Mediatipps (Teil 9): „Mein Esel Bella oder Wie ich durch Deutschland zog“ von Lorenz Schröter
Um es gleich vorweg zu sagen: Von Eseln verstehe ich rein gar nichts. Zumindest nicht von den vierbeinigen Unpaarhufern. Und über aufrecht gehende Zweibeiner, die gelegentlich auch Esel genannt werden, geht es in diesem Buch nicht.
Daher ist mir die Empörung einiger Leser zwar nachvollziehbar und sie war wohl auch zu erwarten. Aber sie bleibt doch irgendwie banal. Von Tierquälerei ist da die Rede. Und von dem Irrsinn des Unterfangens, mit einem Esel quer durch Deutschland zu reisen. Noch dazu, wenn man von der Haltung und dem artgerechten Umgang mit solchen Tieren keine Ahnung hat, sich einen Esel beschafft und einfach losmarschiert. Der Weg ist das Ziel, und auf dem Weg gibt es genug Zeit, sich aneinander zu gewöhnen und zu lernen, wie man einen Esel führt…
Klar. Darüber kann man streiten, das kann man dem Autor Lorenz Schröter vorwerfen. Wer sich einer bestimmten Form des Tierschutzes verpflichtet fühlt, der zum Beispiel von radikalen Tierrechtsorganisationen wie PETA verfochten wird, sollte ein solches Buch besser gar nicht erst zur Hand nehmen. Den graust es wahrscheinlich schon dann, wenn Schröter sein Tier mit „Stell dich nicht so an, du faules Stück“ beschimpft oder anderen Kraftausdruck verwendet, weil die Eselin Bella nicht so „funktioniert“, wie er sich das vorstellt. Mal will sie die Rheinfähre nicht betreten will, mal verweigert sie den Weg über eine Holzbrücke, mal zwingt sie Schröter zu einem Bogen an einer Tankstelle um die Waschstraße marschiert, weil ihr die Geräusche unheimlich sind.
Sie hat ihren eigenen Kopf, setzt diesen auch durch, und Schröter, der nun nicht gerade ein Pferde-, bzw. Eselflüsterer ist, muss sich erst daran gewöhnen.
In Horbruch im Hunsrück startete Schröter damals seine ungewöhnliche Reise. Gemeinsam mit der neunjährigen Eselin Bella wollte er – teils marschierend, teils reitend – Deutschland von West nach Ost durchqueren. Knapp vier Wochen, rund 700 Kilometer quer durch den Hunsrück, über den Rhein, durch Hessen, durch den Harz nach Sachsen-Anhalt. Dort, in Friedensweiler, einem Stadtteil Magdeburgs, endete der Weg.
Schröter hat, als er seine Wanderung gemacht hat, tief in die deutsche Provinz geschaut, auch tief in die Befindlichkeiten der Menschen, denen er begegnet ist und die ihm zum größten Teil sehr fremd geblieben sind. Er sinniert über deutsche Spießeridyllen mit Souvenirläden mit Muschelschmuckkästchen, verdrehten Weinstock-Spazierstöcken, Sonnenuntergangspostkarten und Spaghetti-Eis über Orte mit der Aura von Krankenhausfluren.
Es sind diese Momentaufnahmen, die keinesfalls allgemeingültig gemeinten und doch so wunderbar auf alle anderen Regionen übertragbaren Beobachtungen, die das Buch für mich so lesenswert gemacht haben. Es ist ein Blick in die tiefste Provinz, denn natürlich ist Schröter mit seiner Eselin nicht an den Hauptverkehrsstraßen entlang marschiert und nur selten durch die größeren Städte gezogen, traf mehr Klein-, als Großstadtmenschen. Nicht nur in Boppard stellt Schröter fest: Du weißt, dass Du in der Provinz bist, wenn jedes zweite Gasthaus eine Pizzeria ist und jede, wirklich ausnahmslos jede, Pizza Hawaii auf der Speisekarte hat.
Fast schon traumatisch werden seine Begegnungen mit Frottee-Spannbetttüchern, wie sie in den Dorfgasthäusern und der Pensionen seit je her auf die Betten aufgezogen werden. Klischee reiht sich an Klischee, nicht weil Schröter sie gesucht hat, um sich genüsslich darüber auszulassen. Sie sind einfach da: Und er entdeckt und benennt sie. Zu schade, dass das Buch nicht bebildert ist, ich hätte gerne gesehen, was Schröter neben seinen geschilderten Beobachtung für festhaltenswert erachtet hätte. Seine Begegnung mit Jägern, mit Hunden, mit Landwirten, mit Vegetariern am Gartenzaun.
Ich mag diesen unverhohlen, zum Teil deprimierten und dann wieder sarkastischen Blick auf unser Land, die Schilderungen der Vororte der Städte mit den Gewerbegebieten und Tankstellen, die Berichte über Wege längst brachliegender Bahnlinien, zerfallener Fabrikhallen und der Dorfjugend, die an Telefonzellen (die gab es 2002 noch) herumlungert.
Man könnte dem Großstädter Schröter mit etwas böser Absicht manche herablassende Haltung gegenüber den Provinzmenschen unterstellen, denn er ist und bleibt Fremder, dort wo er sich aufhält. Er versteht vieles nicht und urteilt doch, spottet ein wenig manchmal über Tupperware-Verkäuferinnen, Busse voller Rentner in Bad Sooden-Allendorf und einen älteren Mann, der das ganze Projekt missversteht, und ihm Geld zustecken will. Aber er trifft doch den Nagel auf den Kopf: Das ist Deutschland. Und zwar dort, wo der Fortschritt verspätet ankommt, wenn überhaupt.
Möglicherweise hat sich seit der Erstveröffentlichung 2002 doch einiges geändert und man findet nicht mehr in jeder Kleinstadt oder jedem Dorf eine Pizzeria mit der unvermeidlichen Pizza Hawaii – in unserem übrigens schon. Aber wir leben auch in der Provinz.
Und wir würden auch ganz schön irritiert sein, wenn ein Fremder mit Esel durch unser Dorf marschiert, sich an der Tankstelle eine Straßenkarte und einen Schokoriegel kauft oder beim Getränkemarkt am Dorfrand pausiert und sich dann entschließt mitsamt Esel am Fußballplatz zu übernachten…
PS: Die Beitragsbilder stammen nicht aus dem Buch und dienen nur zu illustrativen Zwecken.
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Lorenz Schröter: Mein Esel Bella oder Wie ich durch Deutschland zog
Taschenbuch: 208 Seiten / Verlag: Rotbuch / Erschienen am 01.Januar 2002 / Sprache: Deutsch
ISBN-10: 3434545077 / ISBN-13: 978-3434545071
Taschenbuch: 8,90
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