Gastbeitrag zur aktuellen Blogparade: Wunderbare Jahre
Von Detlef Kaiser, der kein eigenes Blog betreibt, kommen viele Erinnerungen an wunderbare Jahre in einem Gastbeitrag zum Thema:
Als ich zehn war …
… also vom Herbst 1968 bis zum Herbst 1969, war alles ein großes Abenteuer. Überall taten sich Türen in neue Welten auf, überall ein neuer Mikrokosmos.
Ein gutes Jahr vorher waren meine Eltern mit meiner Schwester und mir umgezogen: von einer Mietwohnung in Haßlinghausen (nach der Gebietsreform von 1970 in NRW jetzt ein Teil von Spröckhövel) ein paar Kilometer weiter nach Silschede (jetzt ein Teil von Gevelsberg) in das eigene Haus, das mein Vater im Alleingang selbst gebaut hatte: ein eigenes Zimmer!
Ich kam aber nach der 3. Klasse auch in eine neue Schule, zu neuen Mitschülern und Freunden. Einer von ihnen, nennen wir ihn Jürgen, nahm mich auch gleich mit in seinen Sportverein: so kam ich zum Handball und blieb ein aktiver Spieler (wo immer ich auch lebte) bis zum hohen Handballeralter von 36 Jahren.
Nach der 4. Klasse (also im Herbst 1968) ging es dann gleich wieder weg von der Grundschule auf die nächste Schule, als Fahrschüler zum 5 km entfernten Gymnasium in Gevelsberg. Jürgen ging mit, das passte gut, denn wir spielten auch nach der Schule zusammen. Er wohnte allerdings auf der entgegengesetzten Seite des Dorfes, gute 2 km entfernt. Nachmittags nach den Hausaufgaben ging ich zu Fuß dorthin. Helikoptereltern waren noch nicht erfunden. Mein Vater hätte den Gedanken, eines seiner Kinder mit dem Auto zu einer Freizeitaktivität zu chauffieren, absurd gefunden – und das ist er ja auch.
Ja, und ich ging zu Fuß etwa einen Kilometer an einer Bundesstraße, der B234, entlang. Das würde heute jedem Elternteil die Haare zu Berge stehen lassen, denn einen Bürgersteig gab es nicht. Noch weniger schön war allerdings, dass ich nach einiger Zeit auf dem Gymnasium in einer Pause Jürgen weinend mit seiner Mutter antraf: er musste die Schule wegen nicht ausreichender Leistungen wieder verlassen.
Das Gymnasium selbst interessierte mich nicht weiter, ich hatte folglich überall eine Drei (außer in Sport). Die Schulprobleme kamen bei mir später, so mit 13, 14 – aber das wäre ein anderer (sicher unterhaltsamerer) Blogbeitrag. Wir als Fahrschüler hatten die normalen Linienbusse zu nutzen (man kaufte jede Woche eine Wertmarke, die Ziehharmonika-mäßig auf den Ausweis aufgeklebt wurde). Aber nach der letzten Stunde war der Bus häufig schon weg.
Dann ging man mit Thomas zu seinem Vater, der hatte als KfZ-Mechanikermeister eine eigene, freie Autowerkstatt in Gevelsberg. Oder in die Stadt, das kannte ich ja bisher nur von gelegentlichen Zoobesuchen mit der Mutter in Wuppertal.
In Gevelsberg gab es früher noch tolle Geschäfte, ich erinnere mich z.B an ein Feinkostgeschäft, wo die toten Fasanen und Rehe auf der Straße ausgestellt waren. Daneben war ein Kino. Wir guckten natürlich nur die Plakate, ich war bis dahin nur einmal im Kino gewesen, mit meiner Mutter im „Dschungelbuch“. Und mein nächster Film war erst viel später, irgendwas mit Godzilla. Und es gab ein mehrstöckiges Kaufhaus, Horten. Dort vertrieb ich mir oft die Zeit in der Bücherabteilung bis zum nächsten Bus. Was habe ich damals gelesen? Eigentlich alles, von Karl May bis „Locke und die Fußballstiefel“. Aber bei Horten waren auch die Lexika interessant, da waren teilweise erstaunliche Bilder drin …
In den Sommerferien war ich jedes Jahr in Gelsenkirchen, eine Woche bei „Omma“ K und eine Woche bei Oma und Opa B. Die beiden wohnten in einer „Kolonie“ am Westfriedhof in Heßler. Opa B ging dann stolz mit seinem Enkel spazieren, bis zur Glückauf-Kampfbahn in Schalke. Die Autobahn A42 gab es da noch nicht, sie wurde gerade erst gebaut. Opa K war als Steiger tödlich verunglückt, daher wohnte Oma K mit der Familie ihrer Tochter in einem großen Steigerhaus und ich spielte mit meinen beiden Cousinen und dem Vetter in den Kinderzimmern im Dachgeschoß.
Ich erinnere mich gut daran, dass wir Kinder einmal nach unten in die Wohnung der Oma K gerufen wurden. Die Wohnung war beeindruckend, mit teuren Möbeln eingerichtet. Im Schlafzimmer an der Wand über dem Ehebett hing ein „Schinken“ und in der Mitte eine umhäkelte Seilkordel, mit der man das Licht vom Bett aus einschalten konnte. Die Oma hatte auch schon einen Fernseher, sogar mein Onkel war da und wir bekamen dann im TV gezeigt, dass „die Amerikaner“ auf dem Mond gelandet waren und dort herum spazierten! Meine Eltern hatten da wohl noch keinen Fernseher, die ersten Sachen, an die ich mich erinnere, waren Sonntags Bonanza und in der Woche im Vorabendprogramm Dick und Doof.
Mein Vater war Ingenieur, aber trotzdem nicht für diesen neumodischen Fernseh-Schnickschnack zu begeistern. Und ein Telefon (Festnetz) bekamen wir erst 1974 – weil da Opa B starb und man uns kurzfristig nur informieren konnte, indem man bei der Nachbarin anrief. Das war ihm dann doch zu peinlich …
Ich sehe mich auch heute noch als „genialen“ Handball- (und mit Abstrichen auch Fußball-)spieler – allerdings eingesperrt in den Körper eines 58-Jährigen ;-). Aber was ich damals überhaupt nicht konnte, war Schwimmen. Meine Mutter tingelte mit mir jahrelang von Schwimmkurs zu Schwimmkurs – aber ich schnallte es nicht. Auf dem Gymnasium gab es einen Lehrer, Herrn Braun, der es sich zur Lebensaufgabe gemacht hatte, jedem(!) das Schwimmen beizubringen. Er ging jedes Jahr durch alle neuen Klassen und sagte zu jedem ohne Freischwimmer dann: „Morgen, soundsoviel Uhr, Lehrschwimmbecken Alte Geer – du bist da!“ Er hat es geschafft, mir das Brustschwimmen beizubringen, im März 1969 habe ich meinen Freischwimmer gemacht.
Später folgten auch Fahrten- und Jugendschwimmschein, aber Kraul kann ich bis heute noch nicht richtig. Nur so 20 Meter, bis mir mangels richtigem Beinschlag und Atemtechnik die Puste ausgeht.
Mit den Eltern waren wir damals im Urlaub oft auf Texel oder Ameland. Ganz toll war es, vom Etagenbett aus nachts den rotierenden Lichtfinger des Leuchtturms zu sehen. Am Strand haben wir auch mal eine Flaschenpost gefunden, ich glaube aber, sie war damals nicht sehr weit gekommen, von Ameland bis nach Texel. Wenn ich die Dias meiner Eltern aus diesem Jahr durchsehe, sehe ich auch, dass ich damals zu Weihnachten Ski und Skischuhe bekommen habe und dass damals bei uns viel Schnee lag. So 50 bis 100 Meter konnte man auf der Wiese des Nachbarn bergab rutschen, manchmal stoppte einen unten nur der Stacheldrahtzaun – und immer musste man natürlich zu Fuß wieder rauf!
Und sonst? Mädchen interessierten mich (noch) nicht, weder meine Schwester noch die anderen. Ich hatte noch ein kleines 80-Liter-Aquarium. Mal mit Guppys und Schwertfischen oder mit Zebrabärblingen(?) und Neons. Eine kleine Luftsprudelpumpe, Filter und Heizstab dabei und eigentlich immer Ärger mit Algen…
„Ich war elf (zehn), …. Verdienste erwarb ich mir keine, aber das waren die wunderbaren Jahre.“
Truman Capote, Die Grasharfe zitiert in: Die wunderbaren Jahre, Reiner Kunze
Text: Detlef Kaiser, Bilder: Privat
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das ist mal sehr gut geschrieben
danke für die Blumen ;) … aber ein richtiger Blogger wird wohl doch nicht aus mir werden