Balladenmontag: Des Schneiders Höllenfahrt
Und da ist er wieder, der Balladenmontag. Einmal mehr ruft Christiane, die das Blog „Irgendwas ist immer“ betreibt, andere Blogger:innen dazu auf, auf ihren Webseiten Balladen zu veröffentlichen. Ich finde das eine schöne Idee, zumal es mehr Literatur und Lyrik, damit Poesie und Kultur in die (Blog)-Welt bringt.
Ausgewählt dieses Mal habe ich die Ballade von des Schneiders Höllenfahrt – zu finden unter anderem in Des Knaben Wunderhorn, einer Sammlung von Volksliedtexten, die Achim von Armin und Clemens von Brentano 1805 bis 1808 veröffentlichten. Streng genommen ist es also gar keine Ballade sondern ein Volksliedstext, der Verfasser ist unbekannt, der Titel unsicher, in unterschiedlichen Textquellen des 19. Jahrhunderts finden sich unterschiedliche Fassungen.
Hier also der Text und weiter unten schildere ich der Grund für diese Wahl, wie ich auf diesen Text gestoßen bin.
DES SCHNEIDERS HÖLLENFAHRT
Es wollt ein Schneider wandern,
Am Montag in der Fruh,
Begegnet ihm der Teufel,
Hat weder Strümpf noch Schuh‘:
He, he, du Schneiderg’sell,
Du mußt mit mir in die Höll,
Du mußt uns Teufel kleiden,
Es gehe wie es wöll.
Sobald der Schneider in die Höll kam,
Nahm er seinen Ehlenstab,
Er schlug den Teuflen Buckel voll,
Die Hölle auf und ab:
He, he, du Schneidergesell,
Mußt wieder aus der Höll,
Wir brauchen nicht zu messen;
Es gehe wie es wöll.
Nachdem er all gemessen hat,
Nahm er seine lange Scheer
Und stuzt den Teuflen d‘ Schwänzlein ab
Sie hüpfen hin und her.
He, he du Schneiderg’sell,
Pack dich nur aus der Höll,
Wir brauchen nicht das Stuzen,
Es gehe wie es wöll.
Da zog er’s Bügeleisen raus,
Und warf es in das Feuer,
Er streicht den Teuflen die Falten aus,
Sie schrieen ungeheuer:
He, he du Schneiderg’sell,
Geh du nur aus der Höll,
Wir brauchen nicht zu bügeln,
Es gehe wie es wöll.
Er nahm den Pfriemen aus dem Sack,
Und stach sie in die Köpf,
Er sagt, halt still, ich bin schon da,
So sezt man bei uns Knöpf:
He, he, du Schneiderg’sell,
Geh einmal aus der Höll,
Wir brauchen nicht zu kleiden,
Es geh nun wie es wöll.
Drauf nahm er Nadl und Fingerhut,
Und fängt zu stechen an,
Er flickt den Teufeln die Naslöcher zu.
So eng er immer kan:
He, he, du Schneidergesell,
Pack dich nur aus der Höll,
Wir können nimmer riechen,
Es geh nun wie es wöll.
Darauf fängt er zu schneiden an,
Das Ding hat ziemlich brennt,
Er hat den Teuflen mit Gewalt
Die Ohrlappen aufgetrennt:
He, he, du Schneiderg’sell,
Marschir nur aus der Höll,
Sonst brauchen wir den Bader,
Es geh nun wie es wöll.
Nach diesem kam der Lucifer,
Und sagt: es ist ein Graus,
Kein Teufel hat kein Schwänzerl mehr,
Jagt ihn zur Höll hinaus:
He, he, du Schneiderg’sell,
Pack dich nur aus der Höll,
Wir brauchen keine Kleider,
Es geh nun wie es wöll.
Nachdem er nun hat aufgepackt,
Da war ihm erst recht wohl,
Er hüpft und springet unverzagt,
Lacht sich den Buckel voll,
Ging eilends aus der Höll,
Und blieb ein Schneiderg’sell;
Drum holt der Teufel kein Schneider mehr,
Er stehl so viel er wöll.
Des Schneiders Höllenfahrt kannte ich bis vorgestern gar nicht. Ich entdecke es in einem kleinen Büchlein mit Liedern, das ich ein paar Tage zuvor in Strasbourg bei einem Bouquinisten gekauft habe. Der Zupfgeigenhansl ist ein kleines Wander- und Fahrtenliederbuch, ähnlich wie die Mundorgel, stammt aber aus der Wandervogelbewegung mit zentralem Sitz Leipzig. 1909 erschien es zum ersten Mal, 1913 schon in elfter Auflage. Die Einträge auf der ersten Seite verraten, dass es einst einem Hans Ungerer gehört hat, wohnhaft in der Baldungstraße 2 in Strassburg/Els. Gestempelt ist es zudem von der Musikalien & Instrumente Leihanstalt Hug & C, Piano und Harmoniums.
Ich bin nun weder ein Wandervogel noch ein singender Gesell, doch dieses Büchlein hat es mir angetan. Also kaufe ich es, blättere darin und finde nicht mal 10% mir vertrauter Lieder. Das überrascht mich dann doch ein wenig, ich erkenne schnell, dass der Autor damals sehr stark regional gefärbte Lieder gesammelt und veröffentlicht hat, viele in Dialekten, regionaler Sprache, einige in Platt. Das unterscheidet die Sammlung wesentlich von der Mundorgel, dessen Liedgut wesentlich weiter verbreitet und bekannter ist.
So wird mir das kleine Buch zur Entdeckung dienen, zum schmökern und gelegentlich zum Entziffern von Texten, die ich zweimal oder mehr lesen muss, weil die alten Dialekte wie das Platt mir wenig vertraut sind und gesprochenes zum geschriebenen Übertragenes nun vom Gelesenen erst zum leise Gehörtem zurückgebracht werden muss. Denn das gedruckte Wort entschlüsselt sich manchmal nur so. Es wird spannend.
Des Schneiders Höllenfahrt finde ich im Zupfgeigenhansl nicht in der Rubrik Balladen sondern eingeordnet im letzten Block, der mit Schnurren überschrieben ist. Schon dafür liebe ich dieses Buch. Schnurre als literarische Gattungsbezeichnung – wann ist mir das das letzte Mal untergekommen?
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Toll! Die Überschrift sagte mir ebenfalls nichts, aber meine Überraschung war groß, als ich zu lesen begann und feststellte, dass ich das als Lied kenne und als Kind/Jugendliche selbst gesungen habe und noch singen könnte. Danke – keine Ahnung, wann ich das letzte Mal daran gedacht habe :-D
Mir ist der Zupfgeigenhansl ein Begriff und ich habe früher als Chormitglied die Mundorgel leer gesungen. Was für eine schöne Entdeckung du da gemacht hast, ich hoffe, du hast viel Freude daran!
Danke, dass du wieder dabei warst!
Vormittagskaffeegrüße 🌥️🍃🍂☕
Da hast du ja ein richtiges Juwel gefunden. die gleichnamige Band hatte sich danach benannt und war in den 70er Jahren nicht ganz unbekannt.
Ach wie schön. Dieses Lied habe ich viele Jahre auf meine „Quetsche“, einer kleinen Concertina, gesungen. Kennengelernt habe ich es bei einer Session der Gruppe Schnappsack ca. 1978/79 im Wildbad Burgbernheim (https://youtu.be/b15TR38xYtY).
Lutz und die Volkslieder ! Jetzt bin ich aber platt. Hatte ich doch in einem der vorhergehenden Blogs so gar nichts Gutes über sie gelesen. Freut mich sehr, dass du doch Einige als gelungen und erzählbar gefunden hast.