Mediatipps (Teil 3): "Im Zelt" von Wigald Boning

Wigald Boning? Das ist doch der…
Ja genau, der.
Der was?
Eine gute Frage, will man Boning in eine Schublade packen, was nicht zwingend notwendig ist. Einigen wir uns also darauf, dass das genau der ist, den man aus dem Fernsehen kennt.
Oder zu kennen meint.
Denn es gibt eine komplett andere Seite von Boning, die man erst kennenlernt, wenn man seine Bücher liest. Im Zelt gehört dazu, oder auch die Bekenntnisse eines Nachtsportlers über die an dieser Stelle vielleicht auch noch geschrieben wird.
Boning ist in höchstem Maße sonderbar, enorm konsequent, sehr reflektiert, sehr zurückgezogen und willensstark. Er ist, traut man diesem Selbstzeugnis, und warum sollte man das nicht tun, ganz und gar nicht der Clown, der Comedian, der Scherzkeks und Hans-Dampf, der sich für keinen blöden Witz zu schade ist.
Wie sonst käme einer auf die Idee, über 200 Nächste hintereinander allein in einem Zelt zu schlafen?
Mal im Urlaub, mal am Wochenende, mal im Campingplatz oder im Garten – ok. Geschenkt. Aber eine solche Zeitspanne am Stück, das geht nur, wenn man bereit ist, sein Zelt einfach überall aufzuschlagen. Vor allem, wenn man wie Boning, als Künstler viel unterwegs ist, ist das kein leichtes Unterfangen und setztr schon eine gehörige Portion Organisation und Willensstärke voraus.Und so steht das Zelt mal auf dem Balkon eines Hotels, mal auf dem Dach eines Krankenhauses, mal hinter einer Veranstaltungshalle in der Provinz, mal bei einem Veranstalter im Garten, mal mitten im Winter auf Island, mal in den Bergen, mal an einem See – und oft genug in Regen und Schnee. Einmal schafft er es sogar, im Mittelkreis des Bremer Weserstadions im Zelt zu nächtigen, was sicherlich zum einen der Tatsache geschuldet ist, dass Boning ein glühender Fan des Werder Bremen ist, zum anderen, dass er beim Arrangement mit Sicherheit den entsprechenden Promibonus zur Verfügung hatte. Boning ist eben doch Boning und nicht nur Irgendwer.
Ansonsten aber erfährt der Leser erstaunlich wenig über das Leben im Show-Biz. Nicht, dass das ganz ausgespart ist, aber es spielt eben nur eine untergeordnete Rolle. Damit entzieht sich das Buch denen, die auf der Suche nach einem voyeuristischem Blick auf die deutsche Promi-Welt sind – was sicher der eine oder andere Leser bedauern mag, aber er kann ja beim Friseur die Bunte oder Gala lesen.
Das Verführerische an Bonings Büchern ist, dass man, wie schon beim Nachtsportler, meint, Boning von jeder gelesenen Seite zur nächsten immer besser zu kennen, fast als wohne er nebenan, fast als sei es das Normalste der Welt, dass in irgendeinem Hof eines Münchner alten Wohnhauses ein Zelt steht, in dem Nachbar Wigald nächtigt, statt in seiner Wohnung. Das ist natürlich ein Trugschluss, selbst wenn man mit ihm höchstselbst ganz kurze, aber wunderbare Diskussionen auf Facebook anzettlen kann, was mir tatsächlich schon gelungen ist. Von ihm stammt auch dieses wunderbare Wort vom Omabrüsteln (zumindest habe ich es bei Boning das erste Mal gelesen). Seine Idee, während seiner Berliner Theaterzeit die Seen in und um Berlin herum schwimmend zu erkunden, habe ich 2015 abgekupfert und Gleiches mit den Münchner Seen gemacht. Zelten allerdings werde ich sicher nicht. Soweit geht die Inspiration dann doch nicht.
Aber egal. Ich mag seine Bücher, sie sind keine Schilderungen eines verbissenen Prinzipenreiters, der sich etwas in den Kopf gesetzt hat, was er nun auf Teufel komm raus umsetzen und sich selbst beweisen will, dass er dazu in der Lage ist. Eher wie ein neugieriges ‚ich mach das jetzt mal und dann sehen wir, wie weit ich damit komme und was am Ende daraus wird‘.
Viel über dieses Projekt hatte Boning bereits im Vorfeld auf seiner Facebook-Seite veröffentlicht: Bilder von seinem Zelt an allen möglichen und unmöglichen Orten, kurze Textsplitter und Berichte, so dass das Buch eigentlich nur die konsequente Fortsetzung dessen ist, was man – folgt man ihm im sozialen Netzwerk – schon längst mitbekommen hatte und jetzt in gebündelter Form zum Nachlesen in der Hand hält.
Es ist amüsant und lesenswert, und es ist bei aller Chronologie trotzdem so geschickt aufgebaut, dass es auf alle Fragen, die man angesichts dieses skurrilen Vorhabens haben könnte, eine Antwort weiß: Wie ist es mit der Versorgung, wie mit der Körperhygiene? Wie wehrt man sich gegen Kälte, gegen Regen, gegen Schnee? Ist es nicht gefährlich, einfach sein Zelt irgendwo aufzuschlagen? Ist das überhaupt erlaubt?
Was seinem Management bisweilen graue Haare bereitet haben mag, liest sich im Rückblick leicht und unterhaltsam: Boning auf der Parkbank, unter der Rheinbrücke, unter Obdachlosen. Boning auf abgelegenen Wiesen in der deutschen Provinz, Boning im Zelt in den Bergen, im Schneesturm, auf Krankenhausdächern und Hotelbalkons  – nur nicht in den Suiten der Hotels, die für ihn gebucht waren.
Fast wehmütig nimmt man nach 270 Seiten Abschied, eben wie von einem vermeintlich alten Bekannten. Aber Wigald Boning wäre nicht er selbst, wenn er nicht längst etwas Neues im Hinterkopf hat, was er ausprobieren und hoffentlich (!) hinterher zu einem kurzweiligen Buch verarbeiten kann. So lange vergnüge ich mich mit seinen knorrigen Ideen, die er auf Facebook verbreitet. Und gelegentlich kommentiere ich diese und freue mich wie ein kleiner Schneekönig, wenn er tatsächlich darauf antwortet.


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Wigald Boning: Im Zelt: Von einem, der auszog, um draußen zu schlafen
Taschenbuch: 272 Seiten / Verlag: Rowohlt Taschenbuch Verlag / Erschienen am 21. September 2016 / Sprache: Deutsch
ISBN-10: 3499631946 / ISBN-13: 978-3499631948
Taschenbuch: 10.9 € / Kindle-Edition: 9,99


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1 Antwort

  1. Besten Dank für den Lesetipp! Die ‚Bekenntnisse eines Nachtsportlers‘ liegen schon bestellt in der kleinen Buchhandlung des Vertrauens, und allein der Titel hat mich gestern zu einer schönen nächtlichen Trainingseinheit inspiriert! Was will man mehr von Literatur? :-)