Song of Joy
Während ich am Rechner sitze, lasse ich Youtube im Autoplay Songs runterdudeln. Und plötzlich kommt ein Titel, der lange vergessene Kindheitserinnerungen reaktiviert: Song of Joy. Den muss man heutzutage nicht (mehr) kennen, kann man aber. Dieses Lied an die Freude, weckt viele Erinnerungen – weniger freudige, denn der Song verursachte bei meiner Großmutter genau das Gegenteil:
Für meine Oma war Beethoven ein Gott… unantastbar, unfehlbar. Er war sozusagen der Nabel der klassischen Musik, seine 9. Symphonie war der Brilli in diesem Nabel, und der Schlußsatz, die Ode an die Freude nach Schillers Versen, war sozusagen der Kohleeinschluss im Brilli im Nabel. Das höchste an Kultur, was jemals geschaffen worden war: Nicht nur in Deutschland – dass das in Wien und daher mitnichten in Deutschland war, spielte für sie keine Rolle, wie kann man so pingelig sein? Das galt weltweit.
Und dann kommt so ein spanischer Banause namens Miguel Rios daher, macht eine Popversion aus dieser unsterblichen Melodie, mixt Schlagzeug mit Klassik, seinen Gesang mit Chor und schießt sich damit sogar in die deutschen Charts auf Platz 1. Ein ungeheures Sakrileg, ein Verbrechen. So geschehen im August 1970.
„Raubbau an der Hochkultur, eine Verhunzung… schrecklich“, so zeterte meine ein wenig dünkelhafte Großmutter, wann immer sie Miguel Rios: Song of Joy im Radio zu hören war. Und das war oft.
Noch öfter aber lief bei uns daheim die Single, die meine Mutter gekauft hatte. Denn im Gegensatz zu ihrer Mutter, also meiner Oma, war sie hellauf begeistert, sie schwärmte für das Lied und den Sänger. Und sie nahm das nicht so verbissen.
Während also daheim Song of Joy in Endlosschleife (was bei dem guten Dual-Plattenspieler durchaus möglich war) lief, legte meine Oma nach, wann immer die Sprache auf darauf kam: „Und dann singt der das auch noch in englisch. Schiller dreht sich im Grabe um.“ Dass es den Titel auch in spanisch, der Sprache des Sängers gab, wusste sie nicht, das hätte sie vermutlich vollends aus der Fassung gebracht. Schiller wieder weniger. Der war ja schon 165 Jahre tot und Beethoven zwar nicht ganz so lang, dafür war er ja stocktaub und hätte Miguel Rios also so oder so nicht hören können.
Aber meine Oma konnte meiner Mutter den Song of Joy, bei dem sie öfter mal ein Tränchen verdrückte, nicht madig reden.
Genauso wenig wie 12 Jahre später die LP Rock Classics von Peter Hofmann, die ich geschenkt bekommen hatte. Natürlich hatte meine Oma langfristig damit recht, dass sich Hofmann, so wie sie damals sagte, mit seinen Versionen von Sailing, Yesterday und The House of the Rising Sun sowohl die Stimme als auch die Karriere als gefeierter Star-Tenor in Bayreuth kaputt machte.
„Wie kann der nur…“ Für sie war es der Verrat an der Kunst. Und da kannte sie weder Toleranz noch Pardon.
Aber ihre Empörung konnte Hofmann nicht davon abbringen, auch weiter Popballaden zu singen und damit aufzutreten. Als er als Phantom der Oper endete, triumphierte meine Oma.
„Da sieht man es ja Das hat er jetzt davon. Was hätte aus dem nicht alles werden können. So ein begnadeter Wagner-Tenor. Und dann singt der Schlager…“
Nicht weniger hart traf es sie, als meine Frau, die sie damals noch nicht war, und ich uns unsere erste Wohnung einrichteten und uns in einer Galerie ein Beethoven-Portrait von Andy Warhol kauften und rahmen ließen – natürlich kein Original, aber selbst der Kunstdruck mit Rahmen sprengte damals unser Budget und fast auch unsere kleine Wohnung.
Trotzdem: Das Bild musste es sein – kein anderes. Es gefiel längst nicht allen. Uns schon.
Meine Oma hat es gehasst: „Wie kann man Beethoven nur so verunstalten…“ Von moderner Kunst hielt sie und verstand sie wohl auch wohl nicht viel…
Da Weihnachten vor der Tür steht, folgt hier der vollständige Text des Song of Joy. Der Text ist viel schöner und weihnachtlich-erbaulicher als der von Last Christmas:
Come, sing a song of joy / For peace shall come, my brother /
Sing, sing a song of joy / For men shall love each other /
That day will dawn just as sure / As hearts that are pure / Are hearts set free /
No man must stand along / With outstretched hands before him
Reach out and take them in yours / With love that endures / Forever more
Then sing a song of joy / For love and understanding
Come, sing a song of joy / Of freedom, tell the story
Sing, sing a song of joy / For mankind in his glory
One mighty voice that will bring / A sound that will ring / Forever more
Then sing a song of joy / For love and understanding
Come, sing a song of joy / Of freedom, tell the story
Sing, sing a song of joy / For mankind in his glory
One mighty voice that will bring / A sound that will ring / Forever more
Then sing a song of joy / For love and understanding
Sing, sing a song of joy / For mankind in his glory
Hören können Sie den Song hier: Miguel Rios – Song of Joy
FROHE WEIHNACHTEN – LIEBE LESER.
Vielen Dank fürs Lesen.
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