Von Pontius zu Pilatus

Es gab eine Zeit, da hat sich München als Weltstadt mit Herz inszeniert – mag sein, dass am mit Herz etwas dran ist, aber Weltstadt ist in meinen Augen etwas anderes. Zumindest dann, wenn es um den simplen Kauf eines Neoprenanzugs geht. Da zeigt sich nämlich schnell die Begrenztheit der Einkaufsmetropole an der Isar.
Nun gibt es zahlreiche Dinge, die ich mittlerweile aus gewissen Erfahrungen, über die es hier auch wieder geht, online kaufe. Da weiß ich nämlich, wo ich was bekomme und muss nicht von Laden zu Laden rennen, um am Ende dann doch vor verschlossener Tür zu stehen, weil der Geschäftsinhaber vielleicht schon um 18.30 zusperrt, oder aber erst um 15.00 öffnet. So etwas gibt es nämlich auch. Auch in einer sogenannten Weltstadt. Von der Verfügbarkeit der von mir begehrten Ware im Geschäft mal ganz zu schweigen… Sprich: Mancher stationäre Händler müht sich offensichtlich redlich, Kunden mit spezielen Wünschen loszuwerden. Ein Neoprenanzug zum Schwimmen finde ich aber gar nicht so speziell. Und da ich den sicherlich nicht online kaufen werde, mache ich mich auf den Weg in die große Stadt.
Bereits im Februar habe ich in München in einem Triathlon Shop  einen Versuch gestartet, klugerweise vorher die Öffnungszeiten gecheckt (12.00-19.00 Uhr) aber dort mein persönliches, figurliches Waterloo bei der Anprobe des Aquaman Cell Gold erlebt. Kein Weg führte mich, den gwamperten Kunden, in den Anzug Größe L und XL war dann doch wieder zu groß.
So richtig betrübt darüber war ich damals nicht. 629 Euro ne fette Stange Geld für so ein Gummigwand. Groß war die Auswahl im Februar nicht. Neue Ware, so versprach damals Verkäufer Hendrik, käme im März. Vielleicht solle ich dann noch mal mein Glück versuchen.
Gesagt, getan, bis April gewartet und ab in die Stadt.
Dieses Mal ist meine erste Adresse Sport Scheck, jenes legendäre Münchner Sportartikel-Geschäft, dessen Ruhm für Coolness und umfassendes Sortiment schon in den Achtziger Jahren ins ferne Westfalen vorgedrungen war. Der Scheck, der hatte alles, der ultimative Sportladen. Das war, als Chiemsee noch eine angesagte Marke war. Sie erinnern sich?
Den ersten Neoprenanzug von AquaSphere habe ich vor Jahren dort gekauft, warum nicht wieder einen. Mittlerweile residiert das Geschäft nicht mehr im verwinkelten, engen Gebäude in der Sendlinger Straße, in dem man noch verzweifelt auf einen Fahrstuhl warten musste.  Jetzt gibt man mondän, weltstädtisch und rolltreppig in allerbester Lage in der Fußgängerzone der Neuhauser Straße.
Für den Neubau hat die Firma viel Geld in die Hand genommen, und da das wieder reinkommen soll, wird offensichtlich nur noch auf schnell drehende fashionaffine Ware gesetzt: Modische Sport- und Pseudosportbekleidung, eben alles, was die hippen Münchner für ihren Run im Englischen Garten, Marketing-Tussis im Abnehmwahn im Fitnessstudio, coole Longboarder in der Fußgänger und gestandene Bayernfans in der Allianzarena brauchen. Richtige Sportartikel findet man hingegen weniger, damit lässt sich offensichtlich nicht allzu viel verdienen.
In der Schwimm“abteilung“ frage ich einen Sportfachverkäufer, ob es denn auch Neoprenanzüge zum schwimmen gebe. So abwegig finde ich die Frage nicht, denn das gehörte ja mal zum Sortiment in der Sendlinger. Ich habe halt nur keine finden können.
Der Mann starrt mich an, als ob ich vollkommen verblödet und blind sei. Schließlich befindet sich ein ganzer Ständer mit Billabong Neos direkt hinter mir. Er weist mich darauf hin.
„Zum Wakeboarden, Kiten, Rafting, Stand-Up-Paddling sind die bestimmt ok…“, erwidere ich und mir fällt auf, mit was für Pseudo-Worthülsen diese Trendsportarten alle benannt sind.
„Aber zum richtigen Schwimmen sind die ja wohl kaum geeignet.“ Ich frage ihn, ober er auch Neos von Aquasphere, Sailfisch, Orca oder Aquaman hat. Die Marken sagen ihm offensichtlich nichts.
„Na ja, aber mit denen kann man doch auch schwimmen“, antwortet er trotzig und provoziert mich, das Suffix Sportfach- aus seiner Berufsbezeichnung gleich wieder herauszustreichen.
„Kann man nicht“, gebe ich zurück und versuche ihm, grob den Unterschied zu erklären. Aber es hat keinen Zweck, der Mann ist längst schon wieder dabei topmodische Strandbikinis mit Preisschildchen zu versehen.
„Fragen Sie doch mal eine Etage höher“, meint er noch. „Vielleicht kann man Ihnen bei den Triathlon-Sachen weiterhelfen, die haben das vielleicht.“ So gut also kennt der Gute das Sortiment des Unternehmens, in dem er arbeitet. Offensichtlich gar nicht.
Eine Etage höher gibt’s nur Laufklamotten, Eiweißpräparate und Studiosportswear, vieles in schreienden Farben. Und ich habe keine Sonnenbrille auf. Ich betreibe keinen Triathlon, aber ich bin sicher: Nichts hier hat etwas mit zu Triathlon zu tun… nur mit Posing.
Der Verkäufer, der zu helfen sich mir andient, zuckt nur mit den Achseln, als ich ihn nach Neos frage.
„Neoprenanzüge gibt’s unten, bei der Swimwear…“ – Offensichtlich sieht er in mir einen verwirrten Kunden, der sich im Geschäft verlaufen hat. Sieht doch ein Blinder, dass ich hier falsch bin.
„Die Kollegen dort können Ihnen sicher weiterhelfen.“
„Vergiss es…“ denke ich und gehe. Schon auf der Rolltreppe lasse ich mir mein aktuelles Lieblingsfilmzitat aus Ein Mann namens Ove mehrfach durch den Kopf gehen: Idioten, alles Idioten.
Sollte man viel öfter sagen und nicht nur denken.
Unnötig zu erwähnen, dass der zweite Platzhirsch in der Fußgängerzone, Sport Karstadt, fast das gleiche Sortiment führt: Kaum Sportartikel, aber hunderte von Regalmetern an hipper Laufkleidung, Fußballtrikots aller großen Vereine und angesagte Under Armour Batman- und Superman-Leibchen… aber keine Glattanzüge.Da brauche ich gar nicht erst zu schauen.
Kaum fünf Minuten später bin ich beim dritten, großen Fachgeschäft: Sport Schuster. Bisher hatte der Schuster im Untergeschoss eine Schwimmabteilung, die recht gut sortimentiert war; nicht nur Textilien, auch Brillen, Pullbuyos, Kickboards, Paddles, Rashguard-Shirts… das ganze Geraffel. Sogar Neos gab es. Aber davon ist nichts mehr zu sehen. Alles ist weg.
„Wir mussten unser Sortiment drastisch reduzieren. Wir bauen um“, erklärt mir die freundliche Verkäuferin mit großem Bedauern. Das sehe ich ein.
„Versuchen Sie mal ihr Glück“ im Tauchgeschäft um die Ecke empfiehlt sie mir. „Vielleicht haben die so etwas.“
Ich bedanke mich und versuche mein Glück.
Nett und freundlich werde ich auch dort bedient, aber fündig werde ich nicht. Der einzige Glattanzug, der dort zu erhalten ist, behagt mir nicht. Immerhin hat sie einen. Immerhin. Dass ich den nicht will, dafür kann die Verkäuferin nichts, die sich enorm dankbar zeigt, dass endlich überhaupt mal ein Kunde den Laden betreten hat.
„Vielleicht bei den Kollegen?“ rät sie mir und schickt mich in ein weiteres Tauchsportgeschäft. Auch dort bleibt die Suche ergebnislos. Aber dort empfiehlt man mich weiter zu einem Sportgeschäft am Oberanger. „Vielleicht gibt’s dort welche“.
Von Pontius geht es zu Pilatus.
Nett sind die Verkäufer auch dort wieder, alle haben Herz – aber keine Schwimmneos.
Weltstadt? Lächerlich.
Immerhin registriere ich überrascht, welch große Dichte es an unterschiedlichen Spezial-Sportgeschäften in München im Dreieck der Fußgängerzone, Oberanger und Sonnenstraße gibt. Aber auch am Oberanger führt man nur Neos für Wakeboarder und Co.
„Das wird halt nicht so oft verlangt,“ erzählt Verkäufer Sven und bedauert, mir nicht helfen zu können. Ich könnte mein Glück doch mal im Triathlon Shop versuchen. „Die haben das ganz bestimmt. Wenn nicht die, dann wüsste ich niemanden.“
Also lande ich doch wieder bei Hendrik im Triathlon-Laden. Eigentlich habe ich schon gar keine Lust mehr – aber das ziehe ich jetzt durch. Wäre ja noch schöner. Erfolglose Einkaufstouren verursachen schlechte Laune. Und schlechte Laune braucht auch kein Mensch.Zum zweiten Mal  probiere ich den Aquaman Cell Gold. Dieses Mal einen brandneuen – mit Handschuhen. Das ist cool. Und noch cooler: Er passt als sei er für mich gemacht. Das ist so verführerisch wie die Erkenntnis, dass die Fastenzeit doch etwas gebracht hat, schmeichelhaft ist. Fast hätte ich ihn gekauft.
Aber nur fast. Zunächst habe ich mich zum Neopren-Testschwimmen angemeldet. Das muss sein, außerdem gibt’s dann auch noch Prozente, wenn man dann den Anzug dort kauft. Das ist jetzt der Plan.
Außerdem kann ich mir bis dahin noch überlegen, ob es unbedingt das High End Produkt sein muss, oder ob es das Modell eine Nummer einfacher und rund € 170 günstiger nicht auch tut.
Von fancy Billabong-Wakeboard-Neos fehlt beruhigenderweise in dem Geschäft jede Spur: Man kann eben nicht alles haben.
Neues dazu nach dem Testschwimmen hier :)


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1 Antwort

  1. Ja, ich weiss es ist ein Kreuz, wenn man nicht Mainstream ist.
    Gerade wenn man Dinge sucht, die sonst kein Mensch braucht ist man „offline“ im Einzelhandel verloren.
    Online findet man oft noch Unternehmen, die sich auf Nischen spezialisiert haben und diese dann global bedienen.
    Auch wenn die Nische noch so nischig ist, global gesehen ist sie dann oft doch ein großer Markt.
    Ein Beispiel dafür wäre – um auch mal meine Heimatstadt zu verteidigen – die Plattennadel, ein Laden in der Landwehrstrasse, der auf – wer hätte das gedacht – Plattennadeln spezialisiert ist. Von der Münchner Laufkundschaft könnte er wohl niemals leben, aber der Internetshop macht es möglich.
    Ich denke gerade diese grossen Läden, wie Scheck, Schuster, Karstadt, Hugendubel etc. waren der Untergang des Einzelhandels, nicht die Onlineshops. Kaum jemand würde sein echtes Fachgeschäft, gegen den Onlineversender tauschen, aber ein blödes Warenhaus gerne.
    Verkäufer in echten Fachgeschäften haben mehr Ahnung als der Kunde. Wann ist dir das das letzte Mal passiert?
    Eben! Deshalb kauft man online, schliesslich muss man sich ja auch in Onlineforen beraten lassen …
    Nur keine Skrupel, sie haben es nicht anders verdient. 10 Neos bestellen, 9 zurückschicken, DHL und die Umwelt werden es dir danken!