Einen Moment innehalten… Zwei Menschen sind verunglückt

Eigentlich war es mein Plan, heute über den Haager Badesee zu schreiben, eine weitere ehemalige Kiesabbaugrube hier in der Region. Hier nachgeholt.
Eigentlich. Statt dessen möchte ich einen Moment inne halten und über die Gedanken schreiben, die mir nicht aus dem Kopf gehen. Zwei Menschen sind gestorben. Am Samstag ein 24jähriger, gestern ein 31jähriger Mann. Ich kannte beide nicht, über ihr Schicksal habe ich nur auf den Online-Seiten der hiesigen Zeitungen gelesen. Der 24jährige ertrank am Samstag im Haager Badesee, wenige Meter vom Ufer entfernt. Trotz intensiver Suche war es nicht möglich, den Ertrinkenden zu finden, zu schnell glitt er nach unten – das aufgewühlte Wasser war unendlich trüb, lese ich in den Medien.

Einen Moment innehalten

Ich kenne die Gewässer der Region, ich weiß, wie chancenlos blind man ist, wenn man den Kopf unter Wasser hat. Kaum 30cm sieht man, oft verschwindet beim Kraulen schon die Handspitze im Grün-Braun des Wassers. Man kann den anderen Badegästen keinen Vorwurf machen, sie hätten helfen können, und den Rettungskräften noch viel weniger. Im Gegenteil: Es ist unglaublich, was diese Menschen ehrenamtlich leisten – ich möchte nicht wissen, wie es ihnen geht, wenn sie nur noch einen Toten aus dem Wasser ziehen können.

Als ich heute zum Haager Weiher komme, steht ein winziges Holzkreuz an der Stelle – eilig angefertigt von den zutiefst schockierten Freunden des Ertrunkenen, nehme ich mal an. Ich weiß es nicht.

Gestern starb ein weiterer Badegast: Ein 31jähriger Mann aus Tansania. Er ertrank vor den Augen eines Freundes im Kronthaler Weiher. Die eilig herbeigerufene Wasserwacht konnte ihn zunächst nicht finden, zu trüb auch hier das Wasser für die Schnorchler. Erst ein Taucher holte den Verunglückten aus etwa 4m Tiefe wieder heraus.
Verstörend ist das Ganze, weil ich gestern genau zu dieser Zeit an den Kronthaler Weiher kam und ein Feierabendründchen schwimmen wollte. Auf dem gegenüberliegenden Westufer sah ich ein Geflirre der Blaulichter der Rettungswagen. Ein Polizeihubschrauber kreiste über dem Weiher, ein Rettungshubschrauber kam. Es hat alles nichts genutzt. Der Mann, so lese ich heute, ist am Ende doch gestorben.

Es ist müßig, darüber zu spekulieren, ob in dem einen Fall Alkohol im Spiel gewesen sein könnte, im anderen das schwimmerische Unvermögen und die brutal steil abfallenden Untergründe in den Kiesgruben für die Unfälle verantwortlich waren. Die Gewässer können so harmlos aussehen, sie sind tückisch – über 80 tödliche Badeunfälle gab es 2017 in Bayern. Das ist tragisch.

Wie gesagt – ich kannte beide Menschen nicht, aber ich kenne die Gewässer, in denen sie ertrunken sind, den Haager Badessee flüchtig, dafür den Kronthaler Weiher umso besser.
Und was mir nicht aus dem Kopf will: Am Sonntag zwischen den beiden Unglücken war ich mit meinem „Schwimmschüler“ auch am Kronthaler Weiher. C., der passabel schwimmt, war aber noch nie im Leben im Freiwasser. Noch nie ist er mehr als 50m in einem See oder Weiher geschwommen, dort, wo er nicht stehen kann, dort, wo er keinen Grund unter den Füßen spürt, wo es keinen rettenden Boden oder Beckenrand gibt. Angespannt war er, enorm angespannt. Ich habe viele, zugegeben schale, schlechte Witze darüber gemacht und ein albernes Spiel mit seiner Angst gespielt. Wie peinlich.
Ich habe C. dazu gebracht, zwei mal rund 220 Meter zu schwimmen. Keine Sekunde habe ich ihn aus den Augen gelassen, ich habe ihm meine Safer-Swim geliehen, und es war richtig so. Keine Sekunde hat er gezögert, sich die Boje um den Bauch zu schnallen, und ohne die wären wir auch nicht aufgebrochen. Wenn ich ihm eines beigebracht habe, dann ist es, Respekt vor dem Wasser zu haben. Das zahlt sich nun aus.

Als ich am Montag am Ostufer des Weihers saß, gehörte ich zu den wenigen, die nicht das Handy zückten, keine Fotos von den Hubschraubern und dem Rettungseinsatz machten. Stattdessen schaute ich in die Abendsonne und hing ich meinen Gedanken vom Vortag nach.
War das Schwimmen mit C. richtig? Habe ich die Gefahren richtig eingeschätzt? Hätte ich im Falle eines Falles wirklich gewusst, was zu tun ist? Oder war es Leichtsinn?
Nein – ich denke nicht. Die Boje hat nicht nur Sicherheit vorgegaukelt, sie liefert sie auch, wenn es darauf ankommt.
Es war alles, wie man so schön sagt, im grünen Bereich.
Am Samstag und am Montag war es bei den beiden Ertrunkenen leider nicht. Sie haben ihren Ausflug in den Badesee mit dem Leben bezahlt…
Es gilt, inne zu halten. Wenigstens einen Augenblick. Und sich selbst immer wieder daran zu erinnern, Respekt vor den Seen und Weihern zu haben, in denen ich schwimme. Und wenn ich noch so oft im Kronthaler Weiher meine Runden drehe…

Mögen die beiden Verunglückten in Frieden ruhen.


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2 Antworten

  1. Ich denke ja schon seit längerem darüber nach, mal einen Rettungsschwimmerschein zu machen – weil ich auch desöfteren in unbewachtem Gewäser schwimme und dann einfach wenigstens ein klein wenig wissen möchte, was ich im Falle eines Falles tun kann. Vielleicht war der Post hier jetzt der letzte Anreiz, den es brauchte,

  2. Martin G. sagt:

    Beklemmend ist es immer wenn das Wasser, eigentlich die Quelle aller Lebensformen, Leben fordert. Wer selbst schon einen Ertrinkenden gerettet hat, weis wie filigran die Schwelle ist. Kein Hilfeschrei, kein wirres Wasserklatschen, von fuchtelten Armen machen einen aufmerksam. Der „Wassertod“ kommt oft leise. Nur ein sensibler Blick, die merkwürdigen Bewegungen eines Kollabierenden, zu erkennen, rettet. Und Zeit hat man dann überhaupt nicht mehr…das Richtige zu tun…auf die Gefahr hin selbst in Gefahr zu kommen ist dann Intuition und Anwendung des erlernten…es gibt einfach zu wenige Rettungsschwimmer…für ambitionierte Openwater Schwimmer eigentlich ein MUSS. Einmal die Pizzeria eingespart. Einige Stunden lernen und etwas Bemühen…und das Know how zum Wasserretter ist intus. Das bleibt dem Individuum. Klar, und der immer währende Respekt vor dem „geliebten Nass“….