Surrealismus vs. Faschismus – und ein Wiedersehen mit Lee Miller
„Der Bürgerkrieg war eine Zeit der Bombenangriffe, der Toten, der Erschießungskommandos, und ich wollte diese so dramatische und traurige Zeit darstellen. Ich muss gestehen, dass ich mir nicht bewusst war, dass ich mein Guernica malte,“ notierte der spanische Maler Joan Miró zu seinem Bild Stilleben mit Schuh aus dem Jahr 1937. Bezug nahm er damit auf Pablo Picassos Bild Guernica, das 1937 im Rahmen der Weltausstellung in Paris im spanischen Pavillon erstmals gezeigt wurde. Es zeigt die brutale Zerstörung des gleichnamigen Ortes im spanischen Bürgerkrieg durch italienische und deutsche Fliegereinheiten.
Auch Miró war maßgeblich an der Gestaltung des Pavillons beteiligt, wenn auch nicht mit diesem Bild.
Während des Bürgerkriegs hatte Miró mit seinen Bildern um internationale Hilfe für Spanien geworben, mit seinem Stilleben zeigt er sehr verschlüsselt die Formen des katalanischen Widerstands eines Bauern. Ein klares, politisches Statement gegen Franco.
War Kunst je weniger politisch als in der Zeit zwischen erstem und zweitem Weltkrieg?
Die Ausstellung Aber hier leben? Nein danke. Surrealismus + Antifaschismus im Münchner Lenbachaus zeigt dies auf höchst anschauliche Weise. Denn es wäre falsch, Surrealismus nur auf bildende Kunst im engeren Sinn zu reduzieren: Es geht um Malerei, um Grafik, Collagen, aber auch um Fotografie, Literatur und Film. Es geht um die Nähe zum Sozialismus und Kommunismus, um die Zerreißprobe in der surrealistischen Bewegung durch die Vorgänge in der Sowjetunion, vor allem um Trotzki. Wie zu einem politischen System stehen, dass sich zwar die Freiheit und die Gleichheit aller auf die Fahnen geschrieben hat, in der Wirklichkeit aber nichts von dem umsetzt, das seine politischen Gegner gnadenlos verfolgt und scharfe Kritiker umbringen lässt?
Wo war der Punkt erreicht, sich davon als Künstler zu distanzieren?
Es geht im politischen Surrealismus aber vor allem um den Kampf gegen den Faschismus in der Kunst. In dieser Drastik der politischen Dimension war mir das nicht klar. Und als der Faschismus in Italien, Deutschland und schließlich Spanien die Macht ergriffen hatte, um die Massenflucht der Künstler*innen aus diesen Ländern, als entartet in Deutschland diffamiert, verfolgt, verdrängt, verboten. In Berlin, dann in Prag, schließlich in Paris, dem Zentrum des Surrealismus, nachdem die deutsche Wehrmacht Frankreich überfallen hatte.
Und damit erklärt sich auch der Ausstellungstitel: Die Heimatlosigkeit, der Zusammenbruch der Ideale, der Perspektiven, dem Ideal von Freiheit. Die Flucht aus Europa, die Fremde. Leben in Europa war unmöglich geworden.
Viel zu sehen gibt es in dieser exzellenten Ausstellung – und viel zu lesen und zu lernen. Textfahnen überall und das ist gut: Wie schnell reduziert sich heute Surrealismus auf Salvador Dali, vielleicht noch auf Rene Magritte, auf großflächige Bilder voll versteckter Symbolik und Andeutungen aus dem Unterbewussten.Und wie immens verkürzt ist diese Sicht.
Die Ausstellung rückt das zurecht: Da sind hochpolitische, antifaschistische Werke, beeindruckende Bilder wie Picassos bitterböser Bilderzyklus Traum und Lüge Francos (1937), von denen ein Blatt ausgestellt ist, auf dem er Franco der Lächerlichkeit preis gibt, oder
Erwin Blumenfelds Grauenfresse aus der Mappe Erwin Blumenfeld (1933-1934), ein beklemmendes, wenn nicht verstörendes Bild, das zu den großen Highlights für die vielen Schüler:innen gehört, die zeitgleich mit uns die Ausstellung besuchen. Trauben bilden sich davor, man muss schon etwas Geduld aufbringen, will man das Bild in Ruhe betrachten und wirken lassen.
Es wird diskutiert und gedeutet, Kunst wirkt. Der „Anziehungseffekt“, den dieses Bild auf seine Betrachter:innen hat, ist verständlich.
Hier hat das Grauen ein Gesicht und es ist unschwer zu erkennen, wer gemeint ist.
Ganz anders setzte das Künstlergespann „WoTi“ (Kati Horna und Wolf Hamburger) dem Faschismus eine surreale Fotoserie entgegen. Hitlers Gesicht ziert ein Ei. In der fünfteiligen Fotostrecke Hitler-Ei (1936) kriecht dieses erst aus dem Becher hervor, schwingt große Reden, wird schließlich zurückgedrückt und…
…am Ende geköpft. Nicht unüblich für ein Ei. Welch unfassbar gute Idee, welch Witz. Einfach großartig: Subversiv und defätistisch.
Wo hinschauen, wo flüchtig vorbei gehen. Alles erfasst man bei einem Besuch sowieso nicht.
John Heartfield ist zu sehen, Max Ernst, Rene Magritte, ein mächtiges Kollektivgemälde aus den 60ern und, was mich überrascht:…
… Es gibt ein überraschendes „Wiedersehen“ mit Lee Miller.
Zeitlich eingeordnet ist das sicher sinnvoll. Die Fotografin Miller ging in ihrer Pariser Zeit ein und aus bei den großen Künstler:innen ihrer Zeit, sie war Teil dieser Community, war Muse und Model und begann ihre eigene Karriere als Fotografin. Später In England erlebte sie den Ausbruch des Zweiten Weltkriegs, verlagerte sich auf Kriegsfotografie und kehrte noch während des Krieges nach Frankreich als Bildjournalistin zurück.
Sie war eine der ersten Fotografinnen im befreiten München und bei der Befreiung des Konzentrationslagers Dachau dabei. Ein äußerst sehenswerter Film erzählt davon. Umso mehr freut mich, hier die Originalfotos, von deren Entstehung viel im Film gezeigt wird, zu sehen.
In einem Schaukasten liegt auch eine Vogue aus den USA, die erste Zeitung, die 1945 ihre Bilder von dem Grauen, das die Amerikaner bei der Befreiung der KZs vorfanden, druckte: Die Bilder klein, nicht mal Postkartengröße, umrahmt von viel Text und Anzeigen. Bilder, die so gewaltig und mächtig sind, dass ihnen viel, viel mehr Raum zu gestanden hätte. Das ist die nächste Überraschung: Wie wenig illstrativ, wie textlastig die Illustrierten damals waren.
Es fehlt auch nicht ein Abzug jenes weltberühmte Bildes, das Lee Miller sitzend in der Badewanne Hitlers in seiner Münchner Wohnung zeigt, das freut mich besonders:
Aufgenommen hat es der Fotograf David E. Scherman, es ist also im strengen Sinn gar kein von Lee Miller gemachtes Foto.
Kurze Zeit später hat sie dann Sherman ebenfalls in der Wanne sitzend fotografiert. Es sieht so unglaublich „schnappschussartig“ aus, als sei es in allerhöchster Eile entstanden, aus einer Laune, einer verrückten Idee heraus, in großer Sorge, bei diesem Streich von anderen US-Soldatgen, die sich in der Wohnung befanden, entdeckt zu werden. So erzählt es der Film Die Fotografin. Dabei ist ziemlich sicher alles in diesem Bild bis ins Detail gewollt und von ihr arrangiert: Das Portrait Hitlers am Wannenrand, die Skulptur auf dem Tischchen, die Kampfstiefel, der Dreck auf dem Wannenvorleger. Nichts ist zufällig.
Surrealistisch sind die Bilder von Lee Miller allerdings nicht, insofern sind sie fast ein Fremdkörper in der Ausstellung. Aber es ist gut, sie dort zu sehen.
Eine halbe Stunde später und kaum 500 Meter weiter sehe ich noch viel, viel mehr von ihren Arbeiten. Im nahe gelegenen Münchner Amerikahaus findet zur Zeit die Ausstellung Lee Miller Photography statt. Hier werden all ihre wichtigsten Bilder gezeigt.
Fotografieren ist in der Ausstellung im Amerikahaus verboten, im Lenbachhaus hingegen nicht, das mag verstehen, wer will. Denn auch im Lenbachhaus sind die Bilder, die nicht fotografiert werden dürfen, als solche gekennzeichnet. Lee Millers Arbeiten zählen nicht dazu. Also mache ich dort ein paar schnelle Fotos – der Vollständigkeit halber für den Blogbeitrag.
Die Ausstellung im Lenbachhaus ist verlängert worden und läuft noch bis Ende März 2025. Infos hier.
Die Ausstellung im Amerikahaus läuft noch bis Ende Juli 2025. Infos hier
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