Spaziergänge (#56): Die Steindlallee in Holzkirchen
Es sind nur 600 Meter, ein fürwahr enorm kurzer Spaziergang die Steindlallee zum Kogl bzw. Kogel oder Kögel in Holzkirchen entlang – ok, dazu kommen wieder 600 Meter für den gleichen Weg zurück. Was die Wegstrecke zwar verdoppelt, aber nach wie vor wäre das als Spaziergang hier nicht weiter erwähnenswert. Wäre es nicht ein recht prominenter Weg im Miesbacher Land, genauer gesagt am Rand der Gemeinde Holzkirchen.
Dort nämlich steht eine wunderschöne Allee aus über hundert Jahre alten Lindenbäumen, oft und gerne im Netz gezeigt und von der Gemeinde wie dem Landkreis voller Stolz immer wieder zum Thema gemacht: Die Steindl-Allee. Eine kleine Sehenswürdigkeit, so könnte man sagen.
Die Allee führt von der Thanner Straße hinter dem neuen Friedhof entlang nach Süden zum Naturdenkmal Kogl, weshalb sie gelegentlich auch Kogl-Allee genannt wird. Oder eben Kogel oder Kögel.
Über hundert Jahre gibt es diese Allee schon, sie geht zurück auf die Initiative von Johann Nepomuk Steindl, der 1878 als Lehrer nach Holzkirchen kam, dort auch Chorleiter der Liedertafel wurde, Organist in der Gemeinde und als Liebhaber von Bäumen zahlreiche Bäume in Holzkirchen pflanzte.
„Die Steindl-Allee erinnert bist heute namentlich an das friedliche und einfühlsamer Werk dieses Naturliebhabers“ informiert mich eine Tafel am Wegrand nahe der Straße. Dabei hatte Steindl die Idee, die Bäume so eng zu pflanzen, dass man als Spaziergänger in Schlangenlinien zwischen ihnen hindurch laufen muss. Dass das heutzutage auch fotografisch spannend ist, konnte er natürlich damals noch nicht voraussehen:
Noch einmal die Info-Tafel zitiert: „Ende des 19. Jahrhunderts pflanzte Lehrer Steindl zusammen mit seinen Schülern diese Lindenallee hinaus zum Kögel. Sie ist vollständig erhalten geblieben und gehört zu den liebenswürdigsten und zauberhaftesten Alleen von Oberbayern.“
Liebenswürdigst und zauberhaftest – zwei Superlative reichen ja wohl als Grund, auf dem Rückweg vom Schwimmen im Hackensee , da haben sich Regen und Gewitterandrohung schon wieder verflüchtigt, in Holzkirchen einen Abstecher zu den Linden zu machen und dort einen kleinen Spaziergang anzuhängen. In der Tat ist der Weg zauberhaft und ganz sicher noch mal einen weiteren Ausflug im Herbst wert, wenn das Laub der Linden sich verfärbt und etwas lichter wird. Vielleicht noch goldenes Abendsonnenlicht und ein Stativ – dann wird es exzessiv mit dem Fotografieren.
Jetzt aber laufe ich sommers in Schlangenlinien, wie es Johann Nepomuk Steidl sich gewünscht hat, erfreue mich der Allee und der Linden. Vollständig erhalten, wie es die in die Jahre gekommene Infotafel erwähnt, ist die Allee nicht, hier und da wurden neue Bäume gepflanzt, wo alte gefällte Lücken hinterlassen haben.
Doch auch an den alten Bäumen wurde ordentlich und fachkundig herum geschnippelt. Schade, dass links und rechts die alten Äste am Wegrand liegen, das macht manch reizvolle Fotoperspektive kaputt, denn ich will die Zweige nicht mit im Bild haben. Es ist schon anstrengend genug, die Allee so zu fotografieren, als sei ich der Einzige, der dort spazieren geht.
Und ganz plötzlich fällt mir deutsches Volksliedgut ein: Kein schöner Land , ein Lied meiner Kindheit, von meiner Oma väterlicherseits geliebt, von uns im Teenageralter gehasst und verachtet. Volkslieder waren für mich spätestens dann der Inbegriff einer heimatümelnden Spießigkeit des biedermeierlichen Kleinbürgertums, eine unsägliche romantische Verklärung und Verkitschung und die Sehnsucht nach der heilen Welt, wenn man zugleich vor der realen mit all seinen Problem die Augen verschließt. Und genau so wurden sie dann auch über einschlägige TV-Formate von Schlagersänger:innen und Chören in die Wohnstuben gespült; oder sie wurden aus den Textheften der Mundorgel selbst gesungen – jenem kleinen, roten Fahrtenliederbuch aus denfrömmelnd-ultrakonservativen Kreisen des CVJM. Kennt das heute noch wer?
Das ist arg ungerecht vielen Liedern gegenüber, die Zeugen ihrer Zeit und deren Befindlich- wie Empfindsamkeiten sind.
Jetzt unter den Linden in Holzkirchen fällt mir die Zeile ein „wo wir uns finden, wohl unter Linden, zur Abendzeit, zur Abendzeit.“ Auch wenn es bis zur Abendzeit noch zwei Stunden hin ist, aber das mit den Linden, das stimmt schon mal. Und das mit dem schönen Land auch. Die Sehnsucht danach, wie auch die nach einer heilen Welt, nach friedlichen Stunden, nach Ruhe und Entschleunigung, die kann ich nachvollziehen.
Da hat Johann Nepomuk Steindl damals weitsichtig schon mal für die Linden gesorgt und ordentlich vorgelegt.
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Hallo Lutz
Wunderbare Bilder und auch der Text zur Entstehungsgeschichte dieser Allee.
Allerdings muss ich vehement deiner Interpretation der Volkslieder widersprechen.
Mag sein dass die heutigen sog. Volkslieder glorifizierenden Kitsch von sich geben, sie gehören nicht zu meinem Gedankengut und auch nicht zu meiner Freizeitgestaltung. Deswegen kenne ich sie nicht und kann sie auch nicht beurteilen .
Aber die Volkslieder, über viele Zeiten entstanden, spiegelten oft die Gegenwart wider, manchmal romantisch, manchmal auch die brutale Gewalt, die schon immer in der Gesellschaft vorhanden war. ( Sabinnchen war ein Frauenzimmer..usw) einschließlich der Moritaten.
Es würde den Rahmen hier sprengen wenn ich alle Aspekte die mir zu Volksliedern einfallen, aufführen würde, aber hier mal Wiki https://de.wikipedia.org/wiki/Deutsches_Volkslied lesen.
Auch Hannes Wader, Franz Degenhardt, Schobert und Black oder Zupfgeigenhansel kann man nicht unbedingt zu friedlichen Volksliedsängern zählen. Wer je die Volklieder von Wader gehört hat wird mir da zustimmen.
Mundorgel und natürlich auch der Bettelmusikant liegen sehr wohl in meiner Liederbuch Schublade und viele Lieder, einschließlich den „Korzliedern“ ,kenne ich noch und habe sie auf der Klampfe gespielt. Und ich war bestimmt nicht im CVJM. Es gab viele Jungendbewegungen die sich das Singen derartiger Lieder zu eigen gemacht hatten/haben. Bestimmt nicht die schlechteste Freizeitbeschäftigung
Wo man singt da lass dich nieder…
LG Kurt