Weihnachten sollte öfter sein

Wenn etwas schwerer zu ertragen ist als eine Reihe an Feiertagen, dann ist das The day after.
Der Sonntag nach dem diesjährigen Weihnachtsfest muss für viele Zeitgenossen ein Albtraum gewesen sein – zumindest für deren Badezimmerwaagen. Ein Tritt und das Drama geht los.
Da muss man doch was tun, also meint die Armada der Vollgestopften (Heiligabend: Karpfen, 1. Feiertag: Reh, 2. Feiertag: Gans – oder so ähnlich), ein wenig Sport könne ihnen gut tun.
Und da der Winter 2015 zumindest bis jetzt eher ein lauwarmer Frühling war, ist die Palette der sportlichen Aktivitäten groß: Eine Runde radfahren – wann hat man das schon Ende Dezember gekonnt? Oder spazierengehen? – Ach nein, das ist ja eigentlich kein Sport.
Also Schwimmen. Das ist doch prima, da kann man gleich die mopsigen Kleinen mitnehmen, ihnen das neueste Smartphone oder die Wii mit den neuen Spielen eine Zeitlang entreißen und ab geht’s ins Hallenbad. Und Mutti hat daheim etwas Ruhe. Das hat sie sich schließlich verdient.
Aber erst noch ordentlich frühstücken. Die Angst vor dem Verhungern ist einfach zu groß.gurke
Als Herbert und ich am Sonntag nach Weihnachten das Hallenbad betreten, ist es gut gefüllt – ähnlich wie die Weihnachtsgans vom Vortag oder der mit Dehnungsfugen reichlich ausgestattete Magen der Menschen, die plötzlich so sportliche Ambitionen hegen. Wenigstens einmal im Jahr tun sie das. Das sind vermutlich die Gleichen, die am Heiligabend in der Kirche waren (auch wenigstens einmal im Jahr) und selbige genauso verstopft haben.
„Kommen Sie doch einfach nächste Woche wieder, da ist es wieder angenehm leer und sie bekommen alle einen Sitzplatz“, hörte ich mal einen Pfarrer sagen. Ich hätte gerne geklatscht. Warum sagt die Frau an der Schwimmbadkasse das nicht und schickt die Gurkentruppen ins nächstgelegene Gotteshaus?
Also ist es voll auf der Sportbahn. Aber so wenig wie diese Menschen liturgische Formeln im Gottesdienst mitsprechen können und wissen, wann sie sich zu setzen haben und wann aufzustehen (und zu knien, falls es einen in eine katholische Kirche verschlagen hat), wissen sie, wie man auf der Sportbahn schwimmt.
Dass sie überhaupt auf der Sportbahn rumdümpeln, hängt wohl mit einer etwas falschen Einschätzung der eigenen Kondition zusammen, aber sie sind zum Sporteln hergekommen, also gehören sie dahin. Und was sollen sie auch im Badebereich bei den ganzen ,Nicht’schwimmern?
Ich steuere auf die abgetrennte Bahn zu, zähle sechs Leute. Das ist ja doch nicht so schlimm. Herbert setzt sich gleich ab.
Empört starrt mich einer der ambitionierten Eintagssportler, der in einer Beckenecke steht, an, als ich vor dem Duschen am Beckenrand Paddle, Pullbuoy und Trinkflasche direkt vor seiner Nase abstelle. So als wolle er mir sagen, dass hier gefälligst ordentlich geschwommen wird: Also Brust, Kopf über Wasser, alle im gleichen Tempo und nicht etwa sowas Extremes, Asoziales wie Kraulen. Außerdem: Er war ja vor mir da, ich komme später, also hab ich mich zu unterstehen…
Dann startet er gegen die allgemeine Schwimmrichtung und stößt fast mit einem anderen Eintagsportler zusammen.
Jetzt kommt’s drauf an, sich durchzusetzen. Ich kämpfe mit allen Tricks und setze unüblicherweise eine Badekappe auf. Das flößt den Unerfahrenen etwa ebenso viel Respekt ein wie den atheistischen Eintagskirchgängern, wenn man das Kyrie mitsingen kann und das auch möglichst lautstark tut, damit der Agnostiker neben einem sich so herrlich deplatziert fühlt.wena
Wieder trifft mich ein böser Blick eines „Schwimmers“  – aber er nützt dem Absender nichts.
Ich springe ins Wasser: Einreihen – durchstarten. Vor mir ist ein Vati auf der Bahn, der seinen Kindern zeigen will, was für ein Könner er ist. Ist er aber nicht. Immer nach zwei Bahnen macht er eine ausgedehnte Pause, klebt sich wie eine Miesmuschel an den Beckenrand und hyperventiliert. Als sich einer seiner Söhne vom Badebereich nähert, presst Vati die Brust raus und fragt seinen Junior, ob er nicht auch mal Lust hätte, so richtig Gas zu geben.
Junior hat, also ist ein Schwimmer mehr auf der Bahn; nur, dass Junior uns zwar alle bei jedem Mario-Kart-Rennen abferkeln würde, aber auf der Sportbahn so gar nicht voran kommt. Vati, der hinter ihm schwimmt, feuert ihn an, was Vati noch langsamer als sonst, Söhni aber nicht schneller macht.
Gottseidank sind beide nach 25 Metern am Ende und der Spuk ist vorbei.
Langsam schwant mir, wie grausam es erst wird, wenn das neue Jahr beginnt und alle ihre guten Vorsätze in die Tat umsetzen…
Wie schön leer war es dagegen am Vortag, dem zweiten Weihnachtstag (s. Foto), als alle Gürklein zum Gänseschmaus verräumt waren.
Weihnachten könnte ruhig öfter sein.


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