Warum Kacheln zählen?
„Kacheln zählen“ ist der Sport meiner Wahl, und das nicht nur für ein paar Wochen, sondern als Langzeitprogramm.
Und warum?
Ich bin nun mal ein hemmungsloser Nostalgiker und knüpfe gern an ruhmreiche Tage an – und Schwimmen war nun mal die einzige Sportart, in der ich in Schulzeiten eine charmante vom damaligen Bundespräsidenten Karl Carstens (ja genau der Sportsfreund, der so gern im Frühtau zum wandern in die Berge zog) per Eindruck unterschrieben Urkunde erhalten habe. Kenner wissen es: Bundesjugendspiele. Das ist lange her, das war in den 80ern, aber Westfalen vergessen bekanntlich solch gravierende Erlebnisse nie.
Schwimmen macht Spaß. Und ich bilde mir ein, es einigermaßen zu können. Das war schon mal das erste und wichtigste Kriterium. Aber es gab noch weitere gute Gründe, ins Wasser zu gehen. Allesamt Ausschlusskriterien für die meisten anderen Sportarten.
Als Wiedereinsteiger wollte ich, völlig verweichlicht, etwas Witterungsunabhängiges. Regen, Kälte, nasse Klamotten: alles nicht mein Ding. Wer in Alpennähe wohnt, wird zwangsläufig zum Schönwetterskifahrer, bei Schnee, Regen oder Nebel muss man gar nicht erst los fahren. Das übertrage ich gern auf viele andere Aktivitäten.
Es gab Zeiten, da konnte ein Waldweg nicht matschig genug sein, da sind wir sogar absichtlich mit den Mountainbikes durch die Pfützen und Drecklöcher gedonnert. Da gab es nichts Schöneres, als am Ende der Tour das schlammbesudelte Bike vor der Haustür wieder sauberzumachen oder die kopfschüttelnden Blicke der Wanderer auf sich zu ziehen, wenn man nach einer Gewalttour im Sauerland dreckverkrustet am Parkplatz sein Bike einlädt.
Aber das ist auch schon eine Weile her. Und man wird ja nicht jünger.
Da ich darauf aus war, möglichst regelmäßig Sport zu machen, schied alles aus, was mich bei Regenwetter auf’s Sofa zurückgebracht hätte. Mir war klar: Es würden Zeiten kommen, da wird jede Ausrede willkommen sein: Eben auch die, dass es regnet.
Nicht weniger wichtig war es mir, eine Sportart zu wählen, die ich vereinsunabhängig betreiben konnte.
– Feste Trainingszeiten? Undenkbar.
– Mannschaftssportarten? Nein Danke. Als Querkopf bin ich dafür nicht geeignet.
– Eventuell Wettkämpfe? Hören Sie doch auf, doch nicht mehr in meinem Alter.
Ich möchte etwas tun für mich. Aber eben nur für mich. Mag sein, dass das autistische Züge aufweist, das stört mich allerdings weniger, das ist dann eben so.
Ich möchte Sport machen, wann ich will, so lange oder so kurz ich will, so viel oder so wenig ich will. Ungestört, ohne soziale Nebenprogramme, ohne Schaulaufen wie im Fitnessstudio, ohne Verpflichtungen gegenüber einem Verein, einer Mannschaft, einem Trainer.
Nicht, das ich grundsätzlich etwas gegen Vereine habe. Ich bin selbst auf meine alten Tage Mitglied in Einigen geworden. Zusätzlich gehöre ich zu der Minderheit der zahlenden Gäste, die auf Vereinssommerfesten gerne vorbei schauen, eine Halsgratsemmel und ein Radler kaufen, auf Festzeltgarnituren Platz nehmen und den sportlichen Darbietungen des Nachwuchses Applaus spenden. Dann werden dem Nachwuchs noch ein paar Tombolalose abgekauft, um einen Werbeschirm des ortsanssässigen Autohändlers oder ein Kartenspiel von der hiesigen Bank zu gewinnen. Das war’s dann aber auch schon an meinem Interesse für vereinsorganisierten Sport, sieht man von meiner rein konsumierenden Leidenschaft für fußballersisches Ballgetrete im Fernsehen und meinem schwarz-gelben Devotionalienerwerb mal ab. Aber da geht es um den Sport der anderen.
Der meinige soll sich natürlich auch finanziell im angemessenen Rahmen bewegen. So dachte ich mir das. Keine teuren Vereins- oder Studiobeiträge, die man grundsätzlich erst mal zahlen muss, egal, ob man was tut oder nicht. Keine Sportart, für die man Unsummen an Ausrüstung und Kleidung hinlegen muss. Die regelmäßigen neuen Teile in der Skifahrerausrüstung reichen völlig aus. Hier mal neue Schuhe, da eine neue Jacke. Und neue Skier müssen sowieso her. Das nur am Rande. Da muss ich nicht mit einer anderen Sportart auch wieder einen Industriezweig am Leben erhalten.
Und was noch ganz wichtig ist: Bloß nichts, bei dem man sich mit anderen unterhalten kann oder gar muss. Das schnatternde Volk, das tchbio-like mit Nordic-Walking-Stöcken ausgestattet und in Funktionskleidung aufgedresst bei uns durch unser Dorf stapft, hört man schon meilenweit. Ebenso die Radler-Rudel, wenn sie an unserem Tor vorbeisausen und der eine dem Hintermann etwas zuplärrt. Grauenhaft!
Ergriffene Schweigsamkeit liegt mir beim Sport wesentlich mehr als Plauderstündchen beim Walking, Jogging, auf Steppern oder in der Fitness-Station. Denn irgendwer quakt einen immer an.
Ich weiß, dass das sicher nicht die richtige Einstellung ist, mit einem Sport neu zu beginnen oder wieder einzusteigen.
Aber was schert mich meine Einstellung? Mir geht es nicht um die richtige (innere) Haltung, sondern die äußere. Ich will nicht länger wie ein nasser Sack in der Kurve liegen. Vielleicht kommt ja mit der Zeit die Einsicht, das Sport im Verein am schönsten ist. Irgendwann gab es ja mal so eine Kampagne. Aber irgendwann gab’s auch mal eine, die hieß: Trimm Dich Fit. Was für ein Mist.
Fazit: Was bleibt als Einziges übrig, wenn ich jetzt endlich loslegen will?
Richtig…
„Kacheln zählen“.
Schwimmbäder gibt es genügend in der Nähe, einige haben sogar abends lang genug geöffnet, dass es sich nach der Arbeit lohnt, ins Wasser zu hüpfen. Zehnerkarten gibt’s auch überall. Eine Badehose, ein Handtuch, was braucht man mehr… Klingt doch alles schon mal recht gut. Also: Gehen wir’s an!
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