Insektenkunde – ungewollt

Als unverbesserlicher, soziopathischer Misanthrop weiß ich schon im Vorfeld: Das wird Ärger geben.
Dabei habe ich mir extra den Donnerstag ausgesucht, um nach langer Zeit mal wieder in Markt Schwaben schwimmen zu gehen. Zum einen ist der Anfahrtsweg zu diesem Schwimmbad doch etwas kürzer als nach Erding. Die eingesparten 10 Minuten (mindestens, wenn sich kein mautprellender LKW sich über die Verbindungsstraßen quetscht, statt auf der Autobahn zu bleiben) kann ich gewinnbringend in Bahnen umsetzen. Außerdem lockt in Erding verführerisch das Dampfbad, da schneidet man gern mal hinten 10 oder 20 Bahnen von der geplanten Schwimmeinheit ab.
Also wieder mal Markt Schwaben. Der Donnerstag war bisher der einzige Abend, an dem die Sportbahn für vereinslose Schwimmer zur Verfügung stand und ich hoffe, das ist auch diese Saison so. Das Schild am Eingang bestätigt meine Vermutung. Alles wird gut…
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Oder auch nicht.
Im Bad erlebe ich eine kleine Überraschung: Sechs oder sieben kampfkraulende Vollgasschwimmer tummeln sich auf der Sportbahn, das Wasser brodelt förmlich. Mir ist das zu voll. Im Restbecken sind aber auch nicht mehr als sechs oder sieben Schwimmer. Das heißt: Ich fange mal hier an. Ohnehin will ich heute mal etwas umfangreicher Brustschwimmen, da bin ich auf der Sportbahn sowieso fehl am Platz.
Notonecta_glauca1Bahn 2 ist relativ leer, um nicht zu sagen: Sie ist frei. Also werde ich mich dort aufhalten. Kaum, dass ich die ersten 300 Meter absolviert habe, klatscht mir fast ein Handrücken auf den Kopf. Ich kollidierte mit Notonecta glauca, einem unglaublich großen, voluminösen Exemplar des Gemeinen Rückenschwimmers, wie mich Wikipedia aufklärt. Das besondere Kennzeichen dieser Art wie auch der weiteren Vertreter der Rückenschwimmer ist, dass sie stets mit der Bauchseite nach oben schwimmen. Diese auffällige Schwimmposition resultiert aus dem bauchseits am Hinterleib mitgeführten Luftvorrat, lese ich später im Netz über die Wanzenart , die es normalerweise auf eine Körperlänge zwischen 13,5 und 16 Millimeter bringt. Dieses Exemplar, offensichtlich ein Weibchen, bringt es auf mindestens 1,60 und geschätzt auf rund 50 kg oder mehr. Auch sonst stimmt die Beschreibung der Insekten auch nicht so ganz, aber die Phantasie biegt das schon gerade: Die Bauchseite ist flach. Die Rückenseite ist bootsförmig gewölbt… Die Hinterbeine sind durch Schwimmhaare, die sich beim Schwimmen automatisch auffächern, gekennzeichnet. Die Insekten schwimmen in Rückenlage, da der größte Teil der Atemluft auf der Unterseite des Hinterleibes in zwei, jederseits mit dichten Haarreihen besetzten Luftrinnen gehalten wird.
Klingt gut, oder? Ab sofort bin ich ein Fan der Entomologie. Zwar hab ich es nicht unbedingt so mit Insekten und deren Erforschung, aber die Vergleiche sind so schön inspirierend. Ob das Markt Schwabener Rückenschwimmer-Wanzen-Weibchen auch behaarte Luftrinnen auf der Unterseite hat, kann und will ich trotzdem nicht erforschen. Zumindest offensichtlich ist, dass die Schwimmhaare an den Beinen fehlen, aber das heißt ja nichts, Gilette Venus macht’s ja möglich.
Nach ein paar weiteren Bahnen wird die meinige plötzlich von vier Mitschwimmern in Beschlag genommen. Zwei Ehepaare, von denen die Männer mehr gyrinuskreuz als quer schwimmen, und ihre plaudernden Gattinnen haben sich ausgerechnet diese Bahn ausgesucht. Die Gattinnen erinnern mich – auch hier bediene ich mich der Entomologie – an Taumelkäfer: Die Taumelkäfer, auch Dreh- oder Kreiselkäfer (Gyrinidae), sind eine Familie der Käfer. Sie leben auf der Oberfläche von Gewässern, wo sie in extrem schnellen Kreis- oder Spiralbewegungen umherschwimmen… Die Tiere leben oft gesellig (Schwarmbildung, oft mehrere hundert, auch mehrerer Arten) an der Oberfläche (Körperunbenetzbar) von stehenden und mäßig fließenden Gewässern… Die Käfer bewegen sich, besonders bei Sonnenschein, rasant kreisend mit einer Geschwindigkeit bis zu 50 Zentimetern pro Sekunde und sind gute Flieger. Die ungerichtete „taumelnde“ Bewegung der Käfer auf dem Wasser entsteht durch ihr Unvermögen die Ruderbeine beiderseitig völlig simultan zu bewegen.
Zwar stimmt das mit der Geschwindigkeit nicht so ganz, aber das mit den ungerichteten Bewegungen kommt schon hin. Um dem kleinen kreisenden Schwarm effizient auszuweichen, muss ich ganz schön zick-zackig schwimmen. Das macht aber, da ich mittlerweile auf Kraul umgestiegen bin, wenig Spaß. Ich muss was tun. Und da brauche ich gar nicht erst die Probe aufs Exempel zumachen, ich weiß auch so, dass ich die Bahn wechseln muss, denn bekanntlich gibt der Klügere nach. Also ich. Denn ich bin der Klügere. Sogar der Gemeine Rückenschwimmer scheint intellektuell den Käfern überlegen, denn auch das Weibchen orientiert sich neu und weicht dem Käfertrupp aus.
Ein wenig frage ich mich allerdings schon, als ich mich zum Beckenrand hin abdrängen lasse, warum es so viele Menschen gibt, die ohne Rücksicht auf irgendwen einfach das „Platz da, jetzt schwimme ich“ Prinzip verfolgen. Sie tauchen auf und ohne sich vorher etwas zu orientieren, wo man im Becken seinen Platz finden kann, ohne andere zu verdrängen, sind sie plötzlich mitten auf der Bahn. Und erstaunlicherweise ist es fast immer die gleiche Klientel, die sich einfach irgendwo dazwischen schiebt: Menschen mit Insektenhirnen!
Und ganz nebenbei: Über die Tatsache, dass es unter den Taumelkäfern die Art Gyrinus urinator gibt, möchte ich mir lieber gar nicht erst Gedanken machen, schon gar nicht in diesem Blog. Das Ganze erschreckt mich nur, wenn ich versuche, dies auf die menschlichen Taumelkäfer im Schwimmbad zu übertragen… Nein, ich will nicht wissen, wie diese Käfer zu ihrem Namen kamen, und noch weniger, warum. Und ich will auch nicht wissen, ob der kleine Schwarm, der mir im Weg rumkreiselt vielleicht auch… NEIN! NEIN! Auf diese entomologische Feldforschung kann ich eigentlich getrost verzichten.

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Copyright der Insektenfotos: Wikipedia, Rückenschimmer-Foto: Holger Gröschl

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