Weil Sale ist… und ich eine Jeans brauche
Nein, früher war nicht alles besser. Aber vieles anders, vieles übersichtlicher. Es gab einen Sommer- und einen Winterschlussverkauf, die Termine waren bekannt, an denen man sich in den Kaufrausch begeben und die Textilgeschäfte stürmen konnte. Heute heißt das Ganze Sale, ist zeitlich undefiniert, denn irgendwer verkauft irgendwo irgendwas immer zum absoluten Sonderpreis. Super Sale, Power Sale, Final Sale… bla bla bla
„Alles muss raus!“ heißt es oft und ich frage mich, wie idiotisch dieser Slogan ist, denn der Handel lebt doch davon, möglichst alle Ware immer zu verkaufen und nicht zu bunkern.
Permanenten Sale bieten die Verkäufer von Lager- und Überbeständen, die das Zuviel an Ware aufkaufen, über ihre Filialen verteilen und dort zu absoluten Schnäppchenpreisen anbieten. Ist nicht immer das allerneueste Design – aber mal ehrlich: Zum Beispiel bei Badehosen ist das ziemlich egal, und technisch entwickelt sich ein Textil auch nicht so signifikant weiter, dass man nicht auch ein Modell kaufen könnte, dass man es im Jahr darauf nicht mehr tragen könnte. Vor allem nicht, wenn die technische Raffinesse vollkommen irrelevant ist im Zusammenhang dessen, wie ich eine solche Hose nutze.
Gelegentlich fällt bei der Gelegenheit auch ein Blick auf andere Produkte und so finde ich mich unversehens an der Kasse einer Kaufhauskette in der Schlange wieder, habe eine Packung Strümpfe und eine Jeans in der Hand. Ein wahres Schnäppchen natürlich. Wie halt alles, was man dort kauft. Bei denen ist nämlich immer Sale.
„Kasse 1 bitte“ scheppert es aus einem Lautsprecher, ich trete vor und lege meine Ware auf den Tresen. Während die Verkäuferin die Sicherungsetiketten entfernt, fragt sie mich: „Haben Sie die Hose anprobiert?“
„Ja“, antworte ich. „Natürlich!“ Mich irritiert die Frage etwas, sie wurde mir in einem solchen Moment noch nie gestellt. Warum will die Frau das wissen? Meint sie, die Hose steht mir nicht? Passt mir nicht? Ich wäre zu alt/jung/dick/dünn/groß/klein… dafür?
Frau! Was erlaube? Was gehe dich an, ob ich Scheiße in Hose ausschau?
„Dann ist es gut!“ antwortet sie und nestelt weiter an den Plastikstücken herum, die sich irgendwie nur schlecht aus der Hose entfernen lassen.
„Und wollen Sie die behalten oder später umtauschen?“
Jetzt bin ich vollkommen verwirrt.
„Natürlich möchte ich sie behalten!“ erwidere ich. „Dafür kaufe ich sie ja!“
„Dann kann ich das Etikett ja jetzt entfernen!“
Sie hat das Plastikstück, das schrill Alarm auslöst, wenn es den Laden am Objekt verlassen sollte, mittlerweile in einer Öffnung auf den Tresen versenkt und zückt eine Schere.
„Wirklich?“ fragt sie noch einmal.
„Ja, wirklich,“ antworte ich und sie schneidet routiniert wie eine Hebamme, die einen Säugling abnabelt, das Band eines weiteren Etiketts ab.
„Warum sollte ich die schließlich auch umtauschen? Ich kaufe die Jeans ja, um sie zu tragen.“
„Sie glauben gar nicht, wie viele Leute später wiederkommen und die gekaufte Ware umtauschen“, erklärt sie mir, während sie mit dem Scanner die Ware erfasst. „Daher fragen wir jetzt, bevor wir die Warenetiketten entfernen.“
„Aber das ist doch – Entschuldigung – bescheuert. Warum sollte man das tun? Wenn die Hose nicht passt, merke ich das doch gleich hier im Laden bei der Anprobe. Und wenn sie nicht gut aussieht, bemerke ich das auch. Dann brauch ich sie doch gar nicht zu kaufen, nach Hause mitzunehmen, ein paar Tage später wieder herzukommen, die Hose zurückzugeben und für einen Warengutschein mir was anderes auszusuchen. Was für ein Umstand! So bescheuert kann man doch gar nicht sein.“
„Doch. Ich verstehe das auch nicht,“ lacht die Frau. „Aber trotzdem: Das passiert jeden Tag. Die erste Frage der Kunden ist oft, wie lange man etwas umtauschen kann.“
„Ok,“ lenke ich ein. „Wenn ich etwas verschenke oder jemandem etwas mitbringe, dann kann ich das ja noch nachvollziehen. Aber doch nicht, wenn ich es für mich selbst kaufe und vor allem, wenn ich es anprobiert habe.“
Das Etikett ist ab, die Hose kann nicht mehr umgetauscht werden.
Mir fällt nur eine Erklärung ein, wie es dazu kommen könnte: Nämlich, wenn man sein Schnäppchen stolz daheim präsentiert und Teilen der Familie schlagartig das Entsetzen im Gesicht steht. „Damit willst Du ja wohl nicht auf die Straße gehen!“ Oder noch verschärfter: „Wenn Du Dich damit in der Öffentlichkeit blicken lässt, dann lasse ich mich auf der Stelle scheiden!“ Wie schnell erklärt einem ein gewiefter Textilverkäufer, wie verdammt good man in einer Hose looken kann und ermuntert zum Kauf, und dann steht man da, lookt alles andere als good und muss sich rechtfertigen.
Das ist natürlich nur theoretisches Wissen, denn meine Familie würde so nicht reagieren, schon allein, weil ich selten so daneben greife, dass ich Kleidungsstücke auswähle, die mich öffentlich zum Affen machen. Bei Renate freilich wäre das anders, die würde Harald herunterbürsten, wenn der sich erdreistete, eigenmächtig etwas zu kaufen. Aber bekanntlich würde sich Harald im Leben nicht trauen, allein und ohne fachliche Beratung, wenn nicht gar Auswahl durch seine Gattin, ein Beinkleid zu erwerben. Sale oder nicht.
Bei mir ist eher so, dass ich diskret darauf hingewiesen werde, dass ein paar Schuhe oder eine Jeans dann doch langsam mal aussortiert werden könnten.
Genau darum kaufe ich ja eine neue – mit der festen Absicht, sie nicht umzutauschen.
Mit großen Augen schaut mich Kassiererin an. Ihr Blick ruft mich ins Hier und Jetzt zurück. Sie hat mich gerade etwas gefragt und wartet offenbar auf eine Reaktion meinerseits.
Nur was? Ob ich eine Tüte will? Oder hat sie mir nur den Betrag genannt?
Ich lächle, zücke ein Stück Plastik und schiebe es über den Tresen. Ich hoffe, dass das als Antwort ok ist.
„Also mit Karte…“ lächelt sie.
„Ja bitte!“
Zwei Minuten später nenne ich eine neue Jeans mein eigen. Ein echtes Schnäppchen.
Weil gerade Sale ist. Da sind Jeans ganz besonders günstig.
Aber Sale ist halt immer. Irgendwo.
Da kann man sich ja ordentlich eindecken. Hinterher alles umtauschen geht ja zur Not immer noch…
Vielen Dank fürs Lesen.
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