Herr P. und der Stress

Wenn es etwas gibt, was Herr P. so gar nicht ausstehen kann, dann ist das zu viel Stress im Alltag. Nicht, dass man ihn einen besonders gemütlichen, fast von stoischer Ruhe beseelten Gesellen nennen könnte, aber Stress gehört trotzdem nicht zu den Dingen, die er besonders schätzt.
Wer tut das schon?
Umso absurder ist, dass er sich seinen Stress selbst macht. Nehmen wir zum Beispiel den Stress im Wasser.
Herr P., für den sich das örtliche Hallenbad mittlerweile zum zweiten Wohnzimmer verwandelt hat, muss es immer übertreiben. Nicht nur, dass er hochnotpeinlich Buch darüber führt, wie viele Kilometer er im Jahr schwimmt: Er bricht das auch auf das prozentuale Verhältnis zwischen See, Meer, Frei- und Hallenbad herunter, weiß wie viele Kilometer er durchschnittlich pro Tag und pro Schwimmbadbesuch bewältigt, wie oft er im Monat dort war und so weiter…
Das fordert heraus. Die Werte des Vormonats wollen schließlich übertroffen, zumindest aber gehalten werden. Und die exakte Buchführung macht Schummeleien unmöglich, es sei denn, Herr P. schummelt bewusst und absichtlich. Aber das tut er nicht.
Das allein macht die Buchführung den Stress nicht aus. Nachdem er mittlerweile bei 116,58% von seinem im Vorhahr definierten Jahresprogramm für 2015 angelangt ist und selbiges noch nicht zu Ende ist, muss ein neuer Stressfaktor her:
Schwimmen auf Zeit.
Nun ist Herr P. keine große Sportskanone, was heißt: Er ist zwar ein leidenschaftlicher, aber kein besonders schneller Schwimmer.
Das muss besser werden. Also geht Herr P. noch öfter schwimmen und schaut jetzt immer auf die große Uhr an der Hallenwand. Nicht, dass er nicht auch eine Uhr hätte, die er am Handgeleng tragen könnte und die sekundengenau die Zeit nimmt… die hat er, aber die benutzt er nicht. So weit ist er noch nicht.
Dann gibt er Vollgas und ist zutiefst betrübt, dass er es wieder nicht geschafft hat, eine verdammte Minute schneller zu sein als am Vortag. Dabei ist er insgesamt doch schon 5 oder 6 Minuten schneller als noch vor einem Jahr, das könnte ihn doch positiv stimmen. Tut es aber nicht. Es geht um die erbärmlichen 2-3 Minuten, die er bei der Gesamtzeit seiner Meinung nach zu lange unterwegs ist.
Eine elendige Hetzerei ist das – und Stress pur.
Er hängt sich an schnellere Schwimmer, lässt sich ziehen oder eben schieben, wenn so ein Crack ihm an den Fersen klebt. Aber je schneller er wird, umso schneller läuft auch die Uhr.
„Heute“, so sagt er, „knacke ich die magische Grenze“. Er versagt sich den Blick auf die große Wanduhr, dann aber schielt er doch. Er ist entsetzt, wie langsam er wieder ist – so wird das nie was. Er rechnet hoch: Keine Minute wird eher schneller sein, wenn er seine Strecke beendet hat. Eher noch langsamer.
Verflucht… verflucht… verflucht.
Stress im Wasser
Noch schlimmer als das Rennen gegegen die verrinnende Zeit ist der hoffnungslose Kampf gegen die Kassiererinnen im Supermarkt. Seit er vor längerer Zeit mal im Blog des Berliner Kiezneurotikers davon gelesen hat, versucht er es auch: Die Ware schneller in den Einaufswagen zu räumen, als es die Kassiererin sie vom Förderband über den Scanner ziehen kann und dann dahinter abstellt.
Er weiß, dass er keine Chance hat. Selbst, wenn er zwei oder drei Artikel gleichzeitig grabscht und in den Gitterwagen wirft, während sie jeden Artikel einzeln scannt, sogar Obst an der Kasse wiegt: Sie ist einfach viel zu schnell. Das stresst. Unendlich. Der Erfolg wird ihm nie vergönnt sein. Dabei möchte er doch den Beweis antreten, dass es prinzipiell möglich ist und damit den Berliner Blogger widerlegen.
Ist es aber nicht. Probieren Sie es selbst aus.
Nun sind die Kassen so gebaut, dass nicht zwei Leute parallel abräumen könnten. Aber selbst wenn es so wäre: Eine geschulte Discounter-Kassierin nimmt es auch mit zwei Personen gleichzeitig auf. Das wäre ja gelacht.
Zack, zack, zack,  sind die Artikel gescannt und türmen sich hinter dem Glasfeld auf. Und Herr P. räumt und räumt und räumt – und verliert. Selbst, wenn er die Artikel ohne Rücksicht auf Verluste in den Wagen donnert: schwere Äpfel auf den zarten Rucola, fragile aluminumbedeckelte Kühlregalprodukte und dann spitzeckige Kartonagen oben drauf, die die Deckel beschädigen könnten, wird er es nicht schaffen. Noch während er schichtet und räumt, dringt es an sein Ohr „Deuschlandcard“oder „Payback“, je nachdem, wo er gerade eingekauft hat. Das heißt: Die Kassiererin ist fertig, setzt eine mechanische Frage nach, betet den Preis herunter und trommelt leise mit den Fingern, er solle sich jetzt mal beeilen.
Noch immer stehen drei Stücke Butter, ein Beutel Mandarinen, eine Flasche Olivenöl und eine Dose Tomatenstückchen hinter dem Scanner, die noch in den Wagen geräumt werden müssen.
Wielch Schmach. Wie soll Herr P. denn jetzt EC-Karte und Punktesammelkarte rausholen? Er muss doch erst noch fertig einräumen.

Stress im SupermarktEinmal hatte er die Idee, eine Klappkiste aus dem Kofferraum mit in den Supermarkt zu nehmen und in den Einkaufswagen zu stellen. Das spart das weitere Umräumen: Es ist so clever, einfach die Waren an der Kasse gleich in die Kiste und selbige in den Kofferraum heben. Viele Kunden machen das.
Er aber macht das nie wieder. Denn das potenziert den Stress nur noch weiter. Denn, so hat er gelernt, die Waren kommen auf dem Förderband nicht so an, wie er sie in die Kiste räumen will: Platzsparend und ausbalanciert, das Schwere auf die Ecken verteilt und nach unten. Daran ist er natürlich selbst Schuld. Er hätte sie ja gleich so auf dem Förderband platzieren können. Schön sortiert: Mit viel Logik und noch mehr Bedacht. Sonst passt am Ende gar nicht alles hinein in die Box.
Die Kunden hinter ihm hätten es ihm gedankt, wenn er am Förderband anfängt, die Waren zu sortieren statt sie einfach darauf zu legen.  – und die Kassiererin hätte vermutlich trotzdem alles durcheinander über den Scanner gezogen. Und außerdem kommen die Waren schneller, als er sie schichten kann. Es ist doch immer das Selbe…
Herr P. hat’s schon schwer.
Mimimi.


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2 Antworten

  1. AP sagt:

    …. und in jedem von uns steckt so ein bißchen ein Herr P

  2. Monika sagt:

    mein Mann raunzt die Kassiererin einfach an und gibt sich als seniler Rentner aus, das macht ihn dann noch langsamer und er sortiert vorher wirklich auf dem Fließband den Einkauf zur besseren Verpackung in seinem Einkaufskorb. Ich muss zurückhaltend lächeln und zücke dann ganz langsam und genüsslich die Creditkarte mit dem Hinweis, dass ich keine Herzchen sammele. So macht uns das Kassensystem Spaß.

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