

Kinderbild früher

 

Vielleicht sollte mal klargestellt werden: Natürlich hatten wir was. Ein Zuhause mit einer Heizung und einem Bett für jeden in der Familie. Wir hatten immer gut zu essen, Kleidung, viel Spielzeug und die Chancen, was zu lernen – und wir hatten eine Kindheit, die sich zu (er)leben wirklich gelohnt hat.
Doch halt: Etwas hatten wir wirklich nicht: Farbfotos. Die gab es zwar schon, aber nur zu ganz besonderen Anlässen:

Einschulungsfoto

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2 Antworten

  1. MAscha sagt:

    Hehehe, das hätte ich dir auch nicht abgenommen, dass du nix hattest in deiner Kindheit.
    Aber es ist schon erschreckend, dass ganz viele Menschen vergessen, dass zwei Drittel der Weltbevölkerung heute noch keine Stromversorgung oder fließend warm Wasser haben. Oder es einfach nicht wissen.